Kunst der Therapie - Gaby Tupper präsentiert Lothar Lamberts Film Und Gott erschuf das Make-up

Geschlecht – Therapie – Make-up 

 

Kunst der Therapie 

Gaby Tupper präsentiert Lothar Lamberts Film Und Gott erschuf das Make-up 

 

Beim Regenbogensommer im Theater O-TonArt in der und um die Kulmer Straße 21a in Schöneberg herum stellte Gaby Tupper Lothar Lamberts legendären Film Und Gott erschuf das Make-up (1998) vor. Im zweiten Hinterhof eine Treppe hoch befindet sich das O-TonArt – Kino und Kleinkunstbühne. Gaby Tupper bezeichnet sich als „natural born Housefrau“ und hat eine eigene Filmreihe mit Trailer: TGIF. Im Trailer brüllt sie mit blonder Mähne wie der MGM-Löwe. Gaby Tupper ist eine Kunstfigur, die Make-up, Perücken in Blond und billigen Glamour liebt. Als Kunstfigur der Housefrau und Kinoexpertin liegt Gaby Tupper haarscharf neben „dem“ Frauenbild. Camp, Drag, Satire und Verherrlichung in einem.

 

Der Regenbogensommer ging am Sonntag mit 35° C in Berlin zu Ende, weshalb diese Besprechung verspätet erscheint. TGIF heißt Trash Goddess in Film, also Kitsch-, Schund- oder Plunder-Göttin im Film. Gaby Tupper ist mit ihrer glitzernden Abendgarderobe und den langen Kunstwimpern natürlich Expertin für dickes, billiges Make-up. So oder so ähnlich muss sie auf die Idee gekommen sein, Und Gott erschuf das Make-up auf den Kalender zu setzen. Denn sie entdeckte, wie sie mehrfach in ihrer Moderation erwähnte, erst im Nachhinein, dass der Film von Lothar Lambert zwischen Fiktion und Doku nach 18 Jahren weiterhin von bestechender Aktualität ist.

 

Das Geheimnis der Filme von Lothar Lambert liegt in jener präzisen Überschneidung von Lebenspraxis, Filmemachen und Gesellschaftsanalyse, die die Fiktion immer zugleich zur Dokumentation werden lässt. Dieses Geheimnis ähnelt der Faszination von Drag Queens oder Transvestiten ebenso wie Transgenders. Drag Queens oder Trash Goddesses wie Gaby Tupper leben und arbeiten, um Housefrauen oder generell Frauen zu kreieren. In Und Gott erschuf das Make-up wechselt der Therapeut Dr. Prinz (Lothar Lambert) mit Kleidern, Perücke und Make-up ebenfalls zum weiblichen Geschlecht, während Horst (Dennis Buczma) schwer an seiner/ihrer Identität als King arbeitet.   

 

Lothar Lambert praktiziert in seinen Low-und-No-Budget-Filmen wie Tiergarten (1979), Sein Kampf (1972), 1 Berlin-Harlem (1974), Zurück im tiefen Tal der Therapierten (2012) und Erika, mein Superstar … (2015) jene Filmkunst, die mit dem Trash oder auch schlechten Geschmack jene Fiktionen von Gesellschaft und Geschlecht aufdeckt, die marginalisiert werden, weil sie die Schmerzpunkte der Gesellschaft treffen. In Und Gott erschuf das Make-up, das sich mühelos damit erweitern ließe, wie er Mann und Frau oder Himmel und Hölle erschaffen hatte, wird der Trash in einer ganzen Reihe von Rollen und Einstellungen ausgebreitet. Legendär sind beispielsweise Gardinen, die zu Tüllkleidern verarbeitet werden. Der Make-up-Film funktioniert gerade, weil er nicht politisch korrekt ist. Trash wird zur Therapie und Theoriekritik.

 

Zu Und Gott erschuf das Make-up gibt es eine hübsche Anekdote von den Dreharbeiten, in der sich die Fiktion in Realität verkehrt. Lothar Lambert hat die Anekdote – und wahrscheinlich lässt sich die literarische Form der Anekdote immer sehr genau als jenen Moment beschreiben, in dem sich Fiktion in Realität verkehrt – recht frei formuliert. Eine Frau und eine „Pseudofrau“, wie Lambert es nennt, also Transvestit streiten in einer Grünanlage um ihr Revier für die Prostitution. Das ist die Fiktion. Den Streit beobachten Kinder am anderen Ende der Grünanlage, weil ja schließlich ein Film gedreht wird. Sie werden in Zwischenschnitten später in den Film montiert. Und wahrscheinlich konnten die Kinder den fiktiven Streit sehr gut als einen für die Kamera identifizieren. Die Fiktion schlägt an einem anderen Punkt in Realität um. 

