Höckes Kampf um neue Mythen für sein Volk
Wer ist Björn Höcke? Und was hat uns das Enfant Terrible der AfD und der Gauland-Kumpel zu sagen? Ausgerechnet unterm Kyffhäuserdenkmal zu Ehren Kaiser Wilhelms I gibt er darauf eine Antwort, die viel Staub aufwirbelt, weil dort so viel Staub ist: im Gestern.
Der kurzgeschorene rechtsintellektuelle Götz Kubitschek, Herr über Rittergut Schnellroda, erscheint im akkurat gebügelten Schwarzhemd. Sicher vorbildlich von Hand mit einem kohlebeheizten Plätteisen glattgeprügelt, der Mann schwört schließlich auf Traditionen. So ein neues traditionalistisches Denken hat hier auch eine beachtliche Schar AfD-Genossen zusammengebracht: Jörg Meuthen ist ebenso dabei wie Holger Arppe, Alexander Gauland und weitere Prominente der Partei.
Gemeinsam ist man am 4. Juni 2016 am Kyffhäuser-Denkmal zusammengekommen, zum zweiten Treffen des konservativen Flügels der AfD. Was bei einer sowieso schon rechtskonservativen Partei zunächst widersprüchlich und angeschärft klingt, gibt es bei der AfD tatsächlich auch: Eine rechtsintellektuelle Eskalationsmaschine, ein Think-Tank zur Abwehr eventuell erlahmender AfD-Gesinnungen. Eine vaterländische Mahnstelle in Bestbesetzung.
Man hat sich in der „Burghof Kyffhäuser Denkmalwirtschaft seit 1892“ verabredet. Die Besucher und Gäste fühlen sich der „Erfurter Resolution“ verpflichtet, einem Strategiepapier Björn Höckes und André Poggenburgs, des Landesvorsitzenden der AfD in Sachsen-Anhalt. Dort wird unter anderem eindringlich davor gewarnt, sich „ohne Not“ dem etablierten Politikbetrieb anzupassen. Man prangert an, dass aus den eigenen Reihen heraus „Mitglieder verprellt und verstoßen“ wurden, „deren Profil unverzichtbar ist.“ Und man würde sich leider immer noch von bürgerlichen Protestbewegungen fernhalten. Hier sind wohl Pegida und Co gemeint. So ist auch die Anwesenheit von Götz Kubitschek interessant, dem bisher die AfD-Mitgliedschaft verwehrt wurde, der aber bei Pegida eine wesentliche Rolle spielte oder noch spielt.
Musik für jeden Anlass
Resolutionsschreiber Höcke ist Hauptredner am Kyffhäuser.
Mein Kampf, unser Kampf, Gefährten, Gleichgesinnte. So ungefähr beginnt der Kamerad seine Ansprache vor verwitterten wuchtigen Steinmauern. „Ich glaube, ich könnte zu jedem den ich hier sehe eine Geschichte erzählen.“, erklärt er lächelnd. Der Security-Krieger in der schwarzen Uniform neben dem Podium schaut aber davon ungerührt weiter ganz finster drein. Rechts von Höcke hängt die Deutschlandfahne ein wenig schlapp im lauen Windchen. Die Wimpel der Kapelle neben Höcke erscheinen seltsam subversiv. Dort heißt es nämlich, fast wie eine Entschuldigung, hier mitzuspielen: „Die lustigen Dorfmusikanten. Musik für jeden Anlass.“ Wirklich für jeden?
