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Artikel


Stattzeitung für Südbaden Ausgabe 55, 2003-11

Redondo, Claus/ Güde, Fritz:
Kehl im Dritten Reich

Eine Grenzstadt und ihre Exzesse 1933-45

In Kehl muss man sich besonders beobachtet gefühlt haben in den ersten Jahren der faschistischen Herrschaft. Alles, was heroisch gemeint war, um die nötigen Startwallungen zu erzeugen, wurde nebenan in Strasbourg mürrisch kommentiert.

So ließen es sich auch die Kehler- so wenig wie die Offenburger, die Lahrer und die Pforzheimer- nicht nehmen, ihre eigene Bücherverbrennung zu veranstalten. Mangels Masse konzentrierten sich die Ansprachen vor dem Feuer auf den angeblich kriegsfeindlichen Autor Remarque: wenigstens den kannten die meisten. Die STRAßBURGER NEUESTEN NACHRICHTEN beendeten ihren Bericht mit der nüchternen Feststellung: “Stumm, wie die Menge vor dem lodernden Scheiterhaufen gestanden hatte, so ging sie auch auseinander“(s.44). Als 1938 der Film „DER WEG ZURÜCK“ von Remarque herauskam, veranstaltete ein Straßburger Kino eigens eine Vorstellung in deutscher Sprache, damit auch Kehler endlich kennen lernten , was sie vier Jahre zuvor verbrannt hatten.

Ungewöhnlich brutal auch die Vorgänge am 9.November 1938,als der von oben verordnete Volkszorn an den Juden exekutiert wurde. In einem Prozess nach dem Krieg wurden die Ereignisse rekonstruiert. Die Schuljugend bekam frei, um alles miterleben zu können. Nach der Hausdurchsuchung wurden Juden zum Spießrutenlaufen ins Gestapohauptquartier beordert, dann- vom Blut notdürftig gesäubert-, in die Stadthalle eskortiert, wo allstündlich „Züchtigungen“ stattfanden. Andere aus den Vororten mussten Sprechchöre auf den Straßen brüllen

„Wir haben Deutschland belogen“ oder: „Wir sind schuld am Mord in Paris“.

Als gewöhnliche Polizisten, die auf den Straßen eingesetzt waren, von den SS-Leuten ein wenig Zurückhaltung verlangten,hieß es sofort: “Wenn es euch nicht passt, werdet ihr auch gleich dabei sein.“ Am Abend schließlich werden alle Inhaftierten im Zug nach Dachau verfrachtet: ein Druckmittel, um rasche Auswanderung zu erzwingen.

Das alles sozusagen im Angesicht des Auslandes. Man bekommt den Eindruck, es habe absichtlich die oft berufene Rücksichtslosigkeit und der Fanatismus vor den Augen der Nachbarstadt vorgeführt werden sollen.

All die Grausamkeiten sind im Buch eingebettet in zahllose Jugenderinnerungen, in denen- von Albumbildern unterstützt- das schöne Fahrtenleben bei HJ und BdM gefeiert wurde. Natürlich: niemand kann sich von der eigenen Jugend und ihrer Verklärung lossagen. Nur dass alles, was da volksgemeinschaftlich zusammenwachsen sollte, eben doch nur eine Hülle über den Verbrechen darstellte. Und eine Vorbereitung auf den Krieg, in dem die neue Gemeinschaft sich dann zu bewähren hatte.

Eben in diesem Krieg hörte dann allerdings die städtische Herrlichkeit Kehls wieder auf. Kaum war Straßburg erobert, sollte es zur neuen Metropole der Gegend erhoben werden. Kehl wurde als Vorort eingemeindet. Ironische Pointe: all das, was nach 1945 beklagt wurde- die Abhängigkeit von der nahen Großstadt unter dann französischer Besatzung, hatten die Nazis in umgekehrter Richtung vorher selbst befohlen.

BIBLIOGRAPHISCHE ANGABEN:

Hartmut Stöwe: Kehl im Dritten Reich. Stadtgeschichte 1933-1945. Eine Dokumentation des Stadtarchivs Kehl zu der gleichnamigen Ausstellung im Hanauer Museum 1995/1996.

fg

Zweite Ausstellung über Kehl im Nachkrieg umstritten

Auseinandersetzungen um die Ausstellung „Kehl 44-53“

In einer zweiten Ausstellung ruft das Stadtarchiv die Zeit nach dem Krieg ins Gedächtnis. als für aus Frankreich zurückkehrende Flüchtlinge deutscher Wohnraum beschlagnahmet wurde und die Kehler Evakuierten zunächst nicht zurückkehren konnten. Durch das Auseinanderreißen der zwei Epochen- Kehl von 1933 bis 45 und „Kehl von 1944-53“ in zwei zeitlich und räumlich vollkommen getrennte Bereiche konnte leicht der Eindruck ntstehen, als seien die gewiss für viele leidvollen Erfahrungen nach 1945 vom Himmel gefallen. Wer will, kann die Ausstellung jetzt in dem Bildband nachverfolgen:

Hartmut Stüwe: Evakuierung, Besetzung,Freigabe, Kehler Stadtgeschichte 1944- 53. Im folgenden schildert der Vorsitzende der VVN-BdA Ortenau Claus Redondo, die darauf folgenden Auseinandersetzungen mit den Veranstaltern der Ausstellung.