Bei den Dreharbeiten wurde mein Atelier von der Polizei gestürmt. Wir haben in der kleinen Grünanlage zwischen Oldenburger und Emdener Straße, wo ich gerne drehe, die Aufnahmen gemacht, wie Ulrike S. und Heiko Behrens sich lautstark streiten. Dabei haben uns Kinder beobachtet, wie man es auch im Film sieht. Dann haben wir unseren Krempel eingepackt und sind ins Atelier zurück. Und die Gören, aufgekratzt und aufdringlich, sind einfach hinter uns her, neugierig zur Haustür mit rein, in den Hof und haben durchs Fenster gelugt. Mein Atelier liegt ja im Hinterhaus parterre. Dann haben wir sie verscheucht, und das war’s. Eine halbe Stunde später wurde die Wohnung gestürmt von Polizisten in Kampfanzügen. Wie viele es waren, weiß ich nicht mehr, jedenfalls war das ganze Atelier voller Polizei. Es war wohl gemeldet worden: Da werden Kinder für Pornos mißbraucht…[1]  

 

An der Anekdote ist die Vermutung, dass „Kinder für Pornos mißbraucht“ worden sein sollen, nicht der eigentliche Umschlagspunkt. Die spielerische Fiktion schlägt vielmehr mit dem Erscheinen der Polizei als „Polizisten in Kampfanzügen“ in Realität um. Die Realität bricht mit der Macht des Staates und seines Gewaltmonopols in die Wohnung als Drehort ein. Die Situation ist vergleichbar mit einem fiktiven Mord bei Dreharbeiten, der vom Hörensagen den Staat als Ordnungsmacht aufruft. Doch wo bleibt dann die Fiktion? Die Anekdote setzt mit dem Eintreffen der Polizei am Drehort ein, weil dieser offenbar ein Verbrechen mitgeteilt worden ist. In Lothar Lamberts Erzählung wird sich die Realität der Polizei schließlich in Fiktion auflösen und der „Kommissar von der Sitte“ wird sich den Film auf Einladung bei der Premiere auf der Berlinale anschauen. Die Anekdote lässt sich durch weitere Verkettungen immer wieder aufs Neue wenden.

 

Die Anekdote vom Polizeieinsatz beschreibt jenen schwierigen Punkt im Wissen von der Sexualität und sich selbst, auf den Michel Foucault einmal aufmerksam gemacht hat. Die Staatsmacht bricht in einen fiktionalen Dreh- und Wohnort ein. Es ist ein Ort, wo Privatleben, Individualität und Utopie aufeinandertreffen. Nicht allein zufällig, sondern aus den Produktionsbedingungen des Films kommt es zu einer entlarvenden Verkehrung. Unter der Kategorie des Individualismus vermengt man nach Foucault „ganz unterschiedliche Realitäten“, die man auseinanderhalten sollte: 

.. die individualistische Einstellung, gekennzeichnet durch den absoluten Wert, dem man dem Individuum in seiner Einzigkeit beilegt, und durch den Grad an Unabhängigkeit, der ihm gegenüber von der Gruppe, der es angehört, oder den Institutionen, denen es untersteht, zugestanden wird; die Hochschätzung des Privatlebens, das heißt das Ansehen, in dem die familiären Beziehungen, die Formen der häuslichen Aktivität und der Bereich der Erbinteressen stehen; endlich die Intensität der Selbstbeziehungen, das heißt der Formen, in denen man sich selbst zum Erkenntnisstand und Handlungsbereich nehmen soll, um sich umzubilden, zu verbessern, zu läutern, sein Heil zu schaffen.[2]      


Still: Und Gott erschuf das Make-up, 1998 (Lothar Lambert mit Ticket und auf Cover als Frau.) 

Der Patient Manfred (Michael Sittner) im Film soll sich in einer „senatsgeförderten Wohngemeinschaft“ als Therapieeinrichtung quasi zum Transvestiten umbilden. Der Bereich der Therapie in Lothar Lamberts Filmen entlarvt die Zwangsmechanismen des Individualismus auf geschlechtlicher Ebene. In Und Gott erschuf das Make-up wird die Zwangswahrnehmung derart zugespitzt, dass sie sich zwischen Prostitution, „häuslichen Aktivitäten“ und wandern „zwischen den Geschlechtern“ als Katastrophe erweist. Erika Rabau spielt eine Mutter, die sich nach einem Mallorca-Urlaub mit schwarzer Farbe im Gesicht, Perücke und Fantasiespanisch in den fußballspielenden Pelé verwandelt hat. Das Make-up verkehrt sich in ein rassistisches blackfacing, könnte man denken, weil die weiße Frau und Mutter nach dem Mallorca-Urlaub einen diskriminierten und gleichwohl berühmten Schwarzen spielt. Doch die geschlechtlichen Operationen in Lamberts Make-up-Film sind subtiler.