„Die meisten Geschichten die ich erzählen könnte, würden nicht nur von flüchtigen Begegnungen handeln. Die meisten Geschichten die ich erzählen könnte, wären Geschichten eines langen, eines jahrelangen gemeinsamen Kampfes. Mit jedem einzelnen hier verbindet mich ein jahrelanger gemeinsamer Kampf. Und es ist ein gemeinsamer Kampf, der letztlich liebe Freunde über die politische Zukunft, über die Existenz unseres Landes und unseres Volkes entscheiden wird. (…) Wir wollen auch in Zukunft noch als ein Volk, das in einer intakten Solidargemeinschaft zusammen leben darf, verbringen. (…) Das ist ein großes Fest der Vaterlandsliebe, das wir heute feiern.“
Der gebürtige Westfale, der in Thüringen seine Zelte aufgeschlagen hat, ist so ein typisches Westpflänzchen auf der wiedervereinigten Bühne der Rechtsdenker. Wer die Entwicklung der Rechtskonservativen im Westdeutschland der Nachkriegszeit mitverfolgt oder ein paar Etappen lang miterlebt hat, spürt sofort das Habitat des AfD-Politikers. Die Rhetorik, der Gestus, diese Unabdingbarkeit gepaart mit unverrückbarem Sendungsbewusstsein kommen aus den westlichen Düsterecken der Republik. Bis zur Wende rumpelte das alles mehr oder weniger im Untergrund. Verortet in traditionellen Zirkeln, in Traditionsvereinen mit eigenen Publikationen, unterfüttert mit intellektuellen Größen wie Karlheinz Weißmann und europäisch vernetzt bis hin zu Alain de Benoist (Grabert-Verlag) und Zeitschriften wie „Elements“, „Diagnosen“, (später: „Code“) oder den Publikationen des Thule Seminar. Gespeist wurde das alles von Geschichtsrevisionismus, Rückwärtsgewandetheit und am Leben erhalten vom unbedingten Willen, das Gestern im Heute neu aufzuschreiben. Erst nach der Wende begann man sich verstärkt der Tagespolitik zuzuwenden, der Kritik am materiellen Liberalismus und einer zunehmend identitär orientierten Kritik an den so verachteten bestehenden politischen Verhältnissen in Deutschland.
Letzte evolutionäre Chance fürs geliebte Vaterland
Für Höcke bedeutet sein „Flügel“
„eine Rückversicherungsgemeinschaft unserer AfD. Der Flügel ist ein Garant dafür, dass diese Partei, unsere Partei immer weiß und eingedenk dessen auch lebt und handelt, das sie die letzte evolutionäre Chance für unser geliebtes Vaterland ist, und das sie immer das Richtige vom Falschen und das Unwichtige vom Wichtigen zu scheiden weiß.“
Der Auftritt Höckes am Kyffhäuser darf als nostalgische Rückbesinnung auf Vorwendezeiten verstanden werden: Damals, als man noch unter sich war, als man sich noch in versteckt verwinkelten Gasthöfen traf ohne ätzende Gegendemo um dann gemeinsam unterm Hirschgeweih diese merkwürdig verklärte Deutschlandliebe in die erdigen Bierhumpen zu husten. Höcke war damals noch viel zu jung um wirklich dazuzugehören. Die alten neuen Geschichten der alten und neuen Kämpen waren wohl Grund genug für ihn für dieses zünftige Reload.
Und so klingt das alles auch leider. Wenn das die intellektuelle Aufladung der Partei sein soll, dann brauchen sich die Etablierten keine Sorgen machen. Für Höcke ist, wer beispielsweise den Kyffhäuser für einen Denkmal des Militarismus hält,
„ein armes Würstchen ohne historisch-politisches Tiefenbewusstsein, der ist nichts anderes, als ein Stück Treibgut auf dem Strom der Geschichte. (…) Es kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass diese Zeit von 1871 bis 1914 eine Hochzeit unseres Volkes gewesen ist.“
Das ist alles so wenig kompatibel mit dem Heute, das ist so sehr düstere 1970/80er-Rezeption dieser isolierten bundesrepublikanischen Rechten, das man schon schmunzeln muss. Höcke erinnert in seiner Rede mit stolz geschwollener Brust an das 16. Jahrhundert. Damals, als das Volk noch auf die Wiederkunft des Stauferkaisers Friedrich des Zweiten wartete. Ja, es klingt spaßig, wird aber bierernst von ihm so vorgetragen. Die ganze Sache ist auf eine Weise majestätisch-religiös aufgeladen und hat nur noch ganz wenig mit dieser spießig verbohrten Religiosität beispielsweise einer Beatrix von Storch zu tun hat.
