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13. Mai 2011

"Tor und Herz stehen offen"

BZ-SERIE 850 JAHRE KLOSTER TENNENBACH:Ein fiktives Gespräch zwischen Vogt und Oblatus.

  1. Mönchsverzeichnis, Tennenbach Foto: Hans-Jürgen Günther

EMMENDINGEN. Bis vor wenigen Wochen unbeachtet schlummerte ein archivalischer Schatz im Emmendinger Museum: Ein mit Gänsekiel auf Pergament geschriebenes Mönchsverzeichnis der Tennenbacher Zisterzienserabtei vom 25. Juli 1696 (novo stilo – also nach dem gültigen Gregorianischen Kalender). Das einzigartige Schriftstück befand sich, das zeigen die Falt- und Einrollspuren, in einem Behältnis, vermutlich in der Kreuzkugel des Tennenbacher Kirchturms. "Exstructa est ista Thurris", heißt es im Text. Damals war der Turm nach den Zerstörungen im 30-Jährigen Krieg wieder hergerichtet worden. Als 1829 Kloster und Abteikirche abgebrochen wurden, hat man den Fund nicht nach Karlsruhe gebracht, sondern in Emmendingen behalten.

Die Aufzählung der genannten Personen erfolgt streng hierarchisch. Zunächst werden der damalige Papst Innozenz XII. (1691-1700) sowie der habsburgische Kaiser Leopold I. (1658-1705) genannt, danach der Bischof von Konstanz Marquard Rudolph (1689-1704) sowie der Tennenbacher Abt Robert Handmann von Villingen (1679-1703). 14 Patres und vier Konversen werden dann namentlich aufgeführt. Die Liste schließt mit dem Eintrag "Oblatus Joachim Baur, fac totum".

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Folgende Situation mag sich damals ergeben haben: Der evangelische Vogt von Hachberg, Johann Christoph von Wimpfen (1694-1697), weilte zu einem Höflichkeitsbesuch im Kloster und hatte zufällig Kenntnis von dem Schriftstück erhalten. Beim Verlassen des Klosters trifft er auf einen Mann in Arbeitskutte, der die Treppen zum Abtsbau scheuert. Ein Gespräch des Vogtes mit dem genannten Oblaten wäre vielleicht so verlaufen:

Vogt: Gott zum Gruß! Ich bin der Vogt von Hachberg. Kannst Du mir sagen, wer Du bist?
Oblatus Joachim: Ich bin Bruder Joachim, ein Oblatus.
Vogt: Bruder Joachim, was ist ein "Oblatus"? Im Hachbergerland kennt man den Begriff nicht.
Bruder Joachim: Als Oblatus bin ich Laie. Nie habe ich ein Mönchsgelübde abgelegt, habe aber mein Leben Gott geweiht. So kann ich hier im Kloster leben. Denn mich begeistern heute noch, obwohl ich schon fortgeschrittenen Alters bin, die Ideale von uns Zisterziensern. Viel davon ist in unserem Wahlspruch enthalten: Porta patet, cor magis – Das Tor steht offen, mehr noch das Herz! Das versuchen wir zu leben. Das wollen wir untereinander und in der Begegnung mit den Menschen umsetzen.

"Der Donnerhall der Explosionen füllte unser stilles Tal."


Vogt: Im Mönchsverzeichnis, so las ich, sind zunächst die Patres, also die Priestermönche, namentlich aufgeführt, als erster P. Josephus Riepacher, Prior. Was ist dessen Aufgabe im Kloster?
Bruder Joachim: Der Prior ist der Stellvertreter des Abtes. Hier in Tennenbach kommt eine besondere Verpflichtung auf ihn zu: Er ist zusätzlich Gemeindepfarrer. Dabei unterstützt ihn P. Albericus Straubhar, unser derzeitiger Subprior. Dass wir in Tennenbach eine Laiengemeinde haben, die in unmittelbarer Nähe des Klosters wohnt, ist eine Besonderheit. Nach Einführung der Reformation wurde unser Kloster gleichsam eine kleine katholische Insel mitten im evangelischen Hachbergerland. Unsere Handwerker und ihre Familien, die bis dahin zu den Pfarreien Mussbach, Keppenbach oder Wöpplinsberg gehörten, hätten zur nächsten katholischen Pfarrei in Buchholz fast eine ganze badische Meile (8,888 km) oder mehr zurücklegen müssen. Also hat man ihnen die Kapelle als Pfarrkirche zur Verfügung gestellt. Hier feiert seither der Prior mit ihnen den Gottesdienst, hier wird getauft, werden Ehen gesegnet und Totenmessen gehalten. Übrigens habe ich dabei den Ministrantendienst zu versehen.

Vogt: P. Benedictus Wiederkher ist "Cellerarius", wie es auf dem Pergament heißt. Was ist seine Aufgabe?
Bruder Joachim: Oh, der hat viele. Als Ökonom ist er für den gesamten wirtschaftlichen Bereich zuständig. Er verwaltet die Ernteerträge und versorgt mit seinen Helfern das Kloster und die ihm angeschlossene Laiengemeinde. Ernteüberschüsse lässt er über die klösterlichen Stadthöfe z.B. in Freiburg, Endingen oder Kenzingen verkaufen. Er sorgt auch dafür, dass das eingenommene Geld sinnvoll verwaltet wird. In Tennenbach gibt es z.B. eine Armenküche, die jeden Mittwoch an Bedürftige eine zusätzliche Mahlzeit verteilt. Viel Arbeit hatte unser Cellerar - auch zuständig für die Beaufsichtigung aller Gewerke - gerade in den letzten Jahren, als die Verwüstungsspuren des 30-jähren Krieges beseitigt werden mussten. Gottlob blieb unser Kloster verschont, als vor sieben Jahren (1689) die Hochburg gesprengt wurde. Der Donnerhall der Explosionen füllte unser stilles Tal. Unser bedeutendster Cellerar war der spätere Abt Johannes Zenlin. Er hat um 1340 mit großer Sorgfalt ein Verzeichnis aller Güter erstellt, die unser Kloster in Hunderten von Orten am Oberrhein besaß. Als ich neulich die Bibliothek von Staub befreien musste, habe ich in diesem einzigartigen Buch mit seinen schönen Miniaturen geblättert. Lesen konnte ich es nicht. Meine Lateinkenntnisse reichten da nicht aus.

"Den Kopf waschen wir uns

wöchentlich gegenseitig."


Vogt: In unseren lutherischen Landeskirchen diskutiert man gerade heftig das Thema Einzelbeichte. Bei Euch gibt es wohl weiterhin den "Confessionarius"? Aber warum gleich vier?
Bruder Joachim: Unser altehrwürdiges Kloster Tennenbach – es besteht in diesem Jahr des Herrn 1696 ja schon mehr als ein halbes Jahrtausend! – hat bereits seit dem 13. Jahrhundert Zisterzienserinnenklöster betreut, sei es Günterstal (vallis Guntheri) bei Freiburg, Wonnental (vallis iucunda) bei Kenzingen, im berühmten Kloster Lichtenthal (vallis lucida) bei Baden-Baden sowie im kürzlich erst wiedergegründeten Friedenweiler (villa pacis) bei Neustadt. Für jeweils ein Jahr sind die genannten vier Priestermönche dort für die Gottesdienste und Beichten zuständig.

Vogt: Und was sind die Aufgaben der anderen Mönche?
Bruder Joachim: Insgesamt sieben mal am Tag und einmal in der Nacht versammeln sich die Patres zum Chorgebet. Da werden im Wechsel Psalmen gebetet, Hymnen und Verse gesungen. Dass es zur größeren Ehre Gottes feierlich klingt, dafür sorgt der "Cantor" und sein Helfer, der "Succentor". Eine meiner Pflichten ist es, dafür zu sorgen, dass im Chorgestühl immer ausreichend Wachsstöcke vorhanden sind. Bei den "Nocturnen" (2 Uhr), zur "Laudes" (3.15 Uhr) und "Komplet" (19 Uhr) ist ja zumeist dunkel. Auch um das Kerzenlicht in den Gängen, im Refektorium und dem Kapitelsaal habe ich mich zu kümmern. Pater Conrad Spies ist Archivar und schlägt zugleich trefflich die Orgel. Unsere Organisten haben einen guten Ruf. Anno 1509 wurde einer von uns für mehrere Jahre an das Freiburger Münster ausgeliehen. Pater Bernhardus Dielssen vertritt übrigens unseren Abt in der Statthalterei von Kiechlinsbergen.

