Adornos Ästhetische Paradoxie 

Warum nach Adorno die Kunst den 'Schein des Wahren' retten soll 

 

 von Klaus Peter Müller
 

 
  


 

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(c) Sic et Non - Forum for Philosophy and Culture (2001) - http://www.cogito.de/sicetnon/artikel/historie/paradoxie.htm

An einer Stelle der 'Ästhetischen Theorie' spricht Adorno von der Notwendigkeit, den Schein zu retten. Die Rettung des Scheins wird zur Aufgabe der Kunst (1) Aber um welchen Schein geht es hier? Es ist der Schein des Wahren.

Aber warum sollte jemand den Schein des Wahren retten sollen?

Ist es nicht selbstverständlich, 'die' Wahrheit zu suchen? Was für einen Sinn würde es machen, 'die' Wahrheit zu suchen, wenn man schon im voraus wüsste, dass sie nur Schein, nur Täuschung oder Illusion ist?

Über das Verhältnis von Schein und Wahrheit - was die Wissenschaft betrifft - schreibt Nietzsche in 'Menschliches, Allzumenschliches' z.B. :"...jetzt zwar leben wir noch im Jugendzeitalter der Wissenschaft und pflegen der Wahrheit wie einem schönen Mädchen nachzugehen; wie aber, wenn sie eines Tages zum ältlichen, mürrisch blickenden Weibe geworden ist." (2) Er beschreibt die Suche nach Wahrheit wie einen Traum, aus dem man erwacht.

Sie ist zwar kein 'mürrisch blickendes Weib' geworden (was immer das sein mag), aber ihre vorrangige Stellung wurde verändert. Nach Nelson Goodman täuscht sich z.B. der Wissenschaftler, der meint, ausschließlich nach Wahrheit zu suchen. Vielmehr sucht er nach System, Einfachheit und Reichweite. 'Die' Wahrheit wird von ihm entsprechend zurechtgeschneidert. (3)

Geht es Adorno um 'die' Wahrheit, wenn er davon spricht, dass der Schein des Wahren zu retten sei?

Nein, Adorno setzt hier die Kritik 'der' Wahrheit voraus, die z.B. von Nietzsche entwickelt wurde. Nicht mehr gilt die philosophische Suche einer 'letzten' oder 'ersten' Wahrheit. Er fragt nicht nach 'ersten Prinzipien und Ursachen' (Aristoteles), nach einer Wahrheit, die einmal als 'unwandelbar' verstanden wurde. Parmenides ging noch von einem 'wahrhaft Seienden' aus, das nur eins und es selbst ist, und weil es auf diese Weise einfach ist, ist es notwendig und ewig. Die Suche nach 'der' Wahrheit galt lange in der Geschichte der Philosophie als selbstverständlich. Es ist Nietzsche, der mit dieser Tradition der Philosophie bricht, mit dieser Tradition einer bestimmten Metaphysik. Bei ihm wird 'die' Wahrheit in Frage gestellt. In 'Jenseits von Gut und Böse' schreibt er: "Das Problem vom Werte der Wahrheit trat vor uns hin, ..." (4) Ist der Schein weniger wert als die Wahrheit? Oder sollte gar "...dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben höherer und grundsätzlicher Wert zugeschrieben werden..." (5) Nietzsche ergreift Partei für den Schein, dem Wort "perspektivisch" misst er eine besondere Bedeutung zu. Nicht mehr gilt nach ihm, dass die Veränderung, das Werden, der Wechsel ein Beweis für Scheinbarkeit ist, ein Indiz, dass da etwas ist, was uns in die Irre führt. (6) 'Die' Wahrheit selbst wird nun zum Irrlicht.

Aber um welche Wahrheit geht es Adorno, wenn das Ziel nicht mehr 'die' Wahrheit ist? Welche Idee der Wahrheit möchte er festhalten? Welche Idee droht hier zu entgleiten, unwirksam zu werden?

Nach Horkheimer ist die Idee zu bewahren, "...dass Wahrheit die Übereinstimmung von Sprache und Wirklichkeit ist." (7) Damit ist keine Übereinstimmung in ewigen Systemen gemeint, auch wenn diese Idee in einem solchen System ehemals formuliert wurde (Platonismus). Aber kann diese Idee trotz des Sturzes dieser ewigen Systeme noch ihre Gültigkeit haben?