Dieser Björn Höcke und seine Mitstreiter im „gemeinsamen Kampf“ glauben tatsächlich an so etwas wie einen mythisch aufgeladenen Auftrag. Die AfD als Heilandspartei. Höcke erklärt seinen Zuhörern ohne mit der Wimper zu zucken, dass dieser Stauferkaiser, „dieser weltgewandte und hoch gebildete Herrscher (…) vor 900 Jahren eine Universalreichsidee (entwickelte) die für die bevorstehende und so notwendige Neuordnung Europas noch sehr interessante Impulse bereithalten könnte liebe Freunde.“ Also fast tausend Jahre alte Impulse für eine tausendjährige AfD. Herrje.
Das kann man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Man ist also in freudiger Erwartung einer bevorstehenden Neuordnung Europas nach Friedrich II Gnaden. Was hat es nun auf sich mit diesem mythischen Denken? Nur Trotzreaktion auf eine Unterstellung des politischen Gegners? Gegenbewegung auf diese Verunglimpfungs-Aktionen aus Politik und „Lügenpresse“? Von wegen. Höcker erklärt es uns weiter, und das muss man mal im O-Ton hören und lesen:
„Liebe Freunde, innere Kraft aus Mythen zu schöpfen ist in Wendezeiten immer hilfreich gewesen. Und wir leben ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer zweifellos wieder in einer Wendezeit. Und wir haben die Aufgabe uns unsere großartige Geschichte wieder neu anzueignen. Und das ist auch eine Aufgabe, die ich für den „Flügel“ identifiziert habe. (…) wir müssen uns dabei natürlich die gemeinschaftbildende Kraft des Mythos wieder neu erschließen indem wir uns dieser gemeinschaftsbildenden Kraft der Wirkung des Mythos vollumfänglich öffnen. Dieser neue Mythos wird drüber entscheiden, ob diese neue Wendezeit von uns nur erlebt und erlitten wird, oder ob wir als AfD, und das ist mein Wille und mein Begehr, und ich weiß, es ist auch Eurer Wille und Eurer Begehr, ob wir diese Wendezeit nicht nur erleben und erleiden, sondern tatkräftig gestalten.“
Des Kaisers neue Kleider
Man will also deutsche Geschichte nicht nur immer weiter erleiden, sondern man sieht sich selbst als Partei in der Rolle des Siegfrieds, des Weltenretters. Dass ist schon ein beachtlicher Mix aus den Tiefen einer Wagneroper aufgeführt in irgendeiner Eckkneipe ausgestattet in miefigstem Gelsenkirchner Barock. Für Höcke sind wir Deutschen entwurzelt und nur seine AfD biete jetzt die passende Orientierung in dieser ach so dunklen deutschen Stunde:
„Das permanente mies- und lächerlich machen unserer Geschichte hat uns wurzellos gemacht. Es gilt aber nach wie vor die alte Einsicht: Der Mensch ist auf Orientierung hin angelegt.“
Vor der Wende, sogar noch bis vor wenigen Jahren ständen wir hier vor einem nostalgieverbrämtem Häuflein ewig Gestriger ohne Ideen, ohne adäquate Visionen ins Morgen. Allenfalls ein rechtes Traditionsvereinchen, dass man belächeln, von dem man sich sogar mal ohne Gefahr die Geschichte des Kyffhäusers erklären lassen kann, wenn man da zufällig mal vorbeifährt. Oder wenn man so einen Flügel-AfDler als Anhalter auf dem Rücksitz zwischen geparkt hat.
