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Oke Göttlich und Jörg Sundermeier: »Boring propaganda doesnt work«

»Boring propaganda doesnt work«

"Save the Planet, Kill Yourself" - Was sich nach Trash anhört, ist für den radikalen Veganer Chris Korda und seine Church of Euthanasia eine politische Botschaft, Antisemitismus inklusive

von Oke Göttlich und Jörg Sundermeier

Die Idee ist nicht neu: Der Evolution ist ein Fehler unterlaufen, sie hat den Menschen hervorgebracht. Und dieser treibt jetzt mal eben all die anderen Hervorbringungen der Evolution ab. Der Musiker Chris Korda hält dagegen. Seine Church of Euthanasia, die über einige Tausend Mitglieder verfügt, von der US-Finanzbehörde als gemeinnützige erzieherische Einrichtung anerkannt ist und der Reverend Korda vorsteht, predigt daher das Ende der Vermehrung.

Sex sei gut, aber die Fortpflanzung und Ausbreitung des Menschen bringe nichts als Elend mit sich. "Save the Planet, Kill Yourself" lautet eine Parole. Und so heißt dann auch ein Stück auf seiner neuen Platte. Eine Platte, die in den letzten Wochen von Kritikern quer durch alle Musikzeitungen gelobt wurde, da sie Art-Rock ˆ la Pink Floyd und elektronische Musik auf erstaunliche Weise miteinander versöhnt und dabei nicht in krautrockendes Gedudel verfällt.

Kordas Sounds sind dicht, ziemlich mitreißend und lassen tanzen. Allerdings ist es nicht nur die Musik, die Chris Korda zum Popstar macht. Besucht man die Web-Page der Church of Euthanasia (COE) bekommt man den Eindruck, es mit prima durchgeknallten Weirdos zu tun zu haben, eine Art amerikanische-veganische APPD.

Die COE steht für öffentliches Cross-dressing, allen voran Reverend Korda selbst, der sich kleidet, als sei er seine eigene Tante; die Kirche demonstriert mit einem riesigen Schaumstoffpenis vor Samenbanken; sie fordert auf Plakaten dazu auf, für Jesus einen homosexuellen Fötus zu verzehren; sie schwenkt auf Wahlkampfveranstaltungen eines besonders konservativen Senators Hakenkreuze - wohlgemerkt, um ihn zu unterstützen -, da er die einzige Hoffnung des faschistischen Amerikas sei. Sie verbreitet Schlachtertips, welche Teile des menschlichen Körpers genießbar seien und welche Barbecue-Soßen dazu passen. Voll provo das, und erst einmal ziemlich lustig.

Genau wie die Homepage ist die Musik für Korda ein Vehikel zur Erzeugung einer Art politischer Diskothek. "Elektronische Musik ist eine weitverbreitete Form der Propaganda, sie transportiert Inhalte einfach, zumindest, wenn man eine geistreiche Produktion voraussetzt. Ich kann mich mit den müden Klischees des Rock oder des Punk, die Fake-Rebellion massenhaft vermarkten, nicht identifizieren. Die Eckpfeiler der Industriegesellschaft - Industrialismus, Globalismus, Kontrolle - haben sich nicht verändert und werden sich nicht verändern. Ich versuche Leute davon zu überzeugen, ihre Abhängigkeit von dieser Gesellschaftsform - zum Beispiel dadurch, sich nicht zu vermehren - zu reduzieren, als erster Schritt, um sie ganz zu befreien. Ich bin gegen Politik, daher ist die apolitische Natur des Technoszene für mich eher ein Vorteil."

So schreibt Korda und insoweit klingt die Lehre des Kirchenführers sexy und noch sympathisch, sie erscheint als liebenswürdige Veganerei, die, wäre sie mit mehr Erleuchtungsbimbam umgeben, auch dem putzigen Dr. Motte hätte einfallen können. Natürlich beinhaltet seine Lehre den für alle politisch aktiven Veganer typischen Denkfehler, daß sie den Menschen selbst nicht als Teil der Natur betrachtet, sondern ihn für etwas Über- oder Antinatürliches hält, das sich quasigöttlich selbst überwinden kann.

Chris Korda allerdings ist weder naiv noch ist er ein schlechter Propagandist. Das aber macht ihn - auf den zweiten Blick - zu etwas ganz anderem als einem Popstar. Denn er, dessen Auftritte vor allem zu Vermittlungszwecken so beeindruckend cool daherkommen, ist der gewiefte Promotor seiner Lehre. Anders als andere Veganer ist er kein hinterwäldlerischer Naturanbeter mit ausgeprägter Technikfeindlichkeit.

Die Benutzung von Technologie findet Korda völlig okay; mit jedem Mittel, schreibt er, mit dem man etwas erbaue, könne man das dann auch wieder zerstören. In diesem Fall die Zivilisation. So begreift er sein Auftreten nicht als Kunst. Pop ist ihm ein Transportmittel, für ihn sind seine Musikstücke an der Oberfläche banal, denn es geht um Erweckung. Er benutzt seine Vocal-Samples anders als andere Elektronik-Rocker, sie sind hier tatsächlich als Botschaften gemeint.