Wittgenstein z.B. lehnt dies ab. In den 'Philosophischen Untersuchungen' schreibt er, dass die Bedeutung eines Wortes sich aus dem Gebrauch der Sprache ergibt. Die Sprache ist nach seinem Verständnis kein Spiegel, sondern ein Werkzeugkasten. Die Frage 'Was ist eigentlich ein Wort?' ist nach ihm analog der 'Was ist eine Schachfigur?' (8) Eine ähnliche Position nimmt Richard Rorty aus pragmatischer Sicht ein, wenn er den Gedanken, der eine Relation wie 'auf die Welt passen' oder 'die wahre Natur des Selbst' ausdrückt, ablehnt. Nach ihm gibt es keine Wahrheit die draußen ist, d.h. außerhalb von Sätzen existiert. Die Idee einer nicht-menschlichen Sprache mit Sinn zu erfüllen, ist danach aufzugeben. (9) Wahrheiten werden so eher 'gemacht' als 'gefunden'. William James drückt es so aus: Wahrheiten sind Überzeugungen vom Vorhandensein einer 'Wirklichkeit', und in jeder Überzeugung tritt diese Wirklichkeit als etwas Unabhängiges auf, als etwas, das gefunden und nicht hervorgebracht wird. Daher ist es nach ihm schwer zu verstehen, dass das, was wir von der Wirklichkeit aussagen, von der Perspektive abhängt, in die wir sie hineinstellen. (10)

Für den Pragmatismus ist die Sache klar. Sein Denken marschiert auf. In voller Rüstung geht es gegen jede Form einer 'Korrespondenztheorie' der Wahrheit. Man will die Philosophie von Grund aus erneuern. Dazu gehört wohl auch der 'sieghafte, der vorwärtsstürmende Ton'.  (11)

Wie wurde die 'Korrespondenztheorie' der Wahrheit überwunden? In diesem Zusammenhang ist ein Moment dieser Theorie von besonderer Bedeutung, das nicht mehr haltbar sein soll. Es ist die Auffassung, dass die Wahrheit die Übereinstimmung mit der Seinsweise der Dinge an sich ist. Sie setzt voraus, dass man sich auf das 'Wesen' der Dinge beziehen kann.

Für Charles Peirce drückt die Idee eines Ding 'an sich', etwas aus, was unabhängig ist von jeder Relation zu dem Begriff. (12) Da man auf ein Ding 'an sich' weder zeigen, noch es finden kann und sich folglich auch kein Satz auf es beziehen kann, müssen nach ihm alle Hinweise auf es "...als sinnlos und überflüssig ausgemerzt werden." (13) Das ist nach ihm keineswegs als eine generelle Kritik an der Philosophie von Kant zu verstehen: "Der Kantianer hat nur vom Grunde seines Herzens dem Satz abzuschwören, dass ein Ding-an-sich gedacht werden kann....und er wird feststellen, dass er ein kritischer Commonsensist geworden ist." (14) Vorsichtiger äußert sich dazu Hilary Putnam in 'Von einem realistischen Standpunkt'. Zwar wird nach ihm im allgemeinen der Begriff einer noumenalen Welt als ein unnötiges metaphysisches Element in Kants Denken angesehen. An gleicher Stelle schreibt er jedoch: "Aber möglicherweise hat Kant recht: Vielleicht können wir nicht umhin zu denken, dass es irgendwie eine geistunabhängige 'Grundlage' unserer Erfahrung gibt..." Aber was bedeutet das letztere für ihn? In 'Vernunft, Wahrheit und Geschichte' schreibt er, dass gar nichts, was wir über einen Gegenstand sagen, ihn so beschreibt, wie er 'an-sich' ist, unabhängig von seiner Wirkung auf uns. (15) Mit anderen Worten: Dass, was Wirklichkeit heißt, besteht aus Erscheinungen und nicht etwa aus Wesenheiten.

Nun könnte man annehmen, dass, wenn man von Erscheinungen spricht, es auch ein Wesen gibt. Sicher ist, dass es ein vielfältiges Suchen nach einem solchen Wesen gibt. Man will z.B. hinter den Schein schauen, die Dinge entlarven, usw... Es ist so als sei die Erscheinung der Dinge nur eine Maske, die man zu lüften hätte, um weiterzukommen.

