Wirtschaftskrise hin oder her – neu gebaut, umgebaut oder renoviert wird immer. Und viel installiert, vor allem Schalter. 20 Millionen Knipskästen versenken die Handwerker alljährlich in den Wänden deutscher Gebäude. Und zu jedem Schalter muss ein Kabel führen. In Rohbauten ist das noch leicht zu verlegen, im Altbau bedeutet jeder neue Schalter Kosten und Dreck. Für seine Verkabelung muss die Wand aufgestemmt, anschließend neu verputzt und tapeziert werden.

Nun kommt der kabelfreie Schalter. Aus München gelangt eine drahtlose Technik auf den Markt, die Licht, Jalousien, Klimaanlagen und andere Haushaltsgeräte fernsteuert. Funkschalter gibt es zwar schon lange, doch die vom Münchner Unternehmen Enocean entwickelten Geräte kommen ohne Batterien aus. "Kein Kunde akzeptiert die Umwandlung eines wartungsfreien in ein wartungsgebundenes System", sagt Enocean-Geschäftsführer Markus Brehler. "Wer hat schon Lust, alle paar Monate durchs Haus zu laufen, um in den Schaltern die Batterien auszuwechseln?" Deshalb sei es verständlich, dass Funkschalter über einen Marktanteil von einem Prozent nicht hinausgekommen sind.

Dieses Nischendasein soll nun die Piezoelektrik beenden. Wie beim Knipsen mit Feuerzeug oder Gasanzünder entsteht die elektrische Spannung in den neuen Funkschaltern durch das leichte Verbiegen eines piezoelektrischen Kristalls. Der Druck des Fingers, der den Schalter klicken lässt, reicht aus, um alle Energie für die Funkverbindung zum Empfänger in bis zu 300 Metern Entfernung zu erzeugen. Hierfür genügt eine verblüffend geringe Sendeleistung. Sie ist eine Million mal niedriger als bei einem Handy und wird auch nur dreimal für je eine halbe Millisekunde (Tausendstelsekunde) benötigt. Entsprechend war die Technik eine große Herausforderung, sagt Entwicklungsleiter Frank Schmidt: "Sie erforderte ein optimales Zusammenspiel von Piezoelektrik, Hochfrequenz- und Datenübertragungstechnik – und das auch noch zu sehr geringen Kosten, denn wir wollen Produkte für den Massenmarkt anbieten."

Von außen sehen die Anknipser nicht anders aus als bisherige Schalter. Aber sie lassen sich jederzeit versetzen und sogar auf Glaswände, Bäume oder ans Gartentor kleben. Die Prototypen arbeiten einwandfrei und haben auch 100000 Testschaltungen im Klimaofen unbeschadet überstanden. Ob sie im täglichen Einsatz bestehen, können die Bewohner einer Reihenhaussiedlung in Mönchengladbach demnächst beurteilen. Ihre Wohnungen werden ohne Aufpreis mit piezoelektrischen Schaltern bestückt.

Die Funktion einzelner Schalter lässt sich jederzeit neu programmieren, zudem kann ein Schalter mit kodierten Impulsen beliebig viele Empfänger steuern. Beispielsweise genügt ein Knopf an der Haustür, um in allen Räumen die Lampen auszuschalten. "Wir haben Hauskäufer mit Technikfaible ausgewählt", sagt Andreas Borrmann, technischer Leiter des Bauunternehmens Langen. Langen ist über eine Tochterfirma an Enocean beteiligt und hat daher ein doppeltes Interesse am Erfolg des Versuchs.

Seit diesem Monat gibt es die batterielosen Funkschalter auch im Handel. 100 Euro pro Stück kosten sie, dazu kommen 100 Euro für den Empfänger. Der hohe Preis orientiert sich an den bisherigen Kosten für das Verlegen neuer Kabel unter Putz. "Ein Funkschalter lohnt sich finanziell, wenn die Entfernung zwischen Schalter und Lampe mehr als ein paar Meter beträgt", meint Reinhold Fischer, Elektroinstallateur in Hannover. Einen Marktvorteil durch die frei programmierbaren Schaltmöglichkeiten sieht er nur in Bürogebäuden, nicht aber in Wohnhäusern. "Die Hausfrau will lieber goldene Wasserhähne als gute elektrische Schalter", ist seine Erfahrung.

Enocean-Geschäftsführer Brehler lässt sich von solcher Skepsis nicht beirren. In spätestens fünf Jahren soll sein Unternehmen an die Börse gehen. Mit diesem Ziel hat Siemens die Ingenieure vor zwei Jahren mit Startkapital ausgestattet und in die Selbstständigkeit entlassen. Schon haben Brehler und seine Kollegen mehr im Blick als simple Piezoschalter. Im Sommer wollen sie die Kabinen eines Kreuzfahrtschiffes funktechnisch aufrüsten. Automatisch soll sich dann etwa die Klimaanlage abschalten, wenn das Bullauge offen steht. Bei 16000 Sensoren auf einem modernen Schiff sollte sich mit Funktechnik einiges verdienen lassen. Das gilt noch weit mehr, wenn auch in Autos die Kabel verschwinden. Den Einstieg sucht Enocean über die ständige Reifendruckkontrolle, die in den USA bald obligatorisch ist. Hierbei hilft ein piezoelektrischer Funksensor, der im Reifen einvulkanisiert ist und den die Rollbewegung mit Energie versorgt. Im Labor funktioniert das schon.

Dennoch: Narrensicher ist die Piezoschalterei nicht. Zwar lassen sich die Funkschalter zur eindeutigen Unterscheidung mit vier Milliarden verschiedenen Kennungen versehen, alle funken sie jedoch auf der gleichen Frequenz knapp unterhalb der Handys. Und wenn die von einem schlecht abgeschirmten Hobbyfunker in der Nachbarschaft gestreift wird, bleibt nach dem Druck auf den Schalter aus, was aus war, und an, was an ist.