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8 November 2008, 13:46

Die russische Übersetzerin Ella Wengerowa wurde mit dem deutschen W. Schukowski-Preis ausgezeichnet

E.L.: In unseren Informationssendungen haben wir bereits berichtet, daß am 23. Oktober in Moskau russischen Übersetzern der

Ella Wengerowa / Foto Goethe-InstitutE.L.: In unseren Informationssendungen haben wir bereits berichtet, daß am 23. Oktober in Moskau russischen Übersetzern der deutschen schöngeistigen Literatur zum sechsten Mal der Preis verliehen wurde, der den Namen des hervorragenden russischen Dichters und Übersetzers Wassili Schukowski trägt. Dieser Preis wurde 1998 von der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (bis 2008 „Verband der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation“) gemeinsam mit der Moskauer Zeitschrift „Inostrannaja literatura“ und dem Goethe-Institut gestiftet und wird alle zwei Jahre für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der literarischen Übersetzung vom Deutschen ins Russische verliehen. Seit 2004 gibt es zwei Schukowski-Preise: den Hauptpreis und einen Nachwuchspreis für angehende begabte Übersetzer. In diesem Jahr ging der Hauptpreis an die bekammte Übersetzerin aus Moskau Ella Wengerowa. Der Preis wurde ihr für ihr gesamtes übersetzerisches Lebenswerk verliehen, insbesondere für die Übersetzung des Theaterstücks „Leonce und Lena“ von Georg Büchner, des Romans von Patrick Süskind „Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders“, der Balladen, Theaterstücke und Essays von Peter Hacks sowie Werke vieler anderer Autoren.
Heute möchte ich Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, diese interessante Persönlichkeit vorstellen. Ella Wengerowa ist ca. siebzig Jahre alt. Es ist eine jung aussehende, energievolle und sehr sympathische Frau mit einem erstaunlichen Sinn für Humor. Die Übersetzung ist ihr Lebenswerk, aber Ella Wengerowa ist darüber hinaus noch eine bekannte Literatur- und Theaterkritikerin, Universitätsprofessorin und natürlich Germanistin. Als Übersetzerin sieht Ella Wengerowa ihre Aufgabe darin, die Texte aus der einen Kultur in die andere zu übertragen. Auf diese Weise macht sie uns russischen Lesern die Literatur zugänglich, die Sie, unsere Hörer, lesen. Kann sein, daß ich z. B. gerade dasselbe Buch eines deutschen Schriftstellers wie einer von Ihnen lese, und es bereitet mir nicht weniger Vergnügen.
Ich glaube, Ella Wengerowa näher kennenzulernen hilft Ihnen mein Gespräch mit ihr in diesen Tagen, beim Kaffee in ihrer gemütlichen Moskauer Wohnung. Ich erblickte Schränke, die mit Büchern vollgestopft waren, natürlich auch mit deutschen, und fragte die Übersetzerin, ob sie einen unter den heutigen deutschen Schriftstellern besonders lieb hat?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Ich beschäftige mich seit langem mit dem Werk von Peter Hacks. Ich übersetzte seine Bücher in der Zeit, als er hohes Ansehen genoß, und auch nachher, als er sowohl mit dem östlichen als auch mit dem westlichen Teil Deutschlands in Konflikt geriet.
E.L.: Was war der Grund für den Konflikt?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Hacks war der einzige große Schriftsteller, der entschieden gegen die Wiedervereinigung Deutschlands auftrat. Er wollte, daß es nach wie vor zwei deutsche Staaten gab. So kam er in Konflikt mit der ganzen deutschen Umgebung. Er trat aus allen Verbänden und Gesellschaften aus, lehnte alle Auszeichnungen ab. Er zerstritt sich mit der gesamten DDR-Elite. Bis an sein Lebensende glaubte er an den Sozialismus. Für ihn war der Sozialismus ein Ideal, dessen Fehlen im Bewußtsein der Menschheit eine katastrophale Degradation nach sich ziehen würde. Als Folge sagten alle, er wäre Stalinist, Rückschrittler, Konservativer und sogar Dummkopf. Und das alles wurde von dem genialsten modernen deutschen Schriftsteller behauptet. Allerdings war seinerzeit auch Goethe mit seiner Heimat in Konflikt geraten, als er das Kommen Napoléons begrüßte. Kam denn Tolstoi nicht in Konflikt mit dem orthodoxen Rußland? Ich glaube, das ist das Los des Genies.
