Im Kopfkino der Sprachen und Bilder - Zu Philip Millers und William Kentridges Paper Music im Lichthof des Martin Gropius Baus

Papier – Erinnerung – Medien   

 

Im Kopfkino der Sprachen und Bilder 

Zu Philip Millers und William Kentridges Paper Music im Lichthof des Martin Gropius Baus 

 

Foreign Affairs, das International Performing Arts Festival, hat am 5. Juli im Lichthof des Martin Gropius Baus mit der fulminanten deutschen Erstaufführung von Philip Millers und William Kentridges Paper Music begonnen. Am Schluss des Ciné-Concerts, einer Kombination aus William Kentridges Zeichenkunst und einem Lied-Zyklus des südafrikanischen Komponisten Philip Miller, wurde das Ensemble bejubelt. Joanna Dudley, die schon die Guided Tour durch die Ausstellung NO IT IS !, von Kentrigde aufgeführt hatte, begeisterte mit Ann Masina und dem Pianisten Vincenzo Pasquariello das Publikum. Eine Sternstunde der Performing Arts aus Zeichenkunst, Kino, Lied und Live-Performance nicht nur, weil Paper Music mit einer Reise zum Mond beginnt, in der sich Ameisen in Sterne verwandeln, eine Espresso-Tasse zum Fernrohr und ein Espresso-Kocher zur Raumkapsel wird.

 

Der Lichthof des Martin Gropius Baus entwickelt sich mit Ausstellungen der letzten Jahre wie Tino Sehgals Performances (2015) oder Ai Weiweis Stuhlinstallation (2014) durch neuartige Gebrauchsweisen zu einem faszinierenden Passagenraum. Die Aufführung eines Lied-Zyklus könnte nun dadurch leiden, dass der Lichthof mit seiner Glasdecke, seinen Fliesen und Kacheln extremen Hall hervorruft. Der Hall verzerrt und überlagert die Sprache im Liedgesang. Die Sprache wird verfremdet oder gar unverständlich. Doch sie wird aufgeführt und korrespondiert mit den animierten Zeichnungen – meistens schwarze Tusche, Kohle, Bleistift, Rotstift –, die aufscheinen, um sogleich zu verschwinden, bevor sie sich als Bild anhalten ließen. Der Halleffekt wird von Philip Miller für die Performanz gezielt eingesetzt.   

 

Paper Music wurde 2014 in einem mittelalterlichen Hof in Florenz uraufgeführt. Im Lichthof wird der Hall verstärkt. Er lässt sich ebenso als Echo bedenken, das bekanntlich durch Verzögerungen auf die Frage „Was bringt die höchste Lust, von der wir wissen?“ die Antwort „Wissen“ hervorrufen kann.[1] Mit Paper Music, die auch paper works heißen könnte, weil die Arbeiten auf Papier auch weiter arbeiten, geht es um vielfältige visuelle und akustische Effekte des Echos als Modus von Erinnerung und Wiederholung. Journey to the moon, Carnet d’Egypte, Refuse of Time, Particular Collissions, Dr. Chr., Nil per mouth, Panther Rilke, Looking at the tree, Lullabies for Heroes, Learning the Language, Trio for 4Hours werden als Titel der Lieder und Musikstücke angeschrieben.   

 

Die Lieder, Musikstücke und Videos sind kurz. Sie wechseln schnell. Es sind kurze, wechselhafte Erzählungen vom Papier an der Grenze zu multimedialen Technologien. Das Papier fliegt und wirbelt in den Videos trickreich durch den Raum. Es wirbelt mit einem Luftstoß nicht von, sondern an die Wand. In Dr. Chr. raschelt William Kentridge mit Papier. Papier als akustisch-visuelles Ereignis. Papier als Performanz. Das Blatt, der Bogen Papier, die bedruckten Buchseiten werden von Kentridge mit einem fetten Tuschepinsel bemalt, als handle es sich um chinesische Schriftzeichen. Doch sie erinnern nur daran. Buchwissen auf gedruckten Papierseiten verwandelt sich in andere Schriften.