"Meine Musik ist nur dann effektiv, wenn sie die Leute unterhält. Boring propaganda doesn't work. Der Unabomber ist ein gutes Beispiel. Sein 30 000 Worte-Manifest war gut durchdacht, hatte jedoch keine Entertainmentqualitäten. Die meisten Leute haben das beiseite gelegt und sich dem Sportteil zugewandt. Die Aktivitäten der Church of Euthanasia erscheinen oft unsinnig oder provokativ. Das folgt aus einer Strategie, die ihre Wurzeln im Dadaismus oder in Anti-Art-Bewegungen hat und auf dem Wissen basiert, daß das Paradoxe das beste Mittel gegen Totalitarismus ist." Seine Verteidigung des Unabombers kommt nicht von ungefähr. Korda bezieht sich wiederholt positiv auf den rechtsradikalen Akademiker, der im holzhüttenwarmen antiurbanistischen Naturburschentum den Weg zum Heil sah und für die Verbreitung seiner Lehre sogar Attentate beging.

Korda erklärt, daß die Erregung über jemanden wie den Unabomber bigott sei, sie erscheine "surreal angesichts der Tatsache, daß amerikanische B 52 die Bevölkerung Jugoslawiens in die Steinzeit zurückbomben". Die Lehre des Unabombers hält er für richtig. Aber sie ist ihm nicht rigoros genug. Gewalt hält er - obschon er für militante Aktionen Bewunderung hegt - grundsätzlich nicht für das geeignete Mittel, um sein Ziel, die menschenlose Erde, durchzusetzen. Denn gerade der Krieg versage als Methode vollends.

"Historisch gesehen, sind Kriege völlig uneffektive Formen der Bevölkerungsreduzierung, nicht nur, weil ihnen Baby-Booms folgen, sondern auch industrieller Wiederaufbau und ökonomisches Wachstum, etwa in Deutschland und Japan. Moderne Kriege werden geführt in Zusammenarbeit mit industriellen Kräften, und könnten als Spasmen des technologischen und ökonomischen Wachstums angesehen werden." Kordas Antikapitalismus speist sich allein aus der Vorstellung, die Industriegesellschaft sei angetreten, die Natur zu zerstören. Er ist der Anwalt der Tiere. Menschen kümmern ihn dagegen weniger.

Selbst der Holocaust läßt ihn relativ gleichgültig. "Krieg ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel, der wahre Inhalt des Industrialismus. Produktion und Verbrauch verbinden sich auf dem höchsten Punkt der Effektivität zu einem einzigen Prozeß der Desintegration. Was den Holocaust so schockierend machte, war, daß die Lager und Eisenbahnwaggons so gewohnt waren, so gewöhnlich. Die gleichen Techniken wurden seit einem Jahrhundert auf Tiere angewandt und sind bis heute in Verwendung. In den USA schlachten wir mehr als eine Milliarde Tiere im Jahr, und das oft in factory farms, die sehr verdächtig nach Dachau aussehen." Daß er mit diesen Worten den Holocaust relativiert, stört ihn wenig.

"Das Leid der Juden übersehe ich nicht. Mir geht es aber darum, daß noch immer Juden da sind, vielleicht nicht so viele in Europa, aber sicher in den Vereinigten Staaten. Um es kraß auszudrücken: als Rasse, als Kultur wachsen die Juden nach. Die Millionen nichtmenschlicher Wesen, die wir in den letzten 500 Jahren ausgerottet haben, wachsen nicht nach. Sie können nicht nachwachsen, denn sie sind verschwunden, für immer.

Niemand baut ihnen Denkmäler, weil der Holocaust dieser Wesen keine Geschichte ist, es ist die Gegenwart, es passiert jetzt. Dort, wo die Nazis scheiterten, hat die Industriegesellschaft Erfolg, rottet alle fünf Minuten eine Spezies aus, Tag für Tag, Jahr für Jahr."

Der Holocaust ist für einen wie Korda nicht länger ein spezifisches Ereignis, denn er passiert ja überall und jeden Tag. Damit sind die Juden plötzlich nur eine Opfergruppe unter vielen. Mehr noch: Korda untersucht politische Ereignisse nur im Zusammenhang mit der damit verbundenen Wirkung. Insofern es ihm dienlich erscheint, biegt er sich dafür die Ereignisse zurecht. Holocaust und Krieg erscheinen einem wie ihm daher nur noch als ineffektiv - man sehe ja, daß noch immer Juden auf Erden seien. Heißt das, einen "erfolgreichen", einen auch in den USA "erfolgreichen" Holocaust hätte Korda begrüßt? So weit traut er sich dann doch nicht.

Korda verurteilt Völkermord dann doch wieder, insbesondere den an den Indianern, mit dem Argument, daß jeder freiwillig aus dem Leben scheiden solle. Warum er wiederum dann die Morde des Unabombers verteidigt, bleibt schleierhaft. Korda und die Church of Euthanasia begeben sich in genau die gleiche Falle, in die die Provo- und Sponti-Aktionisten Anfang der achtziger Jahre steuerten. Mit der permanenten Relativierung des Holocaust wird dieser zunächst marginalisiert, dann aber wiederum als anwendbare Möglichkeit denkbar. Krieg, Holocaust, Faschismus, all das verkommt so zur Formfrage.

Es gebe, schreibt die COE in einer ihrer Mitteilungen, ein Foto des nackten Korda in einem Krematoriumofen des KZ Dachau. Das Photo sollte ursprünglich sogar als Cover des kommenden Albums verwendet werden. Für den Erfolg der "besonderen Persönlichkeit" ist Korda, so scheint es, jedes Mittel recht. Antisemit zu sein, gehört offensichtlich dazu.

Chris Korda & The Church of Euthanasia: "Six Billion Humans Can't Be Wrong". Gigolo Records/EFA

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