Resilienz, Trauma & Beziehung – Emotionen und ein Rückblick auf das Seminar mit Gordon Neufeld in Zürich
Wie versprochen hier der Versuch einer “inhaltlichen Zusammenfassung” des Seminars mit Gordon Neufeld am Wochenende in Zürich. Ich ging mit „gemischten Gefühlen“ hinein, da ich mit Begriffen wir Autorität, Hierarchie und Alpha, die Neufeld verwendet, so meine „Themen“ habe. Aber ich muss sagen, dass ich positiv überrascht wurde und das Wochenende sehr inspirierend und wertvoll für mich war. Vielleicht gibt es dem ein oder anderen hier auch Anregungen.
Neben der Begegnung mit Martin Miller, mit dem ich am Samstag zu Mittag aß, um ihn für unsere Ausstellung und mein Symposium im Mai zu gewinnen, konnte ich mit Dagmar Neubronner nun auch mal persönlich ein paar Worte wechseln (wir hatten ja bisher nur online für den Kongress das Vergnügen) und viele nette Menschen kennenlernen, die meinen letzten Kongress verfolgt hatten. Ein wirklich rundum kommunikatives und „bindungsförderndes“ Wochenende…
Nun aber zum Inhalt des Seminars.
Neufeld begann mit der Definition von Resilienz und stellte zunächst klar, dass diese nicht bedeute, das man Traumata oder stressige Umstände überleben könne, dass sie nicht die Fähigkeit beschreibe, in stressigen Situationen funktionieren zu können, sondern dass es vielmehr darum ginge, die Fähigkeit zu erlangen, in stressigen Situationen, selbst unter ungünstigen Bedingungen, zu gedeihen und zu “optimalem Funktionieren“ zurückfedern zu können (damit ist nicht ein produktives, erfolgreiches Funktionieren gemeint).
Unter optimalem Funktionieren versteht er die Einheit aus vollumfänglicher Ruhe, Gefühlen und Spiel. Darauf ging er gesondert ein und auch ich möchte hier mit dem Spiel beginnen.
Neufeld bezeichnet das Spiel als Grundzustand der Unreifen, als vorderste Front der Entwicklung. Er sagt, dass das Spiel nicht die Arbeit des Kindes sei, da Arbeit immer mit einem „outcome“ einhergehe, wohingegen das Spiel immer um seines selbst willen sinnhaft sei. Beim echten Spiel gehe es um die Möglichkeit der Selbstverwirklichung, was heilend und therapeutisch wirke. Im Spiel kann ich allen Emotionen im geschützten Rahmen Ausdruck verleihen und somit fühlen, was an anderer Stelle nicht gefühlt werden darf. Das Spiel ist somit Kern der „Therapie“ und aktiviert die emotionale Bewegung, die für unsere Fähigkeit, Emotionen zu fühlen, so essentiell wichtig ist. Verspieltheit ist in seinen Augen der Schlüssel, um im Herzen jung zu bleiben und fehlt bei denjenigen, die in Schwierigkeiten sind oder selbst „schwierig“ sind.
Ich musste an die Spiele in meiner Kindheit zurück denken und an den Satz „In Spiel bin ich jetzt….“ und „Das war doch nur in Spiel….“ In dieser Welt ist alles erlaubt, alles möglich, alles darf sind und nichts zählt. Es geht nicht um den Ertrag, sondern Spiel ist „just for it“. Hier können Tränen fließen und sich Panzerungen lösen. Im Spiel ist alles möglich. Ich notierte mir dazu spontan die Zusammenfassung:
Im Spiel ist Sicherheit und Frieden.
Wie bekommen wir nun unsere Verspieltheit wieder? Nun, durch ausreichend Ruhe:
Ruhe ist für Neufeld deshalb so wichtig, da aus ihr alles mentale, emotionale und körperliche Wachstum hervorgeht (Kinder wachsen z.B. im Schlaf). Ruhelosigkeit hemmt das optimale Funktionieren und es gibt viele Menschen, die glauben, dass sie nur durch ununterbrochenes Arbeiten und Schuften etwas erreichen können. Dabei übersehen sie, dass in der Ruhe die wahre Kraft liegt.
