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NSA-Affäre
Der US-Geheimdienst NSA hört mit - auch am Handy von Kanzlerin Merkel. Hilft die Äffäre dem Whistleblower Edward Snowden?

26. Oktober 2013

NSA-Skandal: Zeit der Witze über Spione ist vorbei

 Von  und 
Wolken über einer Abhörstation des NSA am Teufelsberg in Berlin.  Foto: rtr/Pawel Kopczynski

Lange wollte niemand in der Bundesregierung wahrhaben, dass ein enger Verbündeter mitlauscht. Jetzt kaut die Regierung um Bundeskanzlerin Angela Merkel an ihren Dementis aus dem Sommer.

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Lange wollte niemand in der Bundesregierung wahrhaben, dass ein enger Verbündeter mitlauscht. Jetzt kaut die Regierung um Bundeskanzlerin Angela Merkel an ihren Dementis aus dem Sommer.

BERLIN/BRÜSSEL –  

Über Willy Wimmer und den Kühlschrank haben sie immer etwas gelächelt im Bundeskanzleramt, aber jetzt erinnert man sich an ihn. Willy Wimmer war mal vier Jahre Staatssekretär im Verteidigungsministerium, bis 1992. Danach saß er noch weitere 17 Jahre im Bundestag.

Proteste

In der NSA-Spionage-Affäre gibt auch dem Protest in der Bevölkerung gegen den Überwachungswahn neuen Aufschwung.

In mehreren deutschen Großstädten finden am Samstag, 26. Oktober, Mahnwachen und Demonstrationen statt, darunter in Frankfurt, Hannover, Leipzig, Lübeck.

Details zu einzelnen Aktionen finden sich auf der Seite des Kritikernetzwerks: stopwatchingus.org.

Wenn man sich mit ihm unterhalten habe, so erzählen jetzt Regierungsleute, habe Wimmer gerne gewarnt: „Vorsicht, der CIA hört mit.“ Er habe dann darauf hingewiesen, dass die Handys eigentlich jetzt in einen Kühlschrank gehörten. Nur so könne sichergestellt, werden, dass niemand über die Mobiltelefone das Gespräch verfolge.

Relativ schockiert

In der Regel war wohl kein Kühlschrank zur Hand, aber es hört sich auch nicht so an, als hätte man den Staatssekretär wirklich ernst genommen. Der Rheinländer Wimmer galt nicht als Amerika-Freund, sein Hinweis war auch sehr plakativ, klang nach James Bond und zu viel Fantasie. Man kann sich gut vorstellen, wie Merkel gelächelt haben könnte, ein wenig spöttisch vielleicht sogar.

Jetzt sind die Zeiten des Spotts vorbei.

Zwar hört nicht die CIA mit. Den Job hat stattdessen jedoch offenbar ein anderer US-Spionagedienst übernommen: Die National Security Agency (NSA), die schon seit Monaten wegen Abfischens von Daten von Bürgern wie Politikern in der Kritik steht, hat wohl auch Merkels Handy überwacht. Das hat die Bundesregierung am Mittwochabend relativ schockiert mitgeteilt. Wie gesagt, man erinnert sich gerade wieder an Willy Wimmer im Kanzleramt.

Und in der Regierung gibt es noch andere Assoziationen: Kalter Krieg, John Le Carré. Also doch: Die Realität nähert sich dem Spionageroman. Man habe bisher immer mal Witze gemacht, wenn es im Telefon mal geknackst habe, sagt jemand. Jetzt wird der Witz durch ein leichtes Schaudern ersetzt.


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Ob es Merkel auch geschaudert hat, weiß sie nur selber. Zu hören ist, dass sie auf die Nachricht betroffen reagiert habe. Am Freitag vor einer Woche hat sie die Informationen bekommen, in Form einer Anfrage des „Spiegel“. Ein Formular mit ihrer Handynummer wurde vorgelegt.

Sie hat es erst einmal ein paar Tage prüfen lassen, US-Mitarbeiter wurden ins Kanzleramt bestellt. Der Verdacht zerstreute sich nicht, sondern bestätigte sich eher.

Merkel greift zum Hörer und wählt die wichtigste Nummer der USA, sie telefoniert mit US-Präsident Obama. Der versichert ihr zwar: „Wir tun es nicht und werden es nicht tun“, heißt es. Das „Wir haben es nicht getan“ fehlt aber.

