• vom 08.03.2013, 12:30 Uhr

Geschichte

Update: 08.03.2013, 13:07 Uhr

Nationalsozialismus

Florian Wenninger




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Von Alexander Dworzak

  • "Schuschnigg war damals schlicht naiv"
  • Der Historiker Florian Wenninger über den "Anschluss" Österreichs 1938, Kontinuitäten und Brüche mit dem Dollfuß/Schuschnigg-Regime, die Aufarbeitung der Jahre 1933 bis 38 - und warum er "Ständestaat" für einen verharmlosenden Begriff hält.

"Karl Renner bewies über die Jahrzehnte, dass er sich mit Regimewechseln zu arrangieren wusste. Er war, genauso wie Kardinal Innitzer, ein Opportunist." Florian Wenninger - © Foto: Andreas Urban

"Karl Renner bewies über die Jahrzehnte, dass er sich mit Regimewechseln zu arrangieren wusste. Er war, genauso wie Kardinal Innitzer, ein Opportunist." Florian Wenninger © Foto: Andreas Urban

"Wiener Zeitung": Die Österreicher hatten die Kruckenkreuzbinde noch am Arm - und die Hakenkreuzbinde bereits vorsorglich in der Tasche, besagt ein historisches Bonmot. Wie viel Wahrheitsgehalt steckt darin - und wie war die Stimmung in der Bevölkerung im März 1938?

Florian Wenninger: In Wien war seit Ende 1937 klar, dass das Regime von Kanzler Schuschnigg keine Zukunft mehr haben wird. Ob die Hakenkreuzbinde in der Tasche ein Massenphänomen war, lässt sich schwer sagen. Sicher ist aber, dass viele vorgebaut haben, etwa Beamte.

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Warum gerade Beamte?

Stärker als andere Bevölkerungsgruppen waren sie Anhänger des deutschnationalen Milieus, das ab Anfang der 1930er Jahre schrittweise im Nationalsozialismus aufging. Die Beamten hatten nicht nur mehr Sympathie, sondern auch bessere Informationen, und sie versuchten bereits lange vor der Machtübernahme 1938, ihre Positionen abzusichern.

Wer profitierte außer den Beamten noch vom Machtwechsel?

Information

Zur Person
Florian Wenninger, geboren 1978, leistete nach seiner Matura Gedenkdienst an der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Er studierte Politikwissenschaft und spezialisierte sich auf die politische Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert sowie auf Friedens- und Konfliktforschung. Derzeit ist Wenninger Assistent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Der gebürtige Kärntner ist Geschäftsführer des "Vereins zur Erforschung der Repressionsmaßnahmen des österreichischen Regimes 1933-38", einer Forschungsplattform der österreichischen Zeitgeschichte-Institute und mehrerer außeruniversitärer Forschungseinrichtungen.
In diesen Tagen erscheint der von Wenninger und Lucile Dreidemy herausgegebene Sammelband "Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933-1938. Vermessung eines Forschungsfeldes" (Böhlau-Verlag).

Mit dem neuen Regime waren große Hoffnungen verbunden - etwa bei Landarbeitern, deren Situation sich nur wenig von der von Leibeigenen unterschied. Zum Teil waren umgehend Änderungen bemerkbar: Mägde beriefen sich erfolgreich auf die "deutsche Mutterehre", um zudringliche Bauern auf Distanz zu halten. Auch gut gebildete Frauen, die mit der "Doppelverdienerverordnung" 1933 aus dem Staatsdienst gedrängt worden waren, erwarteten sich eine Verbesserung ihrer Situation. Analog zu Beamten war auch diese Gruppe wesentlich stärker deutschnational orientiert als der Durchschnitt.

Der zurückgetretene Kanzler Schuschnigg bildete keine Exil-Regierung. Welches strategische Kalkül steckte dahinter?

Strategie war prinzipiell nicht Schuschniggs Fall. Das vielbehauptete Abwehrprojekt des Austrofaschismus gegen den Nationalsozialismus relativierte sich von Beginn an: Lange nach dem Parteiverbot der NSDAP verhandelte das Regime weiter über Mittelsmänner mit den Nazis. Und ab dem Juli-Abkommen 1936 inte-grierte man die Nationalsozialisten schrittweise in das System. Es ging also nicht um Abwehr, sondern um einen Ausgleich. Schuschnigg äußert sich in seinem Nachlass nur vage zum Exil. Vermutlich war ihm bedeutet worden, es werde ihm nichts passieren, wenn er sich kooperativ verhalte. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen war das natürlich null und nichtig. Schuschnigg war schlicht naiv.

Wer zählte noch zu den Verlierern des Machtwechsels?

