Jamlitz (MOZ) Ein weißes Tuch hat dafür gesorgt, dass ein Wandgemälde von Rudolf Grunemann mit zeitweise brisantem politischen Inhalt nicht zum roten Tuch wurde. Heute zeigt sich: Grunemanns Vision von der Deutschen Einheit ist Wirklichkeit geworden.
Im Eingangsbereich der ehemaligen Schule in Jamlitz prangt ein sechs mal drei Meter großes Wandbild. Es zeigt eine Deutschlandkarte mit Blattgoldbildern, die Sehenswürdigkeiten von Köln bis Frankfurt (Oder) und von Rostock bis München symbolisieren. Angefertigt wurde es von dem Jamlitzer Künstler Rudolf Grunemann (1906-1981) anlässlich der Eröffnung des Schulneubaus im Jahr 1954.
In der Mitte sind die dritte und vierte Zeile der ersten Strophe der Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik verewigt: "Laß uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland."
Ab den frühen 70-er Jahren schienen beide deutschen Staaten jedoch nicht mehr eins werden zu können. Im Westen hatte Willy Brandt mit der Neuen Ostpolitik, die 1972 in den Grundlagenvertrag mündete, wichtige Schritte zur Anerkennung der DDR als eigenständigen Staat eingeleitet. Zeitgleich nahm auch die DDR-Staatsführung von dem Anspruch eines einheitlichen Staatsgebildes unter sozialistischem Vorzeichen Abschied. Die Folge war unter anderem, dass ab Beginn der 70-er Jahre die DDR-Nationalhymne nur noch instrumental dargeboten wurde.
In diesem Zeitraum wurde das Jamlitzer Schulfoyer zur politischen Bühne. Wer genau die Anweisung gegeben hatte, das Wandbild mit dem Slogan "Deutschland einig Vaterland" zu entfernen, weiß in Jamlitz kaum noch jemand. "Es wird wohl das Kreisschulamt gewesen sein", vermutet Jutta Biging, die ab 1970 Lehrerin in Jamlitz und ab 1978 Schulleiterin war. An den Inhalt der Anweisung kann sie sich noch vage erinnern: Von "Abhängen" oder "Entfernen" sei die Rede gewesen. Da spielte das Lehrerkollegium jedoch nicht mit. "Wir kamen nach einer längeren Diskussion zu dem Schluss, dass man ein solches Kunstwerk nicht einfach entfernen kann." Trickreich kamen die Lehrer auf die Idee, das Wandbild mit einem Stoff zuzuhängen, und so aus der Schusslinie zu nehmen. "Wir haben in Frankfurt weißen Lakenstoff gekauft", erinnert sich Jutta Biging.
Da "gelernte" DDR-Bürger Gegenstände pfleglich behandeln und nichts wegwerfen, ist das weiße Tuch heute noch in gutem Zustand erhalten. Es befindet sich im Besitz von Roswita Pfeiffer, die 1971 bis 1978 Schuldirektorin war. "Ich bin mir fast sicher, dass meine Kollegin Ingrid Leonhard den Stoff genäht hat." Renate Birke, Hortnerin von 1964 bis 1971, stimmt ihr zu: "So akkurat konnte nur Frau Leonhard nähen." Diese jedoch kann sich nicht mehr konkret daran erinnern, den Stoff bearbeitet zu haben.
Unangefochten ist jedoch, dass das nunmehr als weiße Fläche erscheinende Monumentalbild bis 1989 als Wandzeitung benutzt wurde. "Wir haben höllisch aufgepasst, dass wir mit den Stecknadeln keine Einstiche in Grunemanns Kunstwerk hinterließen", erinnert sich Marianne Wilke, die Ende der 70er Jahre als Kunstlehrerin in Jamlitz tätig war. Schon als Schülerin sei sie von dem Bild, das damals noch ungehindert zu bewundern war, angetan: "Ich freute mich, dass unser kleines Jamlitz inmitten der wichtigen Großstädte in der Karte eingezeichnet war."
Olaf Grunemann, der als einziges der vier Kinder Rudolf Grunemanns heute noch in Jamlitz lebt, nimmt das wiedererwachende Interesse an dem Zeitzeugnis mit Wohlwollen zur Kenntnis: "Auferstanden aus Ruinen - das passt zu dem Bild meines Vaters." Rudolf Grunemanns Vision, wie sie 1954 mit den Worten "Deutschland einig Vaterland" in Blattgold zum Ausdruck kam - 1989 ist sie Wirklichkeit geworden.