Foto: C Biró István / huntheater.ro  

In dem Maße wie William Kentridge Papierseiten und oft Bücher oder Buchhaltungstabellen nicht nur als Unterlage oder Hintergrund nutzt oder inszeniert, sondern daraus ein Daumenkino oder einen Freudschen »Wunderblock« als Modell von Erinnerung, Wissen und Schrift[2] macht, wird eine Feier des Papiers als Holzmedium[3] deutlich unterlaufen. Der Schrift- und Zeichenkünstler William Kentridge hält nicht an den, wie man sagt, analogen Medien Papierbuch, Tusche oder Kohle auf Papier, Schallplatte aus Venyl oder Schelllack etc. fest. Vielmehr überschneiden sich bei ihm mit den Videos und dem Tablet das Analoge und das Digitale zugunsten der Performanz. Es sind die Übergänge, Passagen und Überblendungen in der performativen Praxis, die keinen Stillstand erlauben.


Screenshot (T. F.): © Video William Kentridge 

In den Videos legt oft eine Hand die Blätter auf eine Unterlage. Eine Hand, die wahrscheinlich die von Kentridge ist, erinnert immer auch an das Gemachte, das, wenn man so will, Künstliche der Animationsfilme. Die Hand stört in gewisser Weise im Animationsfilm, weil sie den Illusionsraum des Animationsfilms als wirkliche Unwirklichkeit durchbricht. Kentridges Hand erinnert an das Machen und Gemachte von Sinn in der Welt, der sich nicht anhalten und auf einen Sinn festnageln lässt. It’s all handmade und selfmade weniger als auktorialer Künstler und Kreator, denn als einer, der selbst zutiefst ins Machen verstrickt ist.  


Screenshot (T. F.): © Video William Kentridge  

Philip Miller vertont die Papierarbeiten zwischen der Reise zum Mond und der Erinnerung an die Apartheid in Südafrika nicht einfach. Vielmehr erforscht er mit seinen Kompositionen für Paper Music, wie Sinn durch Töne, Klänge und Lieder entsteht. William Kentridge und Philip Miller arbeiten zusammen, so dass sich nicht genau sagen lässt, was zuerst da war. Die Lieder und Gesänge gehorchen einer Logik der Erinnerung, für die nicht zuletzt zwei farbige, alte Kofferradios auf einem Tisch stehen.


Screenshot (T. F.): © Video William Kentridge  

Joanna Dudley und Ann Masina halten den Tonabnehmer oder Tonkopf kurz über den sich drehenden Schallplatten. Schallplatten in Papierhüllen und Kofferradios sind nicht einfach Medien, um Musik zu hören. Sie sind vielmehr Erinnerungsstücke an die Zeit als Kentridge die Schallplatten hörte. Schallplatten sind bei Miller und Kentridge Erinnerungsstücke und Echomaschinen, die in der Wiederholung immer wieder Neues hören lassen.   


Screenshot (T. F.): © Video William Kentridge  

Die Ukulele als Inbegriff des exotischen Klangs wird von Joanna Dudley zu einer Strandszene am Meer vor Kapstadt gespielt. Der Strand von Kapstadt ist nicht Hawaii. Doch Hawaii, Sugars Spiel auf der Ukulele in Billy Wilders Some like it hot und eine moderne Strandvilla nach Art des Bauhauses aus den 30er oder 50er Jahren vermischen sich mit dem Rauschen des Meeres aus dem Farbige als Folteropfer auftauchen und verschwinden. Die Strandidylle mit dem exotischen Klang und den Gesängen der Hawaiianer ist gespalten. In den Umkleidewagen am Strand hängen Folteropfer. Meeresrauschen, Ukulele und Gesänge bilden einen Kontrast zum Schrecken der Erinnerung und verstärken ihn.

 

In Learing the Language wird die durch den Hall verzehrte Sprache durch Vorsingen von Ann Masina und Nachsingensprechen bzw. Wiederholung von Joanna Dudley erlernt. Alles beginnt mit der Wiederholung ließe sich sagen. Ob es nun allein der extreme Hall ist, der das Verständnis der Sprache erschwert oder eben die Lieder und die Paper Music von vornherein darauf angelegt ist, dass sie nicht verstanden werden müssen, lässt sich nicht genau sagen. Macht Learning the Language Sinn? Es geht für Miller wie für Kentridge immer darum zu erforschen, wie Sinn entsteht, weil stets mit Mehrdeutigkeiten und Paradoxien gearbeitet wird.

 

Ann Masina gehörte zum Soweto Gospel Choir, der 2002 gegründet wurde. Ihr Stimmumfang ist beachtