Zeitung Heute : Ein Mann mit Geschichte

Der Historiker Götz Aly ist ein Enkel des ersten Berliner Türken

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Einmal hatte er auf der Ausländerbehörde zu tun, nicht in eigener Sache, und doch war es sein Name, der das Interesse der Beamten erregte: Götz Haydar Aly. Der Vorfall amüsiert den Historiker und Publizisten. Denn dieser Name belegt, er entstammt einer der ältesten Berliner Familien. 1686 wurde ein Aly hier aktenkundig, wenn man so will als einer der ersten türkischen Einwanderer überhaupt – wenngleich diese Immigration eher zwangsweise erfolgte.

Der junge Mann war etwa 20 Jahre alt und kämpfte im Heer des Osmanischen Reichs, als er in preußische Gefangenschaft geriet. Die Umstände sind ungeklärt, möglicherweise geschah es bei der Erstürmung der Festung Ofen, dem heutigen Budapest, an der ein brandenburgisches Hilfskorps beteiligt war. Über den Umweg Hannover kam er im Gefolge der Kurfürstin Sophie Charlotte an den Hof in Charlottenburg, wurde hier auf den Namen Friedrich Aly getauft. Ob der Mann wirklich Türke war, weiß keiner so genau, er könnte ebenso gut in Bosnien, dem Irak, Marokko oder irgendeinem anderen Teil des riesigen osmanischen Reiches rekrutiert worden sein. Denkbar, dass er vornehmer Herkunft war, mit gewöhnlichen Gefangenen hielt man sich damals nicht lange auf. Aber ein Einzelfall war er nicht, an den barocken Höfen schmückte man sich mit einer ganzen Reihe türkischer Pagen und Zofen. Ausstaffiert mit Turban und Pluderhose entsprachen sie der Mode der Zeit, man begeisterte sich bei Kaffee und Tabak für den Orient.

Friedrich Aly wurde in Berlin mit der „gewesenen“ Türkin Maruscha verheiratet – die junge Frau war ebenfalls eine Beute aus dem Türkenkrieg und inzwischen auf den Namen Sophie Henriette getauft. Bei Hofe bekleidete Friedrich Aly zusammen mit seinem Kollegen Friedrich Wilhelm Hassan die Position eines „Kammertürken“, so etwas wie der persönliche Diener der Kurfürstin. Mit 366 Talern im Jahr war der Posten nicht schlecht vergütet, der adlige Kammerjunker von Grothe bezog beispielsweise nur 225 Taler. Und an der Schlossstraße 6 bezog Friedrich Aly ein so genanntes Frey-Haus, ein Privileg, das ihm Steuerfreiheit sicherte. Welche Wertschätzung Friedrich Aly genoss, zeigt auch eine Szene beim Tod der Kurfürstin. Ihr letzter Gruß ist überliefert. Er galt den Kammertürken: „Adieu Aly! Adieu Hassan!“.

Friedrich Aly und Maruscha bekamen sechs Kinder. Ihre Nachfahren bewahrten den vergleichsweise hohen Status. Sie wurden Kaufleute, Beamte, Offiziere. Einem, dem Schiffspfarrer Johannes Aly, gelang es sogar, der Weltkarte wenigstens vorübergehend seinen Stempel aufzudrücken. Bei der Erkundung des Bismarck-Archipels, der ehemaligen deutschen Kolonie in Ozeanien, kam ihm als Offizier die Ehre zu, einer der gesichteten Inseln seinen Namen zu geben. Und weil er der Schiffspfarrer war, wurde die Aly-Insel jene, auf der man die Mission errichtete.

Was Götz Aly nachweislich mit dieser Familiengeschichte verbindet? Der Zweitname Haydar, der gemäß einer Familientradition den männlichen Nachkommen des Ur-Aly gebührt. Und alle paar Jahre trifft man sich zum Aly-Tag, „da kommen schon an die 100 Verwandte zusammen“, sagt Götz Aly. lat

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