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Grafik: Marc Vogelsang

Als Reformer angetreten

Ein Präsident mit Vergangenheit

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 Albrecht Bungeroth gratuliert 1999 Margot Käßmann zu ihrer Wahl. Bild: Jens Schulze

Als Albrecht Bungeroth im November 1998 mit 48 von 85 Stimmen zum Präsidenten der Landessynode gewählt wurde, gab es auch einige skeptische Gesichter. „Meine aktive GOK-Vergangenheit war manchem doch ein wenig unheimlich“, erinnert sich der 72-Jährige schmunzelnd. Insgesamt 30 Jahre arbeitete der ehemalige Richter am Gifhorner Amtsgericht in der Landessynode mit. Von 1980 an gehörte er zum Vorstand der GOK.

Die 1980er Jahre hat er als Zeiten des Aufbruchs in Erinnerung. „In der GOK waren wir wild entschlossen, die Strukturen und die Verfassung zu ändern. Und so haben wir einen Antrag formuliert, einen Ausschuss zur Überprüfung der Verfassung zu bilden.“ Dieser Antrag habe für große Aufregung gesorgt, erzählt der Jurist. Angefangen vom Landesbischof über das Landeskirchenamt bis zur LVK habe es erst hitzige Diskussionen und dann viele Hintergrundgespräche gegeben.

Herausgekommen ist ein Kompromiss mit dem ziemlich sperrigen Namen „Ausschuss zur Überprüfung landeskirchlicher Strukturen und Entscheidungswege“, abgekürzt „Ülse“-Ausschuss: „Der durfte alles“, sagt Bungeroth: „Nur eben nicht Verfassungsausschuss heißen.“ Es sei auch kein reiner Synodenausschuss gewesen, er habe Vertreter aus mehreren kirchenleitenden Organen gehabt. „Wir haben versucht, Dinge zu machen – und sie dann nach ein paar Jahren wieder seingelassen – die dann letztlich vor zehn Jahren der Perspektivausschuss umgesetzt hat.“

Der Perspektivausschuss sei mit der Finanzfrage an die Arbeit herangegangen und habe bei der Gelegenheit Strukturen verändert, betont Bungeroth und fügt mit seinem trocknen Humor hinzu: „Wir sind damals mit der Machtfrage gestartet, und das war verkehrt!“ Wenn er heute auf seine jahrzehntelange Arbeit im Kirchenparlament zurückblickt, fällt ihm vor allem eines auf: „Es hat sich gewaltig etwas verändert.“

In den 1980er Jahren habe man von Zeitbegrenzungen in Leitungsämtern wie etwa beim Bischofsamt nur träumen können. Erfreulich findet er auch, dass Su­perintendenten inzwischen wählbar sind, und dass das Thema Homosexualität im Pfarrhaus vom Tisch ist. Für Revolutionäre, die immer gleich eine Sache von heute auf morgen durchboxen wollten, seien dies vielleicht nur kleine Erfolge: „Aber heute kann ich sagen: Es hat ein wenig gedauert – und das war manchmal auch gut so. Bei einigen Vorschlägen war schon damals nicht klar, ob sie die nächsten drei Wochen überleben würden“, bilanziert der Jurist.

Bungeroth, der das Amt des Präsidenten mit der Wahl von Margot Käßmann zur Landesbischöfin übernahm, blickt positiv auf die Jahre zurück: „Ich habe das sehr gern gemacht und hatte auch den Eindruck, dass ich nach anfänglichen Vorbehalten von allen akzeptiert wurde.“ Im Herzen ist der gebürtige Magdeburger aber Synodaler geblieben: „Die sogenannte ehrenamtliche Kirchenleitung wird immer auf allen Ebenen unverzichtbar bleiben. Man darf das nicht den Hauptamtlichen überlassen“, betont er.

Das fange in der Gemeinde an und reiche bis zur Landessynode: „Wir brauchen auch in Zukunft dringend Menschen, die aktiv in der Gesellschaft stehen und wirtschaftliche und finanzielle, aber auch theologische und seelsorgerliche Themen aus eigenem Erleben und Dienst kennen.“

Gruppe Offene Kirche (GOK)

Mit der progressiven „Gruppe Offene Kirche“ erreichte die 1968er Bewegung die Landessynode. Sie wollte das Kirchenparlament demokratisieren und politisieren und prägte zunehmend die Debatten. Bereits 1968 schlossen sich zwölf Synodenmitglieder zu einer Fraktion zusammen. 1969 veröffentlichten 16 Männer und Frauen einen Aufruf zur Gruppenbildung in der Kirche, unter ihnen so bekannte Namen wie Hartmut Badenhop, Horst Hirschler, Martin Kruse und Ernst-Gottfried Mahrenholz. Theologisch ging die GOK vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen aus: Möglichst viele Christen sollten sich am Leben der Kirche beteiligen und mitentscheiden. Nichtttheologische Mitarbeiter sollten aufgewertet und Leitungsämter befristet werden.

Die GOK brachte viele politische Themen in die Diskussion: Rassismus, Atomkraft, Frieden oder Homosexualität. „Leitend war der Gedanke, dass die Tagesordnung der Welt die Tagesordnung der Kirche bestimmt“, schreibt Matthias Wöhrmann, ehemaliges Mitglied der GOK-Synodengruppe. Nicht alle Ziele konnten direkt umgesetzt werden. „Reform ist selten gelungen, vielleicht Reparatur“, sagte der ehemalige GOK-Sprecher Rudolf Bembenneck. Heute gehören 42 Synodenmitglieder zur GOK.

Zum Internetauftritt der GOK

Lebendige Volkskirche (LVK)

Die Gruppe „Lebendige Volkskirche“ galt lange als die konservativere der beiden Synodalgruppen. Doch die Gruppen haben sich inzwischen angenähert. Ebenso wie die GOK frommer geworden sei, so sei die LVK offener und politischer geworden, schreibt der frühere LVK-Vorsitzende Werner Wasmuth.

Die LVK ging aus der „Synodalen Arbeitsgemeinschaft“ (SAG) hervor, die 1970 gegründet wurde. Paradoxerweise fanden sich hier Synodenmitglieder zusammen, die von einer Gruppenbildung eigentlich gar nichts hielten, aber irgendwie auf die GOK reagieren mussten. Die Politisierung kirchlicher Arbeit widerspreche dem Wesen der Kirche, hieß es. Gott wolle nicht trennen, sondern Menschen verbinden. 1978 gab sich die Gruppe den Namen „Position ’78 – Lebendige Volkskirche“. Die Volkskirche sei für viele da, hieß es, auch für Politiker, Arbeitgeber, Banker, Polizisten und Soldaten. Eine prägende Persönlichkeit war lange Jahre der frühere Osnabrücker Landessuperintendent Gottfried Sprondel.
Die Arbeit der LVK ziele vor allem auf das Volk, auf die Menschen, für die „wir als Kirche da sein sollen“, betont Wasmuth. Unter anderem müsse dem gravierenden Abbruch an religiöser Tradition begegnet werden. Heute gehören 32 Synodenmitglieder zur LVK.

Die Vorstellung der Gruppe Lebendige Volkskirche "LVK"