Still: Und Gott erschuf das Make-up, 1998 

Die geschlechtliche Operation mit dem blackfacing zielt auf Individualismus und Geschlechterrollen. Sie ist mehr als ein Karnevalsgag oder die Verkleidung als Mohr auf der Bühne. Denn die Mutter setzt das Make-up nicht zum Spiel, sondern eher schon als größtmöglichen Protest gegen die Rolle der weißen Mutter ein, indem sie ein schwarzer, fußballspielender Mann wird. Der individualistische Wahn der Mutter funktioniert insofern nicht, als sie auf Mallorca und nicht in Brasilien, wo man Portugiesisch spricht, Urlaub gemacht hat. Die Herkunft als genealogisches Wissen wird somit bereits durchbrochen. Pelé im Film spricht nicht die Sprache seiner Herkunft. Die Kategorien Rasse, Geschlecht und Herkunft werden also mit einem Make-up nicht bestätigt, sondern unterlaufen. Das lateinische Präfix trans wie über, hinüber, jenseits, auf der anderen Seite der Transvestiten, Transen und Transgender funktioniert insofern durch das Make-up nicht restlos.


Still: Und Gott erschuf das Make-up, 1998 (bearbeitet) 

Lamberts Film funktioniert anders als über die Kategorie des Individualismus. Eher schon entlarvt er den Zwang zum Individualismus auf eine Weise wie sie Gaby Tupper paradoxal formuliert, wenn sie sagt, dass es „ganz schön teuer ist, um so billig auszusehen“. Im Spiel der Namen von Tunten und Transvestiten wie Ichgola Androgyn, Gloria Viagra und Gaby Tupper, aber auch schon bei Rosa von Praunheim wird ständig die Sprache gedreht und verdreht, um ihre normierende und kategorisierende Macht zu unterlaufen. Trash und Fummel werden als Sprachmittel angewendet, um die Macht der Sprache zu unterlaufen. Die roten Lippen auf der Bühne von O-TonArt sind Camp, Frauenlippen und Anspielung auf den Mund als Lippenbekenntnis. Gaby Tuppers Fragen an Lothar Lambert zunächst und René Koch später suchen den Lippen auch Bekenntnisse zu entlocken. Doch Lambert spricht, antwortet nicht im Modus des Bekenntnisses.


Still: Und Gott erschuf das Make-up, 1998 (bearbeitet) 

Foucault hat die Redeweise des Bekenntnisses als die des Individuums formuliert. Im Bekenntnis wird das Subjekt gezwungen, von sich selbst als Individuum zu sprechen. Doch diese Art und Weise von sich selbst zu sprechen, gelingt der Hauptfigur Manfred in der therapeutischen Wohngemeinschaft im Film gerade nicht. Manfred weigert sich geradezu, sich zum Transvestiten machen zu lassen. Eine Schlüsselszene dafür ist nicht zuletzt die im Salon-Institut des Visagisten und Schönheitsexperten René Koch, der sich die größte Mühe gibt, Manfred in eine Drag Queen á la Divine zu verwandeln. Über Stunden hinweg wird das Make-up aufgetragen und werden mehrere Perücken übereinander aufgesetzt und toupiert. Doch Manfred reißt sich die perfekte, glamouröse Maske, die ihn als Individuum zur Geltung kommen lassen soll, vom Kopf. Er bekennt sich gerade nicht zu einer optimierten wie toupierten Identität.

Und Gott erschuf das Make-up lässt sich durchaus als ein spätes Remake zu John Waters zweiten Kurzfilm Eat Your Makeup von 1968 mit Divine lesen. In diesem Film spielte Divine die geradewegs ikonographische Jackie Kennedy, die 1968 zur Frau des Jahres gewählt wurde und den Reeder Onassis heiratete.[3] Nach dem überlieferten Inhalt ging es in diesem ersten 16mm-Film von John Waters um ein Kindermädchen, das Mädchen raubt, um sie dazu zu zwingen, sich vor den Augen ihrer Freunde zu Tode zu modeln. Einerseits scheint damit eine frühe Kritik des Modeling und der Schönheitszwänge der Modeindustrie auf. Andererseits wird das ultimative Schönheitsideal der Zeit nämlich Jacky Kennedy von Harris Glenn Milstead alias Divine verkörpert.