Merkel schaltet auf Angriff

Die Veröffentlichung des „Spiegel“ steht im Raum, Merkel schaltet auf Angriff und macht die Sache selbst bekannt. Gerade hat die Regierung noch das Ausspähen von Millionen von Bürgern in Frankreich unkommentiert gelassen. Nun lässt sie ihren Sprecher eine Pressemitteilung verschicken, in der von einem möglichen „gravierenden Vertrauensbruch“ die Rede ist. Das Auswärtige Amt bestellt den US-Botschafter ein, die schärfste Form des diplomatischen Protests.

Merkel selbst muss nach Brüssel zum EU-Gipfel. Sie hatte dort eigentlich anderes vor: Zu Beginn ihrer dritten Amtszeit als Kanzlerin wollte sie dort ihre europapolitische Isolierung überwinden. Sie hatte dafür zwei Papiere lanciert zur EU-Reform. Einiges findet sich später im Abschlusspapier des Gipfels. Aber das Thema ist ein anderes.

Und es ist eine absurde Choreografie, dass Merkel vor dem EU-Gebäude ausgerechnet mit einem Auto vorfährt, das das belgische Kennzeichen 007 trägt. Aus dem Auto schwingt sich nicht James Bond, sondern steigt Angela Merkel und sagt ihren Satz vom Sommer: „Abhören unter Freunden – das geht gar nicht.“ Es ist kein Auftritt als Reformkönigin Europas.

Angela Merkel fängt sich rasch wieder. Als sie in den Tagungssaal tritt im Brüsseler Ratsgebäude mit dem großen, runden Tisch in der Mitte, an dem die Regierungschefs ganz allein unter sich sind, ohne Berater, ist für einen kurzen Moment das Mikrofon angeschaltet. „Gemeinsam abgehört, verstärkt die Freundschaft“, wispert Merkel dem Ratspräsidenten Herman Van Rompuy zu und lächelt. Allerdings: Der belgische Telefonkonzern Begacom wurde von der NSA gehackt.

Der Britische Geheimdienst GCHQ hat Anschlüsse in Italien angezapft. Schweden unterstützt die USA. Die wiederum hat auch EU-Institutionen ausspioniert. Wer soll da wem überhaupt noch vertrauen können? Erst einmal geht es in Brüssel weiter mit dem normalen Geschäft: Bankenunion, Reformverträge.

Das ist auch das Erste, worüber Merkel spricht, als sie kurz nach halb zwei Uhr am Freitagmorgen im deutschen Pressesaal des EU-Gebäudes auftritt. Erst nach einer Viertelstunde geht es um die Spionage.

Merkel: „Da ist Vertrauen erschüttert worden“

Im Sommer hat sie viel vom Abwarten gesprochen, davon, dass die USA noch Zeit brauchten, um die Vorwürfe aufzuklären. Dass auch in Deutschland geprüft werde. Sie hat ihren Ministern die Verantwortung zugeschoben, Hans-Peter Friedrich (CSU) nach Washington entsandt – als Ablenkung von sich, sozusagen. Auch jetzt bleibt Merkel ruhig und kühl. Aber etwas hat sich verschoben in der Wortwahl.

„Da ist Vertrauen erschüttert worden“, sagt sie. Sie nennt Obama nun Partner, nicht mehr Freund. Sie sagt, man teile doch mit den USA gemeinsame Werte. „Dann möchte man einfach auch wissen, dass man sich keine Sorgen machen muss, dass man Gegenstand von bestimmten Überwachungen ist, wie andere, die nichts Gutes mit diesem Wertesystem im Sinn haben.“ Sie hätte auch sagen können: „Hey, ich bin doch Angela Merkel, nicht Osama bin Laden.“ Aber das sagt sie natürlich nicht.