Mir kam in diesem Zusammenhang einer der Vorträge des AP-Kongresses in Hamburg in den Kopf, der meines Erachtens hier gut ergänzt: Der Sympathikus (unser Gaspedal) läuft auf Hochbetrieb, während wir den Parasymathikus (Bremse) nicht zum Zuge kommen lassen und so permanent auf der Überholspur durchs Leben ziehen, im Dauerstress. Balance und Harmonie, Ausgeglichenheit und Glück, finden wir aber nur dann, wenn wir dem Bremspedal auch mal eine Chance geben und uns bewusst herunterfahren.
Spannend fand ich Neufelds Vergleich mit der Raupe, die nicht unter Anstrengung und in besonderem Aktionismus zum Schmetterling wird, sondern in der Verpuppung, der Ruhe zur Transformation kommt.
Gefühle beschreibt Neufeld als die bewussten Wahrnehmungen von Körperzuständen und Veränderungen, inklusive derer, die durch Hunger, Schmerz, Bewegung, Schwangerschaft usw. hervor gerufen werden. Unsere Gefühle sind demnach Deutungen unseres bewussten Gehirns für das Feedback, das unser Körper ihm gibt.
Emotionen sind unbewusst, Gefühle hingegen sind gefühlte Emotionen.
Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen richtig „lesen zu können“, muss nach Neufeld erst entwickelt werden. Um dies zu ermöglichen, benötigen Emotionen Bewegung, sie können nicht aus einem statischen Moment heraus „gelesen“ werden. Unser emotionales Feedback kann gehemmt sein, als Panzerung gegen Verletzlichkeit, meist in Folge gemachter Erfahrungen oder verletzender Umstände. Wenn wir Emotionen fühlen, sind da Schmerz, Wut, Trauer usw., die wir nicht spüren möchten und vor denen wir fliehen wollen. Um aber optimal „funktionieren“ zu können, müssen wir in der Lage sein unsere Gefühle auch zu fühlen. Natürlich ist eine gewisse Abgeschnittenheit von unseren Gefühlen überlebensnotwendig. Wenn wir alle Emotionen, die uns in dieser unserer Welt überkommen, fühlen wollten, würden wir wahnsinnig werden. Somit ist diese vorübergehende Hemmung des emotionalen Feedbacks sogar wichtig für uns.
Spannend war für mich hier die Einsicht, dass wir uns nie aus einem Leiden „heraus denken“ können. Wir müssen es immer vollumfänglich fühlen und zulassen, um Heilung zu erfahren. Deshalb ist es auch unmöglich, anderen zu helfen oder sie zu heilen. Wir können Prozesse anregen und Mut machen, eigene Prozesse zuzulassen, aber durchleben muss sie jeder selbst. Das ist Natur, das ist, wie es ist.
Um nun also „optimal funktionieren zu können“, muss ein Kind sich verletzt fühlen dürfen, bei Verwundungen, müde, wenn es Ruhe braucht, hoffnungsvoll, wenn es in die Zukunft blickt, alarmiert, wenn Trennung droht, anteilnehmend, in einer Bindung, scheu, ohne eine solche Bindung, zurückgewiesen, ohne Einladung, frustriert, wenn etwas nicht klappt usw.
Kinder müssen ihre Emotionen fühlen dürfen, um sich an ihre individuellen Lebensbedingungen anpassen zu können, um sich von Traumata erholen und aus Konsequenzen etwas lernen zu können. Sie müssen fühlen, um zur Ruhe und ins Spielen zu kommen, ganz menschlich zu werden und von Impulsivität zu emotionaler Reife zu gelangen.
Nur unter Berücksichtigung aller Bausteine der Triade kann sich das gesamte menschliche Potenzial entfalten, deren Basis das Fühlen der Emotionen ist, gefolgt vom Geborgensein und dem Spiel an der Spitze.
Die Bindung war ein weiteres zentrales Thema des Seminars und sehr eindrücklich wurde klar, dass Bindung mit Überleben gleich zu setzen ist. Unsere Überlebenschancen steigen seit jeher mit der Nähe zu unseren Bindungen, den Menschen, die für uns sorgen. Je größer also die Gefahr ist, Trennung zu erfahren, umso stärker binden wir uns an Menschen, die uns nah sind. Somit erfolgt als logische Schlussfolgerung, dass Trennung eine der größten Bedrohungen für unser Leben bedeutet und Stress auslöst.