Natürlich war die bisherige Funktionselite davon betroffen. Anhänger des Regimes hatten gemeinhin aber weniger zu befürchten als Linke, geschweige denn all jene, die nun als Juden, Roma oder "Asoziale" verfolgt wurden. Bei der Verfolgung der österreichischen Linken konnte die Gestapo auf den Vorarbeiten des Schuschnigg-Regimes aufbauen. Die illegale Sozialdemokratie verhängte vor dem Einmarsch ein Betätigungsverbot für ihre Sympathisanten. Ausgehend von der Erkenntnis aus Deutschland, dass Widerstand zwecklos war, sollten die eigenen Kader auf diese Weise geschont werden. Anders die Kommunisten: Die brachten ihre Führung außer Landes, setzen aber weiter auf Aktivitäten in Österreich.

Wie wurde die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in Österreich 1938 wahrgenommen?

Zweifellos sahen viele das ökonomische Strohfeuer, das in Deutschland infolge der massiven Aufrüstung loderte und erhofften sich auch hierzulande einen Aufschwung. Und die neue Obrigkeit tat natürlich alles, um diese Hoffnungen zu nähren.

Wurde lediglich das Strohfeuer wahrgenommen, oder wurden es auch die Umstände - von der Aufrüstung über Arbeitspflicht bis zum Ausschluss von Juden vom Arbeitsmarkt?

Die Umstände wurden nur bedingt wahrgenommen. Der linke Untergrund versuchte, diese zu thematisieren und warnte vor der Aufrüstung für einen Krieg, die Resonanz dürfte aber begrenzt gewesen sein.

Angesichts dieser Warnungen: Warum hat Karl Renner den "Anschluss" begrüßt?

Renner begründete seine Haltung im Nachhinein mit der Verhaftung seines Parteikollegen Robert Danneberg, der später in Auschwitz umgebracht wurde. Renner behauptete, ihm sei für seinen Aufruf zum "Anschluss" die Enthaftung Dannebergs versprochen worden. Ich wage das zu bezweifeln.

Was war dann Renners Motivation?

Grundsätzlich bewies Renner über die Jahrzehnte, dass er sich mit Regimewechseln zu arrangieren wusste. Vor dem "Anschluss" war er etwa um einen Ausgleich mit Dollfuß bzw. Schuschnigg bemüht gewesen. Man muss allerdings auch bedenken, dass sich Renner nach dem "Anschluss" keineswegs sicher sein konnte, ob man ihn schonen würde oder nicht. Zum Opportunismus trat also der Selbsterhaltungstrieb. In der Sozialdemokratie unterblieb bisher jedenfalls eine kritische Beschäftigung mit Renners Person.

Warum?

Wie in jeder Partei wurde reflexartig jede wichtige Person in Schutz genommen, denn von der ÖVP wurde Renner ja regelmäßig angegriffen. Für wesentlich problematischer als den Aufruf zum "Anschluss" halte ich Renners Arbeit an einer Jubelbroschüre anlässlich der Annexion des Sudetenlandes. Die feierte er ohne Not und aus eigenem Antrieb als die Heimkehr alten deutschen Bodens. Eine Veröffentlichung des Werks wurde Renner aber nicht gestattet.

"Die Erforschung des Austrofaschismus gilt als nicht sonderlich ,sexy‘. Dabei gäbe es viel zu tun, denn unser Kenntnisstand ist in vielen Bereichen noch recht begrenzt": Florian Wenninger im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiter Alexander Dworzak.

"Die Erforschung des Austrofaschismus gilt als nicht sonderlich ,sexy‘. Dabei gäbe es viel zu tun, denn unser Kenntnisstand ist in vielen Bereichen noch recht begrenzt": Florian Wenninger im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiter Alexander Dworzak.© Foto: Andreas Urban "Die Erforschung des Austrofaschismus gilt als nicht sonderlich ,sexy‘. Dabei gäbe es viel zu tun, denn unser Kenntnisstand ist in vielen Bereichen noch recht begrenzt": Florian Wenninger im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiter Alexander Dworzak.© Foto: Andreas Urban



"Mein eigener Geschichte-Lehrer im Gymnasium rechnete noch Anfang der 1990er Jahre vor, dass sich am Heldenplatz 1938 gar nicht so viele Bürger versammelt hätten..." Florian Wenninger

"Mein eigener Geschichte-Lehrer im Gymnasium rechnete noch Anfang der 1990er Jahre vor, dass sich am Heldenplatz 1938 gar nicht so viele Bürger versammelt hätten..." Florian Wenninger© Foto: Andreas Urban "Mein eigener Geschichte-Lehrer im Gymnasium rechnete noch Anfang der 1990er Jahre vor, dass sich am Heldenplatz 1938 gar nicht so viele Bürger versammelt hätten..." Florian Wenninger© Foto: Andreas Urban

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Dokument erstellt am 2013-03-07 20:47:08
Letzte Änderung am 2013-03-08 13:07:06




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