Mahnmal für Rafik Hariri an der Stelle der Detonation, die den früheren Premier am Valentinstag 2005 in die Luft riss|Foto:dpa-PA

Köpfe

»Beirut ist ein Ort der Verschwörungstheorien«

Interview: Behrang Samsami


Journalist Alfred Hackensberger über seinen Thriller »Letzte Tage in Beirut«, die möglichen Drahtzieher des Attentats auf den libanesischen Ex-Premierminister Rafik Hariri und die schleppende Aufarbeitung des Falles.


14. Februar 2005. Valentinstag. Es ist Mittagszeit in Beirut, als eine gewaltige Detonation die Innenstadt der libanesischen Hauptstadt erschüttert. Eine Bombe mit einer Sprengkraft von circa einer Tonne TNT richtet gewaltige Schäden an. 23 Menschen sterben bei dem Anschlag. Mehr als hundert werden verletzt. Unter den Toten und Hauptziel des Attentats ist der bis 2004 amtierende Premierminister Rafik Hariri. Sofort wird Syrien, bisher dominierende Macht im Nachbarland Libanon, dafür verantwortlich gemacht. Doch steckt wirklich Damaskus dahinter? Würden nicht auch westliche Staaten oder Israel von den Folgen eines solchen Anschlags profitieren?

 

In seinem Thriller »Letzte Tage in Beirut« geht der Journalist Alfred Hackensberger dieser Frage nach. Wie in einem Episodenfilm treten Politiker und Wirtschaftsbosse, Berufskiller und Taxifahrer, aber auch Journalisten und die Angehörigen eines Selbstmordattentäters auf. Zwischen die ereignis- und dialogreichen Szenen sind Ausschnitte aus Fernseh- und Radiosendungen montiert. Die Vielzahl an Figuren und Meinungen schafft ein collagenhaftes Bild der damaligen Situation im Libanon.

 

zenith: Herr Hackensberger, bis heute weiß man nicht, wer hinter dem Attentat auf Rafik Hariri steckt. In Ihrem Buch ist der Drahtzieher eine Interessenallianz, die Sie »Freie Arabische Union, mit Partner Israel« nennen.

 

Alfred Hackensberger: »Letzte Tage in Beirut« ist Fiktion. Da kann man der Verschwörungstheorie, der Phantasie, freien Lauf lassen. Aber gewöhnlich ist es so: Wenn ein Attentat in einer solchen Größenordnung an so einem Ort wie Beirut stattfindet, ist es unheimlich schwierig, dass niemand etwas davon erfährt. Man überlegt: Ist es für uns gut oder schlecht, wenn wir es laufen lassen oder nicht. Und entscheidet sich dafür oder dagegen. Und in diesem Fall haben sich viele dafür entschieden.

 

Wer hat die Sache im Fall Hariri laufen lassen?

 

Der syrische Geheimdienst und der libanesische Geheimdienst, aber auch die Iraner, die im Libanon eine große Rolle spielen. Die Hizbullah und natürlich auch Israel. Zu diesem Zeitpunkt, 2005, hatte Israel noch eine riesige Präsenz im Libanon.

 

Was wird den Israelis von ihren Gegnern vorgeworfen?

 

Die Hizbullah sagt, dass ein israelischer Spion ein oder zwei Tage vor dem Attentat am Tatort gewesen sei. Und dann hat die Hizbullah die Aufnahmen von israelischen Drohnen präsentiert, die irgendwann in Beirut aufgenommen worden sein sollen. Und die Drohne, die angeblich die Attentatsroute überflogen hat. Das habe ich auch in den Roman aufgenommen. Es gibt auch diese komische radikalislamische Gruppe (»an-Nusra wa l-Dschihad fi Bilad asch-Scham«, etwa »Unterstützung und Dschihad in Groß-Syrien«, Anm. d. Red.), die wahrscheinlich erfunden worden ist. Sie sollte das Attentat begehen. Hier gibt es aber wieder reale Bezüge. Es scheint so zu sein, dass da jemand etwas angestupst und dann noch einmal nachgeholfen hat.

Alfred Hackensberger

wurde 1959 geboren. Er studierte Germanistik, Soziologie und Politik. Nach Stationen in München, New York, Hamburg, Tanger und Beirut lebt er heute auf Lanzarote. Er ist Nordafrika-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien. Bisher erschienene Bücher (Auswahl): »I am Beat« (1998), »Arabien Remixed« (2006) und »Lexikon der Islamirrtümer« (2008).