E.L.: Warum halten Sie den Schriftsteller Hacks für genial?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Für mich ist die Sprache das zuverlässigste Kriterium bei der Beurteilung der Literatur. Da müssen alle Deutschen, die Hacks verurteilt haben, zugeben (ich will um jede Summe wetten), daß es in Deutschland keinen Literaten gibt, dessen Sprache vollkommener als bei Hacks wäre. Es gibt einfach keinen Schriftsteller, der die Sprache und alle bekannten Dichtungsgattungen, alle Stile wie Hacks beherrschen würde. Es gibt keinen zweiten zeitgenössischen Schriftsteller wie ihn.
E.L.: Ich möchte wissen, was für Sie der Begriff “herrliche Sprache” umfaßt?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Eine herrliche Sprache bezeugt nur eines, und zwar: das höchste Denkniveau. In der russischen Sprache ist Puschkin ein Beispiel dafür. Dabei ist die Sprache primär. Puschkin ist ein Geschöpf der russischen Sprache, wie Hacks ein Geschöpf der deutschen Sprache ist. Eine herrliche Sprache erzeugt mittels Schriftsteller geniale Werke.
E.L.: Ein interessanter Gedanke, der es wert ist, weiter verfolgt zu werden.
Frau Wengerowa, während der Verleihungsfeier trugen Schauspieler Balladen von Peter Hacks vor. Zunächst erklangen die Balladen auf deutsch, dann auf russisch in Ihrer Übersetzung. Alle, die neben mir saßen, nannten die Übersetzung faszinierend.
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Die Übersetzung ist ein Zehntel davon, was auf deutsch gesagt wurde. Ich werde nie der schmeichelhaften Behauptung beipflichten, der Übersetzer sei ein Rivale des Autors. Nimmer! Ich sage mit Hacks, daß ich dem Schriftsteller nur ergebenst den Mantel reiche. Ich rivalisiere nie mit ihm. Ich reiche ihm das russische Kleid.
E.L.: Was ist dann ein Übersetzer?
SPRECHER: Ein Leser. Der Übersetzer ist ein Leser.
(Ton)
E.L.: Frau Wengerowa, wie wird man zum Übersetzer schöngeistiger Literatur? Warum fingen Sie an, wo Sie doch die russische Sprache glänzend beherrschen, zu übersetzen, anstatt eigene Werke zu schreiben?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Ich entstamme einer Literatenfamilie, bin aber keine Schriftstellerin. Der Unterschied liegt darin, daß ein Schriftsteller eine Metapher gebärt. Falls er keine Metapher gebärt, ist er kein Schriftsteller, kein Dichter, er ist überhaupt uninteressant. Kann der Schriftsteller keine Metapher gebären, sondern nur mit Worten jonglieren, dann ist er für mich Luft.
Es liegt an meiner inneren Beschaffenheit, daß ich keine Metaphern erzeugen kann. Ich kann sie nur erkennen, würdigen und mich an ihnen erfreuen. Ich folge immer. Für meine Begriffe hat ein Schriftsteller eine ganz andere seelische Organisation.
E.L.: Gut, die Schriftstellerei kommt also nicht in Frage. Wie wurden Sie aber Übersetzerin? Sie haben als Bibliographin, als Redakteurin, als Korrektorin gearbeitet… Aber Ihr Lebenswerk wurde die Übersetzung. Wie kommt das?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Übersetzerin schöngeistiger Literatur zu werden schien mir ein fabelhaftes Glück. Als ich ein blutjunges Mädchen war, ging ich ins Theater, um eine Aufführung des Stückes von Rostand „Cyrano de Bergerac“ in der Übersetzung von Tatjana Schtschepkina-Kupernik zu sehen. Ich war fasziniert von dem, was ich hörte. Diese Übersetzung hat mich buchstäblich erschüttert. Das zweite erschütternde Erlebnis gab es im damaligen Leningrad. Im Theater der Komödie sah ich Byrons „Don Juan“ in der Übersetzung von Tatjana Gneditsch. Diese zwei Theatereindrücke bedeuteten für mich Eines: Sie versetzten mich in die Welt der Schönheit, der hohen menschlichen Werte und des Talents. Für mich war es eine Quintessenz von Glück und Entzücken.