Was aber ist, wenn hinter den Erscheinungen einfach nichts ist, so wie das William James anführt. (16)

Auch Adorno sagt nicht, dass die Dinge 'an-sich' erkennbar seien, d.h. positiv bestimmbar sind. Was aber folgt daraus? Hier scheiden sich die Geister. Für den Pragmatismus und die Sprachphilosophie z.B. ist das, was sich nicht positiv bestimmen lässt, bedeutungslos. (17) Für Adorno beinhaltet, dass das 'an-sich' der Dinge nicht erkennbar ist, durchaus nicht, dass es auch ohne Bedeutung ist. Hinter seiner Auffassung steht die Intention, das die Welt nicht auf begrifflich Fassbares reduziert werden soll. Wie aber soll das gelingen?

Von Adorno wird vorausgesetzt, dass der Weg der Macht - nach ihm sind Macht und Wissen synonym - das Denken auf das begrifflich Fixierbare begrenzt. Ist es daher Aufgabe der Kritik (z.B. in der Ästhetik), auf diese Begrenzung aufmerksam zu machen? Nach seiner Vorstellung ist es so, dass auf der einen Seite am Weg der Macht gebaut wird und auf der anderen Seite gibt es die Kritik, die darauf hinweist, das bei diesem Weg etwas vergessen wird.

Für den Pragmatismus sind 'Wahrheiten' von Menschen gemachte Dinge. (18) Für ihn gibt es keinen Übergang vom Machen zum Nicht-Gemachten. Macht habe ich daher hier nur über das Machen.

Was aber hat das alles mit der Kunst zu tun, besser, mit dem Kunstverständnis von Adorno?

Nach ihm bezieht sich die zentrale Aufgabe der Kunst auf das Verhältnis von Machen und Nicht-Gemachtem, auf das Problem eines Übergangs.

In diesem Sinne geht es in der Kunst um die Darstellung eines Nicht-Könnens. Ihre Aufgabe beinhaltet eine Paradoxie. In einem Abschnitt der 'Ästhetischen Theorie', die mit dem Stichwort 'Wahrheit als Schein des Scheinlosen' überschrieben ist, schreibt er: "Die Metaphysik von Kunst heute ordnet sich um die Frage, wie ein Geistiges, das gemacht, nach der Sprache der Philosophie 'bloß gesetzt' ist, wahr sein könne..." und etwas weiter: "...Alles Machen der Kunst ist eine einzige Anstrengung zu sagen, was nicht das Gemachte selbst wäre und was sie nicht weiß: eben das ist ihr Geist." (19)

Unmögliches soll möglich sein, das ist die ästhetische Paradoxie: "...wie kann Machen ein nicht Gemachtes erscheinen lassen; wie kann, was dem eigenen Begriff nach nicht wahr ist, doch wahr sein. Denkbar ist das nur vom Gehalt als einem vom Schein Verschiedenen; aber kein Kunstwerk hat den Gehalt anders als durch den Schein, in dessen eigener Gestalt." (20)

Adorno folgert daraus, dass das Zentrum von Ästhetik die Rettung des Scheins ist.

Die Darstellung eines Nicht-Könnens als Aufgabe der Kunst wird zum Ausdruck einer Grenzerfahrung der Erkenntnis, des Wissens. Kunst wird so selbst zu einem Moment der Erkenntnis.

Interessant ist hier - um den Unterschied aufzuzeigen - was Wittgenstein in den 'Philosophischen Untersuchungen' über eine vergleichbare Art der 'Darstellung eines Nicht-Könnens' schreibt. Dort heißt es: "Die große Schwierigkeit ist hier, die Sache nicht so darzustellen, als könne man etwas nicht. Als wäre da wohl ein Gegenstand, von dem ich die Beschreibung abziehe, aber ich wäre nicht im Stande, ihn jemanden zu zeigen..." (21)

Was für Wittgenstein in der Philosophie die große Schwierigkeit ist, nicht zu tun, ist nach Adorno eine zentrale Aufgabe der Kunst.

Natürlich beziehen sich Wittgensteins Ausführungen hier auf die Philosophie und nicht auf die Kunst. Aus der Sicht der Sprachphilosophie kann ein Satz nur sagen, 'wie ein Ding ist, nicht was es ist'. (22) Wittgenstein bestimmt hier das, was unmöglich für die Sprache ist. Und was man nicht kann, das soll man nach ihm lassen.

Auch geht es Wittgenstein nicht um den Schein des Wahren, um einen 'Schein des Scheinlosen', so wie ihn Adorno versteht.