 

Kulturkritik und Camp überschneiden sich bereits 1968 mit dem gepriesenen Make-up, das von John Waters mit der ihm eigenen Boshaftigkeit in den Befehl „Iss Dein Makeup“ gedreht wird.[4] Divine seiner/ihrerseits hat bereits 1973 mit dem Namen, der ja im Deutschen Göttliche heißen müsste, das Wissen um den Namen und seinen Konnex zum Individuum witzig und boshaft zurückgewiesen. Er würde nicht einmal in ein Lexikon hineinschauen, um herauszufinden, was Divine heiße oder ob er drinstünde. Der Name sei ihm von John Waters einfach gegeben worden.

Divine. That's my name. It's the name John [Waters] gave me. I like it. That's what everybody calls me now, even my close friends. Not many of them call me Glenn at all anymore, which I don't mind. They can call me whatever they want. They call me fatso, and they call me asshole, and I don't care. You always change your name when you're in the show business. Divine has stuck as my name. Did you ever look it up in the dictionary? I won't even go into it. It's unbelievable.[5]

 

Die Produktionspraxis der queeren Filme von John Waters mit Divine ähnelt der von Lothar Lambert insofern, als sie aus einem Freundes- oder Bekanntenkreis heraus entstehen. Produktions- und Lebenspraxis machen die Filme allererst möglich. Die Filme erzählen vom queeren Leben nicht so sehr wie es ist, sondern wie es sein könnte mit all seinen Brüchen, um in den Widersprüchen überleben zu können. Wahrscheinlich ist Lothar Lambert noch mehr der deutsche John Waters als Rosa von Praunheim oder Werner Schröter. Zu den wohl konstantesten Darstellerinnen gehört bei Lambert allerdings keine Transe, sondern Erika Rabau, die im Make-up-Film als Pelé einen ihrer grandiosesten Auftritte hat.

 

Der Make-up-Film besticht nicht zuletzt durch seinen Sprachwitz, der Sichtbarkeit und Widersinn ständig gegeneinander ausspielt. So kommt es zu folgender Szene. „Eine Frau mit angemaltem Schnurbart – Horst, wie man später erfährt – beschimpft unter den Augen der anderen den Mann aus dem Reisebüro, der als Frau gekleidet ist: „Ihr Transen, ihr seid doch alle völlig daneben!““ Die Frau mit dem angemalten Schnurbart, Horst, ist selbst eine Transe nur anders herum, die sich nicht davor scheut, die Transen pauschal zu beschimpfen. Das Individuum empört sich quasi aus einem blinden Fleck heraus. Es sieht sich nicht, um sich in der Beschimpfung als Individuum zu artikulieren. Damit wird die Funktion der Sprache als vermeintlicher Ausdruck auf witzige Weise gewendet.

 

Gaby Tupper fragte René Koch ihrerseits, wie es denn gewesen sei, als Manfred sich die tolle Maske abgerissen habe und keine Divine Transe, keine göttliche Transe sein wollte. Koch antwortete darauf, dass es so im Drehbuch gestanden bzw. Lothar Lambert es so gewollt habe. Deshalb sei das zwar schmerzlich, aber für ihn okay gewesen. Die Verneinung der Maske ist für einen Visagisten natürlich der Ernstfall und schmerzlich, weil er das Gesicht beispielsweise von Hildegard Knef bei Koch wesentlich hergestellt hat. Lippenstift, Rouge, Teint und Wimperntusche werden vor allem eingesetzt, um ein perfektes Gesicht der Frau allererst herzustellen. Manfred in Und Gott erschuf das Make-up wehrt sich dagegen, unter anderem weil er sich von Dr. Prinz und der Mutter (Dorothea Moritz) nicht einfach zu einer Frau machen lassen will. Das Theater O-TonArt wird übrigens von Bernd Boßmann geleitet, der häufig als Ichgola Androgyn aufgetreten ist. 

 

Torsten Flüh 

 

Theater O-TonArt   

Kulmer Straße 20a
10783 Berlin

 

Makeup-Workshop
für stark sehbehinderte oder blinde Menschen
(kostenlos)

"Ertastbares Schminken"

mit René Koch

8. Oktober 2016 15:00 Uhr

im
Lippenstiftmuseum

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[2] Michel Foucault: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3. Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1989, S. 59.

[3] Siehe auch: Wayne Koestenbaum: Jackie O. Der Fan und sein Star. Stuttgart: Klett-Cotta, 1997.

[4] Siehe auch das Still mit Divine als Jacky Kennedy auf der offiziellen Website Divine.

[5] Frances Milstead; Kevin Heffernan; Steve Yeager (2001). My Son Divine. Los Angeles and New York: Alyson Books.