Schtschepkina-Kupernik hat das Stück von Rostand ausgezeichnet übersetzt. Das heißt, sie hat alles nachempfunden, was in diesem Drama vorging. Sie hat dieses Glück nachempfunden und es mir mitgeteilt. Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll! Der einzige Mensch, den ich beneidete, war Schtschepkina-Kupernik. Ich spürte ein brennendes Bedürfnis, mich in der literarischen Übersetzung zu versuchen. Ich wollte alles nachempfinden, was wenigstens in einer kurzen Erzählung passiert, sie übersetzen und anderen Menschen geben. Ich sagte zu mir: Es ist das Höchste, wozu dein Hirn, deine innere Organisation taugen.
E.L.: Nicht jedermann kann diese Beschäftigung wählen, da ein Übersetzer neben dem Talent noch äußerst umfassende Kenntnisse besitzen muß.
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Das sind keinesfalls umfassende Kenntnisse. Man braucht Kenntnisse nur in einem einzigen Bereich, nämlich im Bereich der einheimischen Literatur. Da es aber in unserem Haus immer viele Bücher gab und ich von Kindheit auf eine Leseratte war, kenne ich die russische Literatur gut. In der Schule brachte man mir bei, Gesamtausgaben zu lesen. Nicht etwa irgendein Werk von einem Literaturklassiker, sondern alles, was in der Gesamtausgabe steht. Ich las die sämtlichen Schriften von Leskow, Turgenew, Ostrowski, Puschkin, Dostojewski, Tolstoi…
Ich las überhaupt viel und erfuhr dadurch, daß es eine für die Seele geradezu todesgefährliche Literatur gibt, aber auch Literatur, die heilt. Ich kam auf diese Idee an der Universität, im vierten Studienjahr. Die Literatur kann verwunden und töten. Sie kann einen kaputtmachen. So begann ich die Texte zu meiden, die ich nicht verkraften konnte.
E.L.: Alles mündete aber in die Begeisterung für die deutsche Literatur ein.
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Ich absolvierte die deutsche Abteilung der Philologischen Fakultät der Universität Moskau. Wir hatten eine sehr gute Dozentin. Sie lehrte uns die deutsche Sprache schmecken. Ich kann aus dem Englischen übersetzen, aber ich kann diese Sprache nicht schmecken. Deutsch ist aber an sich sehr schön. Außergewöhnlich schön ist der ganze grammatische Bau dieser Sprache. Deutsch kommt mir wie eine schöne Gleichung oder Schachpartie vor. Ich fühle diese Sprache, darum ist es für mich interessant, sie ins Russische zu übersetzen. Dazu kommt, daß viele von meinen Freunden hervorragende Germanisten waren. Also war meine Vorliebe für die deutsche Literatur eine normale Erscheinung. Ich mußte bloß einen Autor für mich finden, nicht einen guten, sondern einen, den ich mehr als andere mochte. Außerdem gedenke ich immer der Worte meines guten Freundes, des hervorragenden Germanisten Albert Karelski, daß der Auftrag des Übersetzers darin liege, neue Namen zu entdecken.
(Ton)
E.L.: Frau Wengerowa, in der feierlichen Zeremonie, als ihnen der Schukowski-Preis verliehen wurde, sprachen Sie von ihrer fanatischen Begeisterung für die deutsche Literatur.