Für Adorno ist das Nicht-Gemachte eine Instanz, der Inbegriff einer Natur, die kein Begriff wäre.

Nach Wittgenstein macht es keinen Sinn das Gemachte dem Nicht-Gemachten gegenüberzustellen. Die Sprache ist nach ihm der Inbegriff des Gemachten. Sie markiert die Grenze des Erfahrbaren. Nach Adorno bleibt das Gemachte nicht nur fehlbar gegenüber dem Nicht-Gemachten, wenn es versucht, dieses auszudrücken, sondern es ist auch unmöglich – und trotzdem versucht es die Kunst.

Aber was heißt hier die Kunst? Einen interessanten Ansatz entwickelt in diesem Zusammenhang Francis Ponge. Nach ihm kann man nur eins. Entweder man versucht ein 'Gedicht' zu machen oder einem Ding gerecht zu werden. Beides geht nicht. Es ist dieses Entweder-Oder, das er nun selbst zum Gegenstand seiner Kunst bzw. Darstellung macht. Der Ort des Geschehens: Ein Kiefernwald, den er versucht zu beschreiben. Ihm geht es in seinem 'Notizbuch vom Kiefernwald' um eine ständige Berichtigung seines Ausdrucks zugunsten des rohen Objekts. Das Gemachte soll sich so laufend in bezug auf das Nicht-Gemachte korrigieren. Aber worauf bezieht sich hier das Gemachte? Auf die Erkenntnis bzw. das Wissen. Die Erkenntnis wird der Kunst gegenübergestellt. Ponge geht es um eine Anstrengung gegen die 'Poesie'. Er hat das poetische Magma nötig, aber um es loszuwerden. (23)

Es ist der Versuch, dem Objekt in der Erkenntnis gerecht zu werden, indem man das 'Poem' über Bord wirft, (wenn es soweit ist). Die Poesie ist hier nicht der Rettungsring der Objekte, sondern deren Senkblei.

Ist die Poesie in dem Versuch von Ponge nicht ein Hindernis auf dem Weg zum Nicht-Gemachten, eben 'dem' Objekt? Ponge setzt der Kunst die Erkenntnis entgegen. Aber auch das Wissen ist etwas Gemachtes.

Der Versuch von Ponge endet ohne Ergebnis. Er schreibt: "Das alles ist nicht das Richtige. Was habe ich gewonnen..." (24) Wie sollte es gelingen? Wie kann - wie er fordert - der Kiefernwald aus dem Nicht-Bewusstsein heraustreten?

Bei Kant war die Erkenntnis noch streng vom ästhetischen Urteil getrennt. Nach ihm gibt ein ästhetisches Urteil schlechterdings keine Erkenntnis von einem Objekt, "...welches letztere nur durch ein logisches Urteil geschieht." (25) Ein ästhetisches Urteil bezieht das Objekt der Vorstellung lediglich auf das Subjekt und auf keine Beschaffenheit des Gegenstandes. Hier geht es nur um "...die zweckmäßige Form in der Bestimmung der Vorstellungskräfte, die sich mit jenen beschäftigen, zu bemerken gibt." (26)

Kants ästhetische Paradoxie lautet: Zweckmäßigkeit ohne Zweck. (27) Das Schöne hat eine 'Zweckmäßigkeit ohne Zweck' zum Grunde. Nach dieser Auffassung geht es in der Kunst nicht um eine Beschaffenheit eines Gegenstandes, also auch nicht um die Frage, wie dem Objekt Recht geschehen kann. Das Gegenteil ist bei Francis Ponge der Fall.

Kant beschreibt die ästhetische Erfahrung mit dem Begriff des Schönen. Die Frage ist allerdings, ob dieser Versuch noch geeignet ist.

Nach Adorno reicht Kants Konzeption eines 'interesselosen Wohlgefallens' für das ästhetische Phänomen nicht aus. Das ästhetische Phänomen wird so nach ihm auf das Formal-Schöne reduziert. (28) Das Schöne dupliziert den Primat der Form. Die Folge ist nach ihm ein Formalismus: "...die Übereinstimmung des ästhetischen Objekts mit allgemeinsten subjektiven Bestimmungen..." (29)

Z.B. schreibt Hegel über das Naturschöne: Es ist die Lebendigkeit, die in der Natur als schön erscheint. "Die Naturschönheit ist nur schön für anderes, d.h. für uns, für das die Schönheit auffassende Bewusstsein." (30) In diesem Sinne muss das Faultier missfallen, das sich nur mühsam schleppt "...dessen ganzer Habitus die Unfähigkeit zu rascher Bewegung und Tätigkeit dartut..." Und etwas weiter heißt es: "Denn Tätigkeit, Beweglichkeit bekunden gerade die höhere Idealität des Lebens." (31) Der Maßstab ist das Subjekt.