Redaktion

Die Ausstellung und das gleichnamige Buch sind sicher sehr gut rescherschiert nur fehlen wichtige Teile. Beide stehen schon in der Auswahl des Themas aber auch in der Ausführung voll im Kontext gängiger Geschichtsaufarbeitung. D.h. das Leiden der Deutschen wird in den Vordergrund gestellt. Wie zum Beispiel bei der immer stärker werdenden Forderung vieler Politiker die Beneschdekrete aufzuheben Ursache und Wirkung werden verdreht. Verständnis mit den Tätern und Diffamierung der Opfer.

Es wird mit keinem Wort erwähnt, dass die Evakuierung und die Besatzung Kehls nicht voraussetzungslos geschehen sind. Eine Vorgeschichte, die 1940 mit dem von Hitlerdeutschland entfesselten Eroberungskrieg auf Frankreich begann, dem „Totalen Krieg“, der von vielen begeistert begrüßt worden war, und der am Ende nach Deutschland zurückkehrte.

Erstmals auf den Seiten 79/80 der Dokumentation, wird fast beiläufig die Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen angesprochen und lediglich auf den Umgang mit Eigentum reduziert

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Ortenau (VVN-BdA) befasste sich mit dem Thema. Woraufhin eine Delegation der VVN-BdA Ortenau die Ausstellung gemeinsam mit Vertretern ihrer französischen Schwesterorganisation A.N.A.C.R. (Association National des Anciens Combatants de la Ressistance), den beiden Straßburger Antifaschisten Adolfe und Nicole Low besuchte. Es ist wichtig zu erwähnen, dass von Herr und Frau Lows ein Großteil der Familienangehörigen in Auschwitz von den Nazis ermordet wurde und Nicole Low zu jenen Straßburgerinnen gehörte die nach 1945 Wohnungen im besetzten Kehl zugewiesen bekamen. Nicole Low`s Eltern machten eine Eisenwarenhandlung auf. Sie mussten erstmal das Haus komplett renovieren, da es so nicht bewohnbar war. In ihren Erinnerungen auf keinen Fall eine besonders schöne Zeit...

Schon bei der Betrachtung der ersten Tafel besagter Ausstellung kam Zweifel an der Qualität auf, da über ihr groß „Besatzung“ statt Befreiung stand. Adolphe Low, der nachdem er bei den internationalen Brigaden in Spanien gegen die Francofaschisten gekämpft hatte, die Resistance tatkräftig unterstützte und somit an der BEFREIUNG vom Hitlerfaschismus aktiv beteiligt war- meinte wenn man die Ausstellung so sehe, komme es einem so vor als ob Frankreich der Agressor gewesen wäre.

Der Rest der Ausstellung war entsprechend: da war von Marokkanern die Rede, die auf gutem Parkett ihren Hammel grillten und ähnlichen Geschichten die tendenziell eher ein schlechtes Bild von „den Franzosen“ abgab. Herr Low sagte zum Schluss nur noch: die Ausstellung ist nicht schlecht, aber auch nicht gut und lachte laut.

Der Vorstand der VVN-BdA Ortenau verfasste daraufhin einen Brief an die Verantwortlichen, unter ihnen der Historiker der Stadt Kehl, Herr Hartmut Stüwe, unter dessen Federführung das Projekt lief.

Hier der letzte Absatz des Schreibens:

„Alles in allem sehen wir in der Ausstellung und auch in dem Begleitbehandlung eine Art der Geschichtsbehandlung, die den frühen 50-er Jahren entspricht und die den offensichtlichen Versuch unternimmt, Heimatgeschichte zu entpolitisieren, was zwangsläufig zu Einseitigkeit, Halbwahrheiten und im konkret vorliegenden Fall zur Wiederbelebung anti-französischer Tendenzen führen kann. Wir stimmen über ein, dass es notwendig ist, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für unsere Bürgerinnen und Bürger noch erlebbarer gemacht wird. Hierzu gehört aber auch, dass die geschichtlichen Tatsachen stets berücksichtigt werden. Dies ist ein wichtiges Anliegen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.“

Als Reaktion :ein Anruf seitens Herrn Stüwes, in dem er uns bittet, das Buch nochmal genauer anzusehen und mit dem Hinweis auf das in dieser Ausgabe besprochene Buch „Kehl unterm Hakenkreuz die Vorgeschichte behandelt zu haben. Nach einem Gespräch mit Herrn Stüwe sieht er ein, dass es nicht genügt, ein Buch geschrieben zu haben, in dem die Nazibarbarei beschrieben wird, wenn z.B. nur jeder fünfte im Alter von 12 bis 20 weiß, was Auschwitz war. Herr Stüwe beschrieb die Schwierigkeit, angesichts der starken Ressentiments einiger Kehler, vor allem derälteren Generation, ein solch heißes Eisen anzufassen. Er bekräftigte außerdem mit Buch und Ausstellung zur Versöhnung von Kehlern und Straßburgern, beitragen zu wollen. Stellt sich die Frage, ob die ganze Sache zumindest unnötig war....

Objektiv können weder die Ausstellung noch das Buch oder die Landesgartenschau, Vorurteile zwischen Kehlern und Straßburgern, Deutschen und Franzosen aufheben.

Claus Redondo, VVN-BdA Ortenau



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