Vor einem Jahrhundert, wenige Wochen vor dem Krieg, leuchtete in Köln kurz die Zukunft auf. Schöner, heller, gerechter sollte sie werden, so versprach es die erste große Ausstellung des Deutschen Werkbundes, die von dem belgischen Architekten Henry van de Velde am 15. Mai 1914 eröffnet wurde. Heute ist das Datum nahezu vergessen, in Köln zeugt kaum noch etwas vom Ereignis. Dabei präsentierten die Künstler, Architekten und Designer des Werkbundes der Öffentlichkeit in jenen Tagen erstmals eine neue Ästhetik, die bereits auf die Ideen des Bauhauses und noch weit darüber hinauswies.

Zwei Jahre hatten die Vorbereitungen gedauert. Unterstützt wurde das Unternehmen vom Kölner Oberbürgermeister Max Wallraf, als treibende Kraft im Hintergrund wirkten der Baudezernent Carl Rehorst und Wallrafs Stellvertreter Konrad Adenauer, beide Mitglieder des Werkbundes. Fünf Millionen Mark standen zur Verfügung, eine gigantische Summe: Das war das Fünffache des nationalen Etats der Weltausstellung in Brüssel 1910. Auf dreieinhalb Hektar, am Deutzer Rheinufer, dem heutigen Rheinpark und Messegelände, zeigte der Werkbund, wie er sich die Produkte der Zukunft vorstellte.

Gegründet worden war der Werkbund 1907, unter anderem von Architekten wie Hermann Muthesius, Peter Behrens und Fritz Schumacher sowie von dem Reformpolitiker Friedrich Naumann. Der Kunstmäzen und Sammler Karl Ernst Osthaus trat früh bei und förderte die Vereinigung. Deren Ziel war es, nicht nur die Produkte, sondern auch den Arbeitsprozess umfassend zu reformieren. Das machte das Mitwirken von Industriellen erforderlich.

Entsprechend beleuchtete die Kölner Ausstellung sämtliche Facetten der Ware, wie sie hergestellt, verteilt und in welchem Umfeld sie verwendet wurde. Neben der von Theodor Fischer entworfenen Haupthalle gab es Sonderräume der Landschaften und Städte. Österreich war mit einem eigenen Gebäude vertreten, auch niederländische Mitglieder zeigten ihre Arbeiten, denn der Werkbund hatte längst auf die Nachbarländer gewirkt. Eine Ladenstraße mit Geschäften, Sparkasse und Postamt vermittelte Urbanität. Das Theater, ein kühner, skulpturaler Bau, stammte von van de Velde.

Die Zukunft der Produktion ließ sich anhand einer Musterfabrik erahnen, die Walter Gropius und Adolf Meyer mit lichtdurchfluteter Werkshalle und vollverglasten Treppentürmen gestalteten. Sie waren für den Expressionisten und späteren Werkbund-Vorsitzenden Hans Poelzig eingesprungen. Gewagte Avantgarde war auch die Kristall-Architektur des legendären Glashauses von Bruno Taut. Es überwand den geschlossenen Raum und leuchtete tags nach innen und nachts nach außen.

Das "Neue Niederrheinische Dorf", eine Mustersiedlung, thematisierte die Arbeits- und Lebensbedingungen der unteren sozialen Schichten. "Nicht aus sentimentaler Romantik, sondern aus der hell gesehenen und tief empfundenen Not der Gegenwart und dem aufrechten Willen für die Zukunft", so hieß es im Katalog zur Ausstellung, sei die Siedlung entworfen worden. Sie umfasste Wohnhäuser für Industriearbeiter, Gehöfte, Handwerksstätten, eine "Jugendhalle" und neben der Weinstube ganz im Sinne der Lebensreform auch ein "alkoholfreies Gasthaus".

Hermann Muthesius widmete ein Gebäude alleine der Farbenschau – in enger Kooperation mit der Chemie-Industrie. Ausgestellt wurden auch neuartige Kirchen- und Synagogenräume, die allerdings die Kölner Würdenträger überforderten. So weigerte sich der Erzbischof von Köln nach der Ausstellung, wie geplant Fenster für eine Kirche in Neuss zu übernehmen.

Angesichts der Zusammenarbeit so vieler kreativer Köpfe konnte während der Ausstellung ein interner Konflikt nicht ausbleiben. Im Kölner "Typenstreit" ging es um den Verbleib des Künstlers in der Industrieproduktion. Hermann Muthesius erblickte in der Konzentration auf den Typus, die der seriellen Produktion entgegenkam, eine neue Chance der Kultur. Van de Velde und seine Mitstreiter hingegen sahen die serielle Fertigung als eine Gefahr für den individuellen Stil an. Drohte nicht der Kultur durch Typisierung der Verlust des Individuellen? Konnte sich in der Ware unter diesen Umständen überhaupt noch eine Spur von Kreativität erhalten? Es ist dieselbe Frage, die sich später Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit stellte.