Vogt: Vier Konversen hat das Kloster zur Zeit. Was sind Konversen und welche Rolle spielen sie im Klosteralltag?
Bruder Joachim: Konversen sind als gestandene Männer ihrer Berufung gefolgt und haben sich Gott zugewandt. Zumeist sind sie Meister in einem Handwerk, wenn sie ins Kloster eintreten. Sie legen die drei Mönchsgelübde ab, tragen Habit oder Arbeitskutte, können aber nicht Priestermönche werden. In der Kirche haben sie ihr eigenes Gestühl im Westteil unseres Münsters, jenseits des Lettners. Sie bilden das Rückgrat der Klosterwirtschaft, verwalten unsere Klosterhöfe ("Grangien") und sind unsere hauseigenen Architekten und Künstler. Unter ihrer Bauleitung wurde jüngst unser Kloster wieder hergerichtet, das in seiner Geschichte so oft schon geplündert und abgebrannt wurde.

Vogt: Meine Lateinkenntnisse sagen mir, dass Du, Bruder Joachim, als "Faktotum" die unentbehrliche Hilfskraft für vielerlei Aufgaben im Kloster bist. Einige davon hast Du schon genannt. Was hast Du sonst noch zu tun?
Bruder Joachim: Gnädiger Herr, in aller Bescheidenheit darf ich anmerken, dass ich allen Mitbrüdern einmal im Monat die Haare und den Bart schneide. Den Kopf waschen wir uns wöchentlich gegenseitig.

Vogt: Den Kopf waschen? Wie meinst Du das?
Bruder Joachim (verschmitzt): Mal wörtlich, mal anders. In einer Männergesellschaft geht es, bei aller Liebe, auch schon mal rauer zu. Ihr fragt nach weiteren Aufgaben? Im Kloster wird in der kalten Jahreszeit nur ein Raum geheizt, das Kalefaktorium. Als Kalefaktor oder Heizer macht es mir Freude, für das Wohlbehagen meiner Mitbrüder zu sorgen, auch wenn das Holzspalten und Holzschleppen von Jahr zu Jahr beschwerlicher wird. Unser Kloster, das unsere klugen Gründer in Süd- und Westrichtung gebaut haben, fängt gottlob vom Frühjahr bis zum Herbst ausreichend Sonnenwärme ein. Was noch? Ich helfe beim Reinigen der Klosterkirche und beim Ziehen der Wachskerzen. Manchmal übernachte ich im Bruderhäusle, wie wir es nennen, um die Quelle des Aubachs rein zu halten. Wenn nötig, stehe ich dem Siechmeister bei der Krankenpflege zur Seite. Als ich neulich selbst in der Infirmerie, unserer Krankenstation, ein Gebresten auskurieren lassen musste, haben alle meine Mitbrüder mich mehrfach besucht und mir Mut zugesprochen.

"Auch Holzhacken für die Mitbrüder kann Gottesdienst sein."


Vogt: Hast Du so etwas wie einen Leitspruch für Dein Leben?
Bruder Joachim: "Auch Holzhacken für meine Mitbrüder kann Gottesdienst sein." Und dann noch, wie unser Prior zum Schluss schreibt: "Orate pro me – Betet für mich!"

Vogt: Das will ich gern tun, Bruder Joachim. Ich bitte um dasselbe. Wenn ich jetzt nach Emmendingen zurückreite, muss ich mir erst wieder klar werden, dass heute nach unserem, in Baden gültigen Julianischen Kalender, der 15. Juli ist. Hoffentlich einigen sich unsere getrennten Kirchen bald einmal, wenigstens hinsichtlich eines gemeinsamen Datums, am besten jedoch – überhaupt.

Anmerkung des Verfassers: Was Oblatus Joachim Baur noch nicht wissen konnte: Dass ab dem Jahr 1700 der Gregorianische Kalender auch in Baden galt, dass das nach dem 30-Jährigen Krieg wieder aufgebaute Kloster gut 20 Jahre später völlig abbrannte, dass es von Peter Thumb im barocken Stil neu errichtet wurde, dass es in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte, dass durch die Säkularisation das klösterliche Leben im Tennenbachertal sein Todesurteil nebst Vollstreckung erfuhr.

Autor: Hans-Jürgen Günther


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