Adorno kritisiert an Kant, dass durch seine Auffassung die Kunst von allen Inhalten abgeschnitten wird, zugunsten einer formalen Wohlgefälligkeit. (32) Was er hervorhebt, Kants Leistung, ist die Trennung von Begehrungsvermögen und Kunst. Nach ihm konstituiert sich Kunst als Kunst erst durch die Aussonderung aus der Empirie, was nicht heißt, dass man diese Trennung 'transzendental' festschreiben kann, z.B. zum 'Wesen' der Kunst erklären kann. (33)

Obwohl Kants Ansatz subjektivistisch ist - weil er die Wirkung des Kunstwerks auf seinen Betrachter zum Mittelpunkt hat - impliziert er nach Adorno den Versuch der Rettung von Objektivität, weil er die subjektiven Momente analysiert. (34) Er nennt dieses Verfahren: Immanente Kritik.

Das Gegenteil fordert z.B. die pragmatische Wirkungsästhetik. Kunst wird auf die Erfahrung begrenzt. Für John Dewey ist es ein Kernproblem, die Kontinuität zwischen der ästhetischen Erfahrung und den gewöhnlichen Lebensprozessen wieder herzustellen. (35) Das Ästhetische hat danach keinen kontemplativen Charakter, vielmehr gehört es ausschließlich zur sinnlichen Erfahrung. Nach ihm ist es eine Eigenschaft der Ästhetik, eine Erfahrung zu Vollständigkeit und Einheit abzurunden und insofern ist sie auch emotional. (36)

Nach Dewey führt Kants Weg in den 'Elfenbeinturm' der Schönheit: "...fernab jeden Wunsches, jeder Handlung und Gemütsbewegung." (37) Das Gefühl für das Schöne ist nach ihm 'rein', "...frei von jeglichem Makel des Begehren, ein Gefühl, das streng geurteilt nicht empirisch ist." Ausgeübt wird dieses Gefühl in der Kontemplation. Sein Haupteinwand gegen die Kontemplation lautet: Sie schließt Begeisterung aus. (38)

Nach dem Pragmatismus wirkt ein Kunstwerk auf die Erfahrung, insofern jede Erfahrung einen Vereinigungsprozess darstellt. Danach entscheidet die Kunst, welche Dinge auf uns erst wirken und interessant sind. Sie gibt den Weg vor, wodurch eine Erfahrung Wert gewinnt. Kunst ist in diesem Sinne ideal. (39) Wie sieht eine solche 'erwünschte Erfahrung' aus? Dewey gibt ein Beispiel: "Trotz aller Indifferenz und Feindseligkeit der Natur gegen menschliche Interessen muss es irgendeine Übereinstimmung der Natur mit dem Menschen geben, sonst könnte kein Leben sein. In der Kunst werden solche Kräfte freigesetzt, die geistesverwandt sind, die nicht diese oder jene besondere Absicht stützen, sondern die Vorgänge einer erwünschten Erfahrung selbst." (40) Heißt das, was nicht sein darf, kann auch nicht sein? Was ist denn mit 'irgendeiner Übereinstimmung' gemeint? Für den Pragmatismus ist das 'Gefühl der Harmonie' mit der Natur in erster Linie deshalb bedeutsam, weil es wirkt. Kunst wird als Instrument verstanden.

'Irgendein Gefühl'; das klingt nach einem 'ozeanischen Gefühl' der Verbundenheit mit der Natur.

Wittgenstein drückt dieses 'irgendwie' für die Erkenntnis in der 'Philosophischen Grammatik' so aus: " Und wir haben hier das alte Problem....dass aber andererseits doch etwas an der Tatsache für den Gedanken selbst Voraussetzung sein muss (ich kann nicht denken, dass etwas rot ist, wenn die Farbe Rot nicht existiert). Es ist das Problem der Harmonie zwischen Welt und Gedanken." (41) Das heißt bei ihm: Etwas Rotes oder die Existenz eines roten Musters muss als Teil unserer Sprache existieren (nicht mehr).