Wann immer wir Trennung erfahren oder mit Trennung konfrontiert sind, löst dies Angst vor dem Mangel oder gar Verlust von Nähe im Bindungskontext aus.
In diesem Zusammenhang ersetzten Alexej und ich den Begriff der Trennung durch Erziehung, da Erziehung das Kind von sich selbst und auch die Eltern vom Kind trennt und stellten fest, dass jede Aussage in unseren Augen mit diesem Begriff noch mehr Sinn macht. Lies gerne den Abschnitt noch einmal durch und ersetze Trennung durch Erziehung. Stimmt der Inhalt dann noch immer für Dich?
Interessant fand ich in diesem Zusammenhang, dass es ausreicht, eine Trennung zu befürchten, sie muss nicht einmal real eintreten.
Wenn ein Kind Angst davor hat, die Mutter könne es verlassen, entsteht der gleiche Stress, als würde die Mutter tatsächlich gehen. Mir kam da direkt die typische Spielplatzsituation in den Sinn, in der Mütter ihren Kindern androhen, alleine los zu gehen, wenn das Kind nicht sofort mitkommen möchte, oder sie sich gar abwenden und los laufen, um eindrücklich zu kommunizieren, dass es ihnen ernst ist.
Typisch für solche Situationen ist, dass unter erhöhtem Stress, mehr Emotionen auftreten aber weniger Gefühle. Das bedeutet, dass die primären Trennungsemotionen, wie Alarm, Frustration usw. verstärkt, aber nicht gefühlt werden und dieses emotionale Feedback somit gehemmt wird, um vor Verletzung zu schützen. So ist es Kindern möglich, in einer verletzenden Situation, dennoch zu „funktionieren“.
Wichtig ist es also, Emotionen nicht zu unterdrücken, sondern sie einzuladen und bewusst zu fühlen und auch zu weinen.
Besonders die Vergeblichkeit muss gefühlt werden. Erst wenn ich fühlen kann, dass etwas vergeblich ist und meinen Emotionen Ausdruck verleihe, kann ich zurückfedern zu meinem optimalen Zustand des Funktionierens und los lassen.
Zusammenfassend noch einige „Leitsätze“ für Euch zum Schluss:
Die Kinder nicht beruhigen im Sinne eines „sei schön ruhig, alles ist gut“, sondern eines Ermutigens: „Lass es raus, alles darf sein“.
Es ist nicht nötig, die Tornados anzuschauen, die das Chaos angerichtet haben und bis ins kleinste Detail zu „bohren“, um die Wunde, den Kern der Sache zu finden. Es sind vielmehr die „kleinen Wolken“, die wir anschauen können und die ausreichen, um den Heilungsprozess (das Weinen) in Gang zu setzen. Wir dürfen Tröster sein anstatt die Vergeblichkeit für unsere Kinder zu vermitteln.
Eltern (sein) ist eine Rolle, vergessen wir das nicht und zeigen uns wahrhaftig und offenherzig als Mensch.
Wir müssen nicht die Antworten für unsere Kinder haben, wir dürfen die Antwort sein.
Wir brauchen keine Strategien und Tricks, wenn wir uns einfach um eine ehrliche Beziehung und eine gute Bindung bemühen. Alles andere entfaltet sich. Kinder wollen ernst genommen, gesehen und gehört werden, Das ist es, was zählt.
Bis zum nächsten Mal und liebe Grüße von der Mittelmeerküste, à bientôt
Katharina
Wenn Du Lust hast auf Austausch und Gemeinschaft zu diesen und vielen weiteren Themen rund um das Familienleben, dann sei herzlich eingeladen, den Family Campus kennen zu lernen. Es stehen gerade Veränderungen in der Struktur an und ab kommender Woche dann, kannst Du den Campus im neuen “Look” und mit neuem “Gesicht” unter www.family-campus.com finden. Noch herzzentrierter, noch transparenter und nicht zuletzt auch: noch bezahlbarer. Ich freu mich auf Dich…