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Was hängen blieb und was nicht

Heftig ist um Stimmen für und gegen den „Brexit“ geworben worden. Als Hauptargumente für den Ausstieg aus der EU setzten sich zum Schluss offenbar die Angst vor den finanziellen Auswirkungen und eine langwährende EU-Skepsis durch. Doch spielten noch zahlreiche weitere Faktoren wie etwa das Alter mit.

Lang und breit warnten kompetente Stellen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bis hin zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Bank of England vor den möglichen finanziellen Auswirkungen eines „Brexit“ - angefangen von einer höheren Arbeitslosigkeit bis hin zum Wertverlust des britischen Pfund und höheren Steuern. Irgendwann sei es bei den „Brexit“-Gegnern zum Overkill gekommen, so die BBC, während die Befürworter die Warnungen als Ängste der Eliten deklassifiziert hätten.

Falsche Zahlen blieben hängen

Dabei könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass zu wenige Menschen in Großbritannien von den vergangenen fünf Jahrzehnten EU-Mitgliedschaft profitiert hätten, so die BBC. Allerdings wurde nicht immer mit lauteren Mitteln argumentiert: Die „Brexit“-Befürworter etwa argumentierten, dass durch einen Austritt aus der EU 350 Mio. Pfund (430 Mio. Euro), die Großbritannien wöchentlich an die EU überweise, frei würden - die dann in das nationale Gesundheitssystem fließen könnten.

Brexit-Befürworter halten Schilder mit Slogans

APA/AFP/Oli Scarff

Vor allem ältere Menschen und Pensionisten stimmten für den „Brexit“

Allein, die Zahl stimmt nicht, weil dabei verschiedene andere Faktoren - wie etwa Geld, das aus der EU nach Großbritannien zurückfließt über diverse Förderungen und Projekte, und der Briten-Bonus - außer Acht gelassen wurden. Die Zahl blieb aber kleben, wurde eingängiges Aushängeschild der „Brexit“-Befürworter und sogar auf einen Bus affichiert. Laut Umfragen war es der erfolgreichste Claim der ganzen Kampagne.

Am Morgen nach der „Brexit“-Abstimmung sagte der Chef der rechtspopulistischen UKIP-Partei, Nigel Farage, dass diese Behauptung ein Fehler der Leave-Kampagne gewesen sei. Er betonte, dass er selbst aber nicht Teil dieser Kampagne gewesen sei. Er könne nicht garantieren, dass die Millionen nun tatsächlich dem britischen Gesundheitssystem zufließen würden, sagte Farage - und provozierte damit einen Aufschrei auf Twitter.

Aushängeschilder Johnson und Farage

Ein weiterer wichtiger Faktor waren laut BBC zudem die Proponenten für den „Brexit“, allen voran Boris Johnson. Der frühere Bürgermeister von London konnte mit seiner bodenständigen Art Wähler aus allen Lagern ansprechen. Der britische Justizminister Michael Gove stellte sich als Stratege in TV-Debatten der Öffentlichkeit und arbeitete auch viel hinter den Kulissen. Farage, quasi Verkörperung der Euro-Skeptiker, half - wenn auch nach seinen eigenen Regeln - ebenfalls mit.

Boris Johnson vor "Brexit"-Bus

Reuters/Darren Staples

Boris Johnson tourte durch ganz England

Farage machte laut BBC die Frage nach der Migration zum „Trumpf“ für die „Brexit“-Befürworter und spielte dabei mit der Angst vor der Türkei - was bei den gewählten Worten und Bildern selbst innerhalb des Pro-„Brexit“-Lagers für Spannungen sorgte. Die Flüchtlingskrise in der EU war dabei wohl mit ausschlaggebend. Mit dem Anspielen auf die nationale Identität konnten vor allem Wenigverdiener mit dem Argument gewonnen werden. Im Gegenzug konnten Premier David Cameron und die Labour-Partei, allen voran Labour-Chef Jeremy Corbyn, bei den „Brexit“-Gegnern laut BBC wenig punkten.

Junge waren für EU, Ältere dagegen

Ein gewichtiger Grund war zudem auch die hohe Beteiligung der älteren Wähler beim Referendum. Laut einer Umfrage von YouGov stimmten 75 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für einen Verbleib in der EU, bei den 25- bis 49-Jährigen waren es nur mehr 56 Prozent. Bei den über 65-Jährigen stimmten überhaupt nur mehr 39 Prozent der Wähler für Europa.

Bei der letzten Wahl in Großbritannien gingen laut BBC mehr als drei Viertel der über 65-Jährigen zur Wahl, bei den 18- bis 24-Jährigen waren es nur 43 Prozent. Im Sozialen Netzwerk Twitter bildete sich unter den Hashtags #Notinourname und #Whathavewedone bereits eine Gegenbewegung zum Ergebnis der Abstimmung. Sogar die Forderung nach einem zweiten Referendum gibt es mittlerweile.

Google-Suche nach „Brexit“-Folgen angestiegen

Vielen britischen Wählern scheint zudem die Tragweite der Entscheidung nur bedingt klar gewesen zu sein. Zwei Stunden nachdem die Wahllokale geschlossen hatten, stiegen die Anfrage bei Google nach Themen wie „Was passiert, wenn wir die EU verlassen“ und „Sind wir jetzt in der EU oder draußen?“, berichtete das Onlineportal Arstechnica. Weiters wurde nach „Was ist das EU-Referendum“ und als Topfrage - alles nach Ende des Referendums - „Was ist Brexit“ gesucht.

Arbeitslose für „Brexit“, Gebildete dagegen

Eine privat durchgeführte Umfrage des Geschäftsmanns Lord Ashcroft zeigt keine signifikanten Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Abstimmungsverhalten - große Differenzen gibt es aber je nach Alter, Ethnie, Bildung und Einkommen. Erwerbstätige stimmten eher für den Verbleib, nicht Erwerbstätige und Pensionisten dagegen. Das Alter spielte auch hier eine besonders große Rolle. 60 Prozent der über 65-Jährigen wählten den „Brexit“, fast drei Viertel der unter 24-Jährigen sagten Ja zur EU.

Weiße Briten stimmten zu 53 Prozent für den Austritt, während sich drei Viertel der schwarzen Wähler und zwei Drittel der Wähler mit asiatischen Wurzeln für die EU aussprachen. Außerdem stimmten Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen eher für den Verbleib.

Rund 12.000 Briten wurden für die Studie befragt. Der Hauptgrund, die EU zu verlassen, war dabei der Wunsch, dass Entscheidungen, die Großbritannien betreffen, auch im Land fallen sollten. Die möglichen Auswirkungen auf Wirtschaft, Jobs und Preise waren wiederum Gründe, gegen den „Brexit“ zu stimmen.

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