Eigentlich war die Welt zu kalt, zu hässlich und zu brutal, um sich an simplen menschlichen Glückseligkeiten wie Familie, Freundschaft oder Liebe aufzuwärmen. Stets wurde sie von knallenden Katastrophen aus den Angeln gehoben. Nichts wurde wieder ganz und gut. Nicht einmal Paprika Steen konnte etwas retten. Sie hat es oft genug versucht. Meist im Auftrag der Dogmabewegung. Wackere Deplatzierte: Paprika Steen als gute Mutter in einem schlechten Film

In Thomas Vinterbergs Das Fest rackerte sie sich als Tochter Helene im familialen Katastrophenschutz ab. Sie hat die Regeln der Scheinheiligkeit bewahrt, den Abschiedsbrief der missbrauchten Schwester für sich behalten, weil die Familie als sich selbst fortsetzendes System intakt bleiben sollte. Es nützte nichts. Bei Lars von Trier rettet sich die Schauspielerin, die in Dänemark auch als Kabarettistin bekannt ist, mit einer schon ins Panische kippenden Political Correctness aus einer unerträglichen Verkaufssituation mit den Idioten. Und in Open Hearts von Susanne Bier verursacht sie einen schrecklichen Unfall, bei dem sie ihren Mann, einen Arzt, an die Freundin des Verkehrsopfers verliert.

Paprika Steens Frauen sind die wackeren Deplatzierten. Die Utopistinnen, die bis zum Schluss an die Reformierbarkeit von Lebenslügen mit Strindbergschem Format glauben. Es sind ebenso engagierte wie erfolglose Krisenmanagerinnen in Übergangszeiten. Steens Talent, der Sehnsucht nach einer unmöglichen Versöhnung mit dem großen Scheitern ein Gesicht zu geben, ist vielleicht das liebenswerteste Pathos, das sich die Dogma-Werke geleistet haben. Umso verstörender wirkt es daher, wenn jetzt Okay von Jesper W. Nielsen so tut, als habe es all die intimen Systemabstürze im Steenschen Figurenkosmos nie gegeben. Als seien Lug und Trug nur eine Frage der Haltung.

Zeigten sich die Dogma-Regisseure und -Regisseurinnen hin und wieder, etwa in Mifune (Søren Kragh-Jacobsen) und vor allem in Italienisch für Anfänger (Lone Scherfig), versöhnlicher und konnten sogar in der Misere gelegentlich eine Kuschelecke entdecken, verbindet sich in Okay hingegen ein recht unmotivierter Optimismus mit fast schon mysteriöser Genügsamkeit. Letztlich ist dieser Film nur eine jener modernen Familienkomödien mit einer doppelt und dreifach belasteten Mutter, einem um Respekt ringenden, fremdgehenden Mann und einer gegen Zahnspangen rebellierenden Tochter. Eine freundliche Familienklüngelei, bei der eine Dogma-ähnliche Handkamera einen vordergründigen Realismus vorwackelt. Ein Problemfilmchen also, das mühelos in die Muttertagsprogramme öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten passen würde. Im Kino hinterließe es nur ein harmonisches Flackern. Gäbe es nicht Paprika Steen. Und die Momente, in denen sie nach einem ihrer polternden Lachanfälle so verloren zur Seite schaut, als sei sie auf einen fremden Planeten geraten, dessen Sprache und Gebräuche ihr unheimlich sind. Steen spielt die rührende und patente Hauptfigur Nete, Mutter einer renitenten Tochter und Frau eines unveröffentlichten Schriftstellers. Als Netes Vater schwer erkrankt, beschließt sie allen familiären Querelen zum Trotz, den kauzigen Patriarchen für seine letzten Lebenswochen in ihre Kleinfamilie umzutopfen. Schließlich ist es die einzige Gelegenheit, ihr eigenes Verhältnis zu dem Sturkopf vor der Ewigkeit zu klären und auch den schwulen Bruder zu einer finalen Umarmung des Alten zu bewegen.

Nete steht eigentlich für das Phänomen des vor Hingabe dampfenden Familientiers. Doch Steen unterfüttert ihre Opferbereitschaft mit einer gehörigen Portion Aggressivität. Und sie ist dabei am besten, wenn sie ihre Fürsorge als Übersprungshandlungen eines Wesens herausspielt, das sich in heimlicher Egozentrik für alles verantwortlich fühlt, alles kontrollieren will. Fast unmerklich muss sie schlucken, als sich die Lebenserwartung des Vaters unverhofft verlängert – einer der wenigen Augenblicke, in denen der Film etwas Doppelbödiges wagt.

Im Grunde geht es in Okay nicht um Schuld, nicht um moralische Defekte oder seelische Ausnahmezustände. Es geht ums Arrangieren und um die Vorzüge dosierter Erwartungen mit niedriger Fallhöhe. Um die prinzipielle, unter allen Umständen zu verfolgende Errettung der Familie und um die kulleräugige Botschaft vom großen Ertrag eines kleinen "Okay". Und so stehen die Protagonisten, von einer mittelschweren Ehekrise zerbeult, schließlich voreinander, spucken in die Hände und machen sich mit einer schon leidenschaftlichen Kompromissbereitschaft an die Sanierung ihres kleinen Glücks. Irgendwie ist alles machbar! Den tapferen Heimwerkern gehört die Zukunft.

Ein wenig interpretationswütig könnte man Nielsens in seiner Heimat erfolgreiche Familienbetrachtung als affirmativen Gegenfilm aus dem nun endlich Dogma-müden Dänemark sehen. Doch dazu wirkt Okay zu unentschlossen. Schließlich soll es ja das Authentische sein, der Rhythmus aus Freud und Leid, Problem und Lösung, dem er über die Schulter schaut.

So präsentiert sich in Okay die alltagsnahe Oberfläche als schlecht getarnte Vision vom Guten mit ein paar melancholischen Untertönen. Mit einer Paprika Steen als einsamer Botschafterin aus einer Zeit, in der sich das Leben noch nicht so einfach verpflastern ließ. In der das Schicksal noch nicht mit didaktischem Programm daherkam und die Menschen noch schwach, gemein und grau waren. Allein in ihren nervösen Zigarettenzügen steckt immer noch mehr Wahrhaftigkeit, als die meisten Filme vertragen können.