Wenn dem 'Schein der Übereinstimmung' eine ästhetische Bedeutung zukommt, weil er wirkt, so könnte man fragen: Auch wenn die Übereinstimmung nicht wahr ist?

Aber das pragmatische Denken fragt in diesem Sinne nicht nach der Wahrheit.

Das Besondere an Adornos Denken ist, dass er die Frage nach der Wahrheit zu einer Frage der Wahrheit der Kunst macht.

Die Kunst wird zu einer Bastion für den Anspruch auf Wahrheit (nicht 'die' Wahrheit). Aber kann man überhaupt von einer solchen Aufgabe 'der' Kunst sprechen? Lässt sie sich so eingrenzen?

Nach ihm zielt die Kunst auf die Frage: Wie ist ein Besonderes möglich? Wie ist es aber darstellbar?

Auch wenn es in Wirklichkeit unmöglich ist, so ist die Frage nach Adorno von Bedeutung. Verstehbar ist diese Auffassung wohl nur im Rahmen einer 'Negativen Dialektik', die auf ein Besonderes, Nichtidentisches hinzielt und von ihm an anderer Stelle entworfen wird. Danach ist dieses Besondere auch dann von Bedeutung, wenn es sich nicht positiv bestimmen lässt.

Aber wenn das Reden über 'das Besondere' sofort zu Unsinn führt, arbeitet dann die Kunst am Schein, es sei dennoch möglich?

Der Wahrheitsgehalt eines Kunstwerks kann kein Gemachtes nach ihm sein, und das bestimmt seinen Begriff der Wahrheit, an dem er festhalten möchte. Ihm geht es um die Rettung einer Idee, auf der Bühne der Kunst. 'Die' Wahrheit ist hier abgetreten, nun tritt der 'Schein der Wahrheit' auf, auf Brettern die 'eine' Welt bedeuten sollen. Ohne diesen Schein wäre nach ihm das Besondere verloren.

Mit dem Schein der Wahrheit, den die Kunst retten soll ist unlösbar die Idee einer Übereinstimmung von Sprache und Welt verbunden. Aber kann man an dieser Idee noch festhalten? Ist die Kunst wirklich ihr Refugium?

Nelson Goodman lehnt diese Idee für den Bereich des Erkennens ab. (42) Nach ihm wird 'die' Welt ersetzt durch Welten, die nichts als Versionen sind. Zudem sind diese Welten nach ihm ebenso sehr geschaffen wie gefunden. Seine Frage lautet: "Können Sie mir etwas zeigen, das wir nicht gemacht haben?" (nach Putnam ist das eine rhetorische Frage) (43)

Kunst wird nach Adorno zu einem kritischen Organ gegen eine Welt der 'Macher' und 'Erfinder', die alles bedeuten soll. Sie soll zu einem 'Gedächtnis' für die Dinge werden, das verloren zu gehen droht. Aber eine Kritik, die 'das' Machen generell in Frage stellen möchte, steht vor dem Problem der Ausweglosigkeit und Ohnmacht.

 

 

Anmerkungen:

(1) Vgl. Adorno, Th.W., Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1972, S.198. (zurück)

(2) Nietzsche, Friedrich, Menschliches, Allzumenschliches I, München 1988, S.212. (zurück)

(3) Vgl. Goodman, Nelson, Weisen der Welterzeugung, Frankfurt am Main 1998, S.32. (zurück)

(4) Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse, München o. J., S.7. (zurück)

(5) Ebd., S.8. (zurück)

(6) Vgl. Nietzsche, Friedrich, Götzen-Dämmerung, in: ders., Der Fall Wagner, Götzen-Dämmerung, Nietzsche contra Wagner, München 1964, S.58. (zurück)

(7) Horkheimer, Max, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt am Main 1974, S.168. (zurück)

(8) Vgl. Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen, in: ders., Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt am Main 1995, S.298. (zurück)

(9) Vgl. Rorty, Richard, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1997, S.24. (zurück)

(10) James, William, Der Pragmatismus, Hamburg 1994, S.154. (zurück)

(11) Vgl. ebd., S.11. (zurück)

(12) Vgl. Peirce, Charles, Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, Frankfurt am Main 1991, S.117. (zurück)

(13) Ebd., S.492. (zurück)

(14) Ebd., S.467. (zurück)