Vielleicht hat sie es immer geahnt oder damit gerechnet, dass ihre SMS und ihre Telefongespräche nicht nur ihr alleine gehören. Merkel ist in der DDR aufgewachsen, die Stasi hat ihr zufolge erfolglos versucht, sie anzuwerben. Einer von Merkels Arbeitskollegen aus dem Wissenschaftszentrum in Adlershof, wo sie als Physikerin forschte, hat einmal zu Protokoll gegeben: „Am Telefon war sie unglaublich vorsichtig, obwohl sie sonst aufgeweckt war.“

Aber kann eine Regierungschefin immer nur vorsichtig sein am Telefon? Merkel sagt, sie benutze in der Regel ihr normales Handy, das von der Partei bezahlt werde, damit ihr nicht vorgeworfen werden könne, dass sie Parteigespräche – die zwischendurch auch mal nötig sind – aus Regierungsgeldern finanziere.

Für die ganz wichtigen, die ganz geheimen Gespräche nehme sie das Festnetztelefon oder unterwegs ein besonderes, abhörsicheres Mobiltelefon, ein sogenanntes Krypto-Handy. Besonders praktisch scheinen diese technischen Wunderwerke nicht zu sein, manche Minister haben das zu Protokoll gegeben. Außerdem funktionieren sie nur, wenn der Gesprächspartner auch so ein Gerät hat.

Und für Merkel ist das Handy das wichtigste Arbeitsgerät. Sie hat schon per SMS die CDU und dann die Regierung gesteuert, als das vielen in der Politik noch ein wenig fremd war. Was kann man bei ihr mithören oder mitlesen?

Den Protest des Ehemanns über verschwundenen Streuselkuchen, ulkt Spiegel-Online. Mag sein. Absprachen über die Koalitionsverhandlungen in der vergangenen Woche ziemlich sicher. Terminvereinbarungen. Geburtstagswünsche. Die Nachricht vom Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kam per SMS zu Merkel.

Um Schadensbegrenzung bemüht

Sigmar Gabriel bot nach dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler an, gemeinsam nach einem neuen Kandidaten zu suchen. Bei beiden Gelegenheiten musste die NSA ihre Technik nicht bemühen: Bei der einen reichte Merkel ihr Handy mit vielsagendem Blick an ihre Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) weiter. Bei der anderen veröffentlichte der SPD-Chef selbst das Angebot. Merkel war damals ziemlich sauer auf Gabriel.

Sie ist eine öffentliche Person, verfolgt von Kameras und Ohren. Aber sie ist gleichzeitig auch sehr diskret. Sie behält ihre Pläne gerne möglichst für sich oder bespricht sie nur in enger Runde. Vielleicht ist Wimmers Kühlschrank demnächst doch wieder eine Option.

Aber es geht ja noch um mehr: Um die Frage, ob die Regierung bislang ein wenig naiv gewesen ist in Sachen NSA-Affäre, den Datenschutz auf die leichte Schulter genommen hat. Den Sommer über hat es den Eindruck gemacht. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) erklärte im August – nach wenigen Wochen – die Späh-Affäre für beendet. Merkel erklärte in einem Fernsehinterview, sie glaube nicht, dass sie selber Ziel von Attacken sei und fast hätte sie dabei wohl mit den Schultern gezuckt.

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach von einer „ärgerlichen Mischung aus Antiamerikanismus und Naivität“, sein Sprecher erklärte noch an diesem Mittwoch im Zusammenhang mit der NSA-Affäre gebe es vor allem „mediale Aufregung“. Da wusste zumindest das Kanzleramt schon um die Attacke aufs Merkel-Handy, wenige Stunden später wurde sie öffentlich gemacht.

Am Freitag bemüht sich die Bundesregierung eifrig um Schadensbegrenzung. Merkels Sprecher sagt: „Die Bundesregierung hat die Geschichte nie für beendet erklärt.“ Lediglich Teilaspekte seien als geklärt angesehen worden.

Er sagt, er hätte auch die NSA-Spitzeleien in Frankreich vor zwei Tagen schon verurteilt, aber die Journalisten hätten leider nicht gefragt.

Er sagt, die USA hätten der Regierung bislang versichert, dass sie nichts täten, was gegen deutsche Gesetze verstieße. Man sei davon ausgegangen, sich auf solche amtlichen Auskünfte verlassen zu können.

In Brüssel versucht Merkel dem Ganzen auf ihre Weise die Spitze zu nehmen: „Jeder, der mit mir redet, hört im Grunde immer das Gleiche“, sagt Merkel. Dann geht sie schlafen.

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