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Es ist wegen Peter Hacks. Als ich Hacks zu lesen begann, wurde das Leben für mich interessant. Das Wort „fanatisch“ gebrauchte ich, weil mir niemand eine Übersetzung seiner Bücher bestellt hatte. Zu Sowjetzeiten wollte man ihn bei uns überhaupt nicht veröffentlichen. Einmal erklärte ich mich bereit, eine Sammlung von Theaterstücken für einen Verlag zur Publikation vorzubereiten, aber nur unter der Bedingung, daß ein von mir übersetztes Stück von Hacks in die Sammlung aufgenommen wird. In der letzten Vorbereitungsphase erfuhr ich aber, daß Hacks trotzdem von der Sammlung ausgeschlossen wurde.
E.L.: Es ist zumindest komisch, da Hacks sozialistische Ideen verfocht.
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Er sah den Sozialismus, wie ihn der junge Marx gesehen hatte. Er schreibt selbst darüber. Hacks war sehr klug. Es gibt bei ihm ein Dramolett, das von einem Liebespaar handelt. Sie ist Baumeisterin, er Ziegelbrenner, macht Backsteine. Er überbietet den Plan, Zeitungen schreiben von ihm als von einem Bestarbeiter. Er überbietet aber den Plan nur, weil er schlechte Backsteine macht. Das Mädchen, das er liebt, kann mit den schlechten Backsteinen kein Haus bauen. Da sie aber kein Haus bauen kann, muß sie eine schlechte Fachfrau sein. Daraus entsteht ein beruflicher Konflikt, an dem die Liebe scheitert. Also resultiert die widersinnige Arbeitsorganisation, die auf der Überbietung des Planes basiert, in privates Unglück. Deutsches Theater nahm dieses Stück zunächst an, mußte dann aber darauf verzichten, weil darin unwillkürlich die Mängel des Sozialismus zum Vorschein kamen. Dabei hielt Hacks nicht den Sozialismus, sondern die dumme Organisation der Arbeitsabläufe für mangelhaft.
E.L.: Nun gut, alles begann mit Hacks. Dann mußten aber auch andere Schriftsteller kommen.
SPRECHER: Ah nein, ich liebte die Dramendichtung so sehr. Wenn es Aufträge gab, übernahm ich sie immer. Der Verlag „Iskusstwo“ bestellte bei mir Stücke von Ferdinand Bruckner, kleinere Stücke von Georg Büchner, Dramen des österreichischen Schriftstellers Horvath. Patrick Süskind machte ich aber selbst ausfindig. Er gefiel mir so gut, und ich übersetzte ihn.
E.L.: Bei uns sind in Ihrer Übersetzung „Das Parfüm“, die Novelle „Die Taube“ und „Die Geschichte von Herrn Sommer“ erschienen. Alle diese Bücher sind interessant, berühmt wurde Süskind aber durch den Roman „Das Parfüm“.
SPRECHER: Wissen Sie, den Text des Romans „Das Parfüm“ lege ich anders als so mancher aus. In dieser Hinsicht stimmen mir bei weitem nicht alle zu. Ich glaube, dieser Roman enthält eine gewaltige Metapher. Es ist die Metapher der zwischenmenschlichen Beziehungen. Süskind erfand die Metapher des Geruchs, um uns darauf aufmerksam zu machen, daß in der gegenwärtigen Phase der gesellschaftlichen Entwicklung die Zuschreibung dem einen oder anderen Menschen von Eigenschaften, die er nicht besitzt, zur Routine wird. Darauf basieren in beträchtlichem Maße die heutige Unterhaltungsindustrie und das PR-Geschäft. Was passiert, ist ein künstliches Synthesieren der Vorzüge ganz anderer Menschen, und diese Vorzüge werden jenen zugeschrieben, die sie in Wirklichkeit gar nicht haben. Dadurch werden die getötet, denen diese Vorzüge entlehnt wurden. Der Sinn der Metapher von Süskind liegt, soviel ich verstehe, darin, daß wir, indem wir Luxusgegenstände synthesieren, die lebendige Natur töten. Im Endeffekt können wir das Wahre von dem Falschen nicht mehr unterscheiden. Die virtuelle Welt verdeckt uns die Wirklichkeit…
Süskinds Roman hat viele Bedeutungen, diese scheint mir die wichtigste zu sein.