Lehrer Höcke hatte die Erfahrung der Vorwendezeit mit im Schultornister: Damals, als es einfach nicht weitergehen wollte mit der Bewegung. Als Geschichte immer nur von anderen neu geschrieben wurde, aber der Revisionismus des Gewesenen auf der Strecke blieb. Auf Schreibmaschine transkribiert und abgeheftet in irgendwelchen verstaubt verranzten Leitz-Ordnern beim bundesdeutschen Verfassungsschutz. Dort weggeschoben und aufgehoben bis zum Sankt Nimmerleinstag.
Nein, Höcke möchte jetzt endlich auch Zukunft mitgestalten. Und da wird es dann wirklich unangenehm. Er will, so verkündet er am Kyffhäuser kryptisch:
„die gegenwärtige Kultur. Die neu schaffende und nicht die restaurierende Kultur. Er will eine deutsche Kultur mitgestalten, die sich am Fortschritt und der Entwicklung orientiert. Eine „an der immer noch wachsenden analogen wie noch viel mehr digitalen Mobilität orientierte Kultur des Austausches, des Verwebens von Ideen aus allen Kulturen hin zu wieder neuen Gebilden, die ja nicht zwangsläufig in der einen langweiligen Weltkultur enden müssen.“
Hä?
Egal, jedenfalls hat Björn Höcke sein eigenes Dilemma und das seiner Bewegung erkannt: Die Pflege der Regionalität ist für ihn nicht mehr „gleichbedeutend mit einer Rückbesinnung, einer Umkehr und einem traurigen Blick zurück auf irgendeinen alten Kaiser im Kyffhäuser, auf dessen Auferstehung wir zu warten hätten, wenn wir wieder wer sein möchten in Europa als Deutsche.“ Nein, der neue Kaiser trägt die Farben der AfD. So will Kaiser Höcke in den Endkampf ziehen gegen eine linksversiffte Diktatur der Deutschlandverächter. Des Kaisers neue Kleider.
Oberwasser für die ewig Gestrigen
Mit Höcke sind restaurative Kräfte am Werk, die allerdings nur deshalb überhaupt soviel Gehör finden, weil die etablierten Parteien selbst mittlerweile so viele restaurative Elemente auf sich vereinen. Ein Widerspruch? Nein, denn die Etablierten zeigen dabei so verdammt wenig innovative Kraft und sind auf eine Weise handlungsunfähig, das für den Moment diejenigen Oberwasser bekommen, die auf eine Restauration einfach viel besser abboniert sind. Die das Gestern einfach besser verkaufen können, als jene etablierten Maulhelden, deren Fortschrittsglaube schon so gestrig erscheint, dass sie ganz vergessen haben, mal das Hier und jetzt in ihre Überlegungen mit einzubeziehen: den Wähler von heute.
Millionen Menschen, die Zukunft mitgestalten wollen aber immer mehr das Gefühl haben, das man sie einfach nicht lässt. Die erleben, das Engagement nur dann etwas taugen darf, wenn andere zuvor die Rahmenbedingungen festgelegt haben, wenn andere die Marschrichtung vorgeben. Menschen, die das Gefühl haben, das man ihnen eine angemessene Partizipation nicht zugesteht. Dafür bekommt man jetzt einen Björn Höcke frei Haus. Und seinen Kumpel Gauland gleich dazu. Zwei Düstergestalten aus den Tiefen ans Licht empor. Und auf die bundesdeutschen Wahlzettel geballert. Ausgestattet ausgerechnet mit dem Mythos der Deutschlanderneuerung von Kaiser Friedrich II Gnaden. Ausgestattet von so einer bizarr anmutenden Kyffhäuser-Vorsehung. Höckes AfD sei „die letzte evolutionäre Chance für unser geliebtes Vaterland“? Eigentlich zum Schieflachen. Aber selbst schuld