Was meinen Sie damit genau?

 

Mir geht es um die Grauzone. Das beste und aktuellste Beispiel ist Syrien. Offiziell haben die Amerikaner 2005 Sanktionen gegen Syrien verhängt, um das Regime zu bestrafen. Gleichzeitig hat der amerikanische Geheimdienst Al-Qaida-Leute nach Syrien gebracht, um sie dort foltern zu lassen. Die USA haben sie dort mit Fragen an die Syrer abgegeben und den Syrern gesagt: Da habt ihr sie zum Verhör. Und in vier Wochen haben die Amerikaner die Al-Qaida-Leute wieder abgeholt. Es gibt Fälle, bei denen man selbst mit dem offiziellen Gegner im Geheimnisbereich unter Umständen die besten Beziehungen haben kann. Eben weil das nicht offiziell und abhängig von der offiziellen Politik ist, sondern von Geben und Nehmen und wie man sich kennt.

 

Ihrem Thriller haben Sie einen Satz vorangestellt: »Wer am Valentinstag jemanden mit 2.500 Kilogramm Sprengstoff in die Luft jagt, soll man den einen Spaßvogel oder einen Zyniker nennen?« Was sind die Mörder aus Ihrer Sicht?

 

Es ist schon beides. Klar, es ist zynisch jemanden umzubringen. Aber ich erinnere mich, dass ich, als ich nach dem Attentat nach Hause ging und in den Geschäften die Blumen vom Valentinstag gesehen habe, schon auch schmunzeln musste.

»Fast wäre zu einer Umkehrung der Interessenverhältnisse im Nahen Osten gekommen«

Wer hat denn nun am meisten davon profitiert, Rafik Hariri loszuwerden?

 

In seinem Fall hatte sie der Westen. Nicht die Syrer, die haben nur eingesteckt. Für die lief es nur schlecht. Es gab eine Protestbewegung, in deren Folge die Syrer abziehen mussten. Die wurden verunglimpft und als Mörder beschimpft. Hariris Sohn Saad ist danach Premierminister geworden und hat eine prowestliche Regierung gebildet. Für den Westen lief es also ganz gut, weil er nach dem Attentat einen Verbündeten gegen die Hizbullah hatte. Und auch für Israel waren die Folgen gut. Hariris Sohn Saad wollte Hizbullah an den Kragen. Das hat dann nicht geklappt. Aber es wäre fast zu einer Umkehrung der Interessenverhältnisse im Nahen Osten gekommen.

 

War der Krieg, den Israel 2006 gegen die Hizbullah im Libanon geführt hat, damit gewissermaßen eine Fortsetzung dieser Politik?

 

Das könnte man sich so vorstellen. Der Krieg hat Saad Hariri gepasst, aber Israel hat sich verschätzt. Es dachte, es könnte der Hizbullah einen solch heftigen Schlag versetzen, dass es dann mit dieser bergab geht. Aber Israel hat das Gegenteil erreicht und feststellen müssen, dass die Hizbullah wesentlich weiter ist, als Israel es sich überhaupt hat vorstellen können.

 

»Letzte Tage in Beirut« liest sich wie ein Episodenroman und erinnert an Filme wie »Syriana«. Ein anderer Film, »Pulp Fiction«, wird im Buch selbst erwähnt.

 

Ich mag »Syriana« sehr. Es könnte schon sein, dass er unterbewusst mitgemischt hat. Aber ich versuche immer, dokumentarisch zu arbeiten und aus einer Mischung von Realität Fiktion zu schaffen. Collagen. Letztendlich ist das Buch wie ein Film.

 

In Ihrem Thriller wirkt der Libanon wie ein Land, das nicht zum Frieden kommen kann, weil hier Kräfte mit sehr konträren Interessen aufeinander stoßen.

 

Wie jetzt in Syrien so sind es auch im Libanon weniger die lokalen Kräfte, die ein Chaos bereiten, als die von außen. Der Krieg in Syrien wirkt sich vollkommen destabilisierend auf den Libanon aus. Er hat den Libanon zwar polarisiert, aber nicht zu sehr auf der politischen Ebene. Ansonsten gäbe es einen neuen Bürgerkrieg.