(Ton)
E.L.: Frau Wengerowa, wer von den deutschen Schriftstellern war Ihr Bekannter oder vielleicht auch Freund?
(O-Ton russisch)
SPRECHER: Ich kann nicht sagen, ich wäre mit ihnen befreundet, aber ich kannte Peter Hacks, Heiner Müller, Albert Kapr. Es waren faszinierende Menschen. Sie waren sehr bedeutende Persönlichkeiten. Der Umgang mit ihnen löste eine Art Euphorie aus. Die Zauberkraft ihres Intellekts war unwiderstehlich. Ich habe für mich definiert, was die Zauberkraft des Intellekts ist. Dabei ist die Hauptsache, daß man im Gespräch mit diesen Menschen genau für die Zeit, in der man sich im Energiefeld dieser Person befindet, klüger wird. Man spürt, wie das eigene Gehirn anders zu funktionieren beginnt. Man durchschaut leicht bestimmte Zusammenhänge, deren Sinn man sonst nur durch ungeheuerliche Anstrengung begreifen könnte. Wenn man sich mit solchen Menschen unterhält, fühlt man sich geradezu körperlich wohl durch den Aufstieg zu diesem hohen intellektuellen Niveau. Es bleibt der Eindruck, daß es eine Höhe gibt, die man nicht erreichen kann, auf der man aber zumindest vorbeigeschaut hat. Darum glaube ich auch, daß ich mit genialen Schriftstellern großes Glück hatte.
(Ton)
E.L.: Frau Wengerowa, würden Sie nicht meinen, daß sich die heutige deutsche Literatur ziemlich oft mit der kleinen Tragödie des kleinen Menschen auseinandersetzt? Zwar halte ich für meinen Teil diese Tragödie nicht für klein. Die Situation, in die der Held der Novelle von Süskind „Die Taube“ geraten ist, würde ich als eine große Tragödie eines kleinen Menschen bezeichnen. Was ihm zugestoßen ist, ist unerträglich! Dieser Mensch erweckt großes Mitleid.
SPRECHER: Die Literatur existiert auch, damit wir mit jemandem Mitleid fühlen. Die ganze klassische Literatur ist dazu da, bei uns ein Mitgefühl mit dem Nächsten zu erwecken. Wenn uns niemand leid tut, sind wir überhaupt nichts wert. Eine Literatur, die kein Mitleid erweckt, braucht keiner. Es ist die Norm, es sind die Zehn Gebote.
E.L.: Dann möchte ich Sie fragen, ob Sie einen Lieblingshelden in der deutschen Literatur haben?
SPRECHER: Bei Hacks gibt es einen, der ist wahrscheinlich auch mein Lieblingsheld. Wenn ich ihn nenne, dann lesen Ihre Hörer vielleicht dieses Stück. Es heißt „Senecas Tod“. Seneca, wie ihn Hacks geschildert hat, ist mein Lieblingsheld. Bei Hacks ist Seneca anders als man ihn sonst zeigt. Bei Hacks ist er eine Verkörperung von Stoizismus, Treue zu sich selbst und seiner menschlichen Würde. Mit dieser Figur sympathisiere ich sehr.
(Ton)
E.L.: Das war das „Kulturmagazin“ der „Stimme Rußlands“. Wir haben Ihnen Ella Wengerowa vorgestellt, russische Überetzerin deutscher schöngeistiger Literatur. In diesem Jahr wurde ihr der Wassili-Schukowski-Preis verliehen, der vor 10 Jahren von der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer gemeinsam mit der Moskauer Zeitschrift „Inostrannaja Literatura“ und dem Goethe-Institut Rußland gestiftet wurde.
Ella Wengerowa ist Mitglied des Europäischen Übersetzer-Kollegiums und der Peter-Hacks-Gesellschaft. Als ich mich bei ihr verabschiedete, bat sie mich, in der Sendung unbedingt zu sagen, daß sie alle Mitglieder dieser Gesellschaft herzlich grüßt und es ihr aufrichtig leid tut, daß sie aus zwingenden Gründen bei der Tagung am 8. November nicht mitmachen konnte.

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