(15) Vgl. Putnam, Hilary, Vernunft, Wahrheit und Geschichte, Frankfurt am Main 1990, S.90. (zurück)

(16) Vgl. James, William, Der Pragmatismus, a.a.O., S.153. (zurück)

(17) So schreibt Charles S. Peirce: Das absolut Unerkennbare hat "....deshalb keine Bedeutung, weil sich mit ihm kein Begriff verbindet.", in: ders., Schriften zum Pragmatismus...., a.a.O., S.75. (zurück)

(18) Vgl. James, William, Der Pragmatismus, a.a.O., S.153. (zurück)

(19) Adorno, Th.W., Ästhetische Theorie, a.a.O., S.198. (zurück)

(20) Ebd., S.164. (zurück)

(21) Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen, a.a.O., S.398. (zurück)

(22) Vgl. ders., Tractatus logico-philosophicus, a.a.O., S.19. (zurück)

(23) Vgl. Ponge, Francis, Das Notizbuch vom Kiefernwald. La Mounine, Frankfurt am Main 1982, S.80. (zurück)

(24) Ebd., S.52. (zurück)

(25) Kant, Immanuel, Kritik der Urteilskraft, Hamburg 1974, S.68. (zurück)

(26) Ebd. (zurück)

(27) Vgl. ebd., S.66. (zurück)

(28) Vgl. Adorno, Th.W., Ästhetische Theorie, a.a.O., S.22. (zurück)

(29) Ebd., S.82. (zurück)

(30) Hegel, G.W.F., Vorlesungen über Ästhetik I, Frankfurt am Main 1970, S.167. (zurück)

(31) Ebd., S.175. (zurück)

(32) Vgl. Adorno, Th.W., Ästhetische Theorie, a.a.O., S.25. (zurück)

(33) Vgl. ebd., S.23. (zurück)

(34) Vgl. ebd., S.22. (zurück)

(35) Vgl. Dewey, John, Kunst als Erfahrung, Frankfurt am Main 1995, S.18. (zurück)

(36) Vgl. ebd., S.54. (zurück)

(37) Vgl. ebd., S.296. (zurück)

(38) Vgl. ebd., S.301. (zurück)

(39) Vgl. ebd., S.216. (zurück)

(40) Dewey, John, Kunst als Erfahrung, a.a.O., S.216. (zurück)

(41) Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Grammatik, Frankfurt am Main 1993, S.142. (zurück)

(42) Vgl. Goodman, Nelson, Weisen der Welterzeugung, a.a.O., S.31. (zurück)

(43) Vgl. Putnam, Hilary, Von einem realistischen Standpunkt, Reinbek bei Hamburg 1993, S.258. (zurück)

 

 

Zum Autor:

Geb 1945 in Düsseldorf. Studium der Sozialwissenschaften und Philosophie in Bochum. Promotion. Dissertation: Niklas Luhmann. Zur Konstruktion der Selektivität. Pädagogische Mitarbeit in der außerschulischen Jugendbildung (Literatur und Film). Mitarbeit in einem Forschungsprojekt der FU-Berlin (Historische Anthropologie): 'Logik und Leidenschaft' (Dietmar Kamper). Lehraufträge am Institut für Soziologie der FU-Berlin. Thema: 'Minima Moralia'. Zur Zeit: Arbeiten an einem Projekt über die Philosophie des Pragmatismus

Veröffentlichungen:

Niklas Luhmann: Zur Konstruktion der Selektivität, Bochum 1979.Dissertation am Fachbereich für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität-Bochum.

Clown. Mit dem Rücken zur Odyssee, in: Kamper, Dietmar, Wulf, Christoph (Hrsg.), Lachen-Gelächter-Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln, Frankfurt am Main 1986. Vortrag für ein Symposion im Wintersemester 1983/84 am Max-Plank-Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Sturz in das geschlossene Bild, in: Kamper, Dietmar, Wulf, Christoph, Der Schein des Schönen, Göttingen 1989.Vortrag für ein internationales Kolloquium, das im März 1985 in der Fondazione Cini in Venedig stattfand.

Über die kleinen Bruchstücke des Alfred Polgar, in: Paragrana, Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Forschungszentrum für Historische Anthropologie der Freien Universität Berlin 1/1992.

Nietzsche's Gespenst, in: Aufklärung und Kritik. Zeitschrift der Gesellschaft für kritische Philosophie, Nürnberg Jg. 1/2000.