Gegründet hatte sich der Werkbund nach dem Vorbild des britischen Arts and Crafts Movement, das die Vereinigung von Kunsthandwerk und Kunst anstrebte. Es galt, das schlechte Image der deutschen Industrie am Anfang des Jahrhunderts aufzupolieren. Zwar hatte die technologische Entwicklung, wie sie insbesondere unter Wilhelm II. forciert worden war, viele qualitative Mängel beseitigt; das Reich stand nun mit an der Spitze der Industrieländer. Doch galten deutsche Waren auch weiterhin als "billig und schlecht". Den Deutschen hing der Ruf an, "Allerweltskopisten" zu sein, die über keinen eigenen Stil verfügten. Die Hersteller überhäuften alles mit wahlloser Ornamentik, erstickten die Funktion der Produkte in historischen Formzitaten und Kitsch. Den tonangebenden Schichten im wilhelminischen Reich entsprechend, bestimmte imperiale Protzigkeit den Geschmack.

Die Entwicklung eines deutschen Stils

Der Werkbund propagierte dagegen den "Willen zur Gestaltung". Die "Durchgeistigung der Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handel" sollte die Warenqualität heben. Er suchte den Königsweg, um in der Massenproduktion höchste Standards von Material und Form bieten zu können. Im Gegensatz zu den Romantikern des Handwerks, die auch unter völkischen Beiklängen eine Rückkehr zu den vorgeblich authentischen Materialien wie Granit oder Holz forderten, waren seine Künstler offen für die neuen Werkstoffe, die durch die florierende Industrie auf den Markt kamen.

Versachlichung war das Gebot der Stunde. Die Ware sollte endlich zum Zeichen ihrer selbst werden und keine Bedeutung außerhalb ihres Gebrauchs aufgepfropft bekommen. In diesem Geist schuf Peter Behrens, einer der wichtigsten Impulsgeber des Werkbundes, für die AEG die weltweit erste unverkennbare Markenzuordnung und erfand damit das Corporate Design. Ironischerweise läutete diese gestalterische Revolution eine Ära des Warenfetischismus ein, die sich ebenfalls wieder vom rein funktionalen Denken entfernte. Doch stritt der Werkbund nicht für eine kritische Warenästhetik, er wollte deutschen Produzenten auf dem Weltmarkt zu mehr Geltung verhelfen. Die Entwicklung eines eigenen Stils wurde seine Hauptaufgabe.

Das ging nicht ohne nationales Pathos. Die "Großmächte der deutschen Arbeit" sollten im Werkbund mobilisiert werden. Der Ton, in dem die wirtschaftliche Expansion gefordert wurde, gehörte zum imperialen Geist der Zeit. Das nationale Getöse selbst war noch nicht als Ornament des Politischen durchschaut. So scheiterte das ehrgeizige Projekt an der Gegenwart. Bereits im August 1914, nach mehr als einer Million Besucher aus aller Welt, schloss die Ausstellung vorzeitig.

1917 zeigte der Werkbund eine Kunstgewerbeausstellung in Bern mit dem Ziel, in der neutralen Schweiz für die deutsche Sache zu werben. Nach Kriegsende gestaltete der Werkbund die Grabkreuze Millionen deutscher Gefallener – einheitlich. Die Kölner Ausstellung mit ihren zukunftsweisenden Bauten wurde nach und nach abgerissen.

In den Zwanzigern und Anfang der Dreißiger kamen die progressiven Tendenzen des Werkbundes hingegen wieder stärker zur Geltung. Ein Höhepunkt war die Errichtung der Stuttgarter Weißenhofsiedlung unter der Leitung Ludwig Mies van der Rohes, mit der der Werkbund die Grundlagen für den Erfolg des Internationalen Stils legte. Dennoch blieb die Werkbund-Idee ein Bekenntnis zur modernen Warenästhetik, kein politisches Postulat. Gründungsmitglied Paul Schultze-Naumburg etwa glaubte von den zwanziger Jahren an, das Heil der Nachhaltigkeit im Blut-und-Boden-Kult der Nationalsozialisten zu finden. Auch faschistische Monumentalität und Sachlichkeit schlossen sich nicht aus.

Nach Köln kam der Werkbund erst 1949 wieder mit der Doppelausstellung Neues Wohnen und Die gute Form. Im selben Jahr wurde ein ehemaliger Geschäftsführer des Werkbundes Bundespräsident: Theodor Heuss.

Und heute? Was ist vom Werkbund geblieben?

Er hat Standards gesetzt, seine Devise "Schönheit in der Form befriedigt auch ohne Schmuck" ist von zeitloser Gültigkeit. Roland Günter, Vorsitzender des Werkbundes Nordrhein-Westfalen, sieht dementsprechend das Design der Gegenwart noch immer von den Werkbund-Ideen geprägt. Der Werkbund habe "unsere Probleme" formuliert: Sein erweiterter Blick auf die Produktion habe zu Themen wie Arbeitslöhne, Rohstoffe und Nachhaltigkeit geführt.

Umso überraschender, dass die Schau, die vor hundert Jahren fast alle Gestaltungsfragen der Moderne antizipierte, heute kaum erinnert wird. Die Stadt Köln lasse den 100. Jahrestag unbeachtet verstreichen, klagt Günter, keine Jubiläumswürdigung, nichts. Immerhin: Eine kleine Feierlichkeit richtet der Werkbund selbst aus. Und das Werkbund-Archiv plant im Sommer eine Ausstellung – in Berlin.