 

Klaus Steinbacher, ein deutscher Journalist, ist einer Ihrer Romanfiguren. Nach dem Attentat auf Hariri gerät er unfreiwillig in die Nähe arabischer Auftragskiller, die in die Ermordung verwickelt sind. Inwieweit haben Sie hier eigene Erlebnisse verarbeitet?

 

Sicherlich ein bisschen. Ich war im Februar 2005 vor Ort und habe eigene Erlebnisse mit anderen Personen vermischt. Es gibt im Buch eigentlich Nichts, das nicht einen dokumentarischen Hintergrund hätte.

»Alle Figuren sind Gefangene ihres Schicksals«

Einige der realen Personen haben in »Letzte Tage in Beirut« fiktive Namen. Etwa der Sicherheitschef Rafik Hariris, Wissam al-Hassan, der bei Ihnen Ayehi Bara heißt.

 

Wissam al-Hassan ist zwar 2012 bei einem Anschlag gestorben. Den Namen habe ich aber aus Rücksicht geändert und Einiges dazu erfunden. Wenn man eine solche Figur als Verräter darstellt, ist es nicht schön, den realen Namen zu benützen. Ich wollte das nicht tun – aus moralischen Gründen.

 

Die Figuren in Ihrem Thriller agieren allesamt egoistisch und opportunistisch.

 

Sie sind alle Gefangene in ihrem Schicksal. Keiner kommt dort heraus. Sie wirken zwar frei und unabhängig, aber letztendlich sind sie alle gefangen und gezwungen. Das ist so in den Kategorien, in denen diese Personen spielen. Das System zwingt sie in die Knie. In ihren Milieus gibt es keinen Ausweg. Da muss man egoistisch sein. Ansonsten kommt nicht man weit, weil alle so sind. Selbst die besten Freunde.

 

Im Thriller behaupten einige Figuren, dass die meisten Menschen naiv seien. Politische Intrigen, die bis zu Mord führen könnten, gäbe es für sie nur im Kino.

 

Wenn man einen James-Bond-Film sieht, denkt man, das wäre furchtbar irreal. Aber das, was in der Realität passiert, ist viel schlimmer. Es ist meine Erfahrung mit Kriegen und Geheimdiensten. Im Kino wird es einem ja plausibel gemacht. Man glaubt es irgendwie, aber man will es nicht wahrhaben, dass es in Wirklichkeit genauso ist und noch schlimmer.

»Die Realität hat den Roman geschrieben«

Sie arbeiten als Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien. Eine Erzählung und Biografien haben Sie ebenfalls geschrieben. Jetzt liegt Ihr erster Roman vor. Was war der Anlass, sich mit dem Libanon auseinanderzusetzen?

 

Ich fand es faszinierend: Hinter der Ermordung Hariris steckten von Anfang an viele Ungereimtheiten. Das betrifft auch die Untersuchungskommission unter dem Vorsicht des Berliner Oberstaatsanwalts Detlev Mehlis. Ich habe zwei Jahre in Beirut gelebt. Es ist ein Ort von Verschwörungstheorien, so dass sich ein solcher Stoff irgendwann anbietet. Die Realität hat praktisch den Roman geschrieben.

 

Ihr Thriller erscheint zu einer brisanten Zeit. Im Januar 2014 wurde in den Niederlanden ein Prozess gegen vier Hizbullah-Mitglieder in Abwesenheit eröffnet, denen vorgeworfen wird, Ex-Premierminister Rafik Hariri getötet zu haben.

 

Der Punkt ist der, dass man nur in eine Richtung ermittelt und sich damit zufrieden gegeben hat. Man weiß ja gar nicht, was ermittelt, nicht ermittelt oder unterschlagen worden ist. Der Fall ist nicht umfassend bearbeitet worden. Und schon gar nicht von der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen. Wenn man eine Theorie von vornherein ausschließt, obwohl es Hinweise gibt, und dann nur eine untersucht, ist das eine andere Geschichte. Die Hizbullah sagt, die Telefonunterlagen sind von den israelischen Spionen in den Telekommunikationsfirmen manipuliert worden – wenn es die Unterlagen denn überhaupt gibt. Und selbst wenn es diese Beweise gibt, sind es nur Indizien, die normalerweise für eine Verurteilung nicht ausreichen würden.

Letzte Tage in Beirut

Alfred Hackensberger

Edition Nautilus, 2014

160 Seiten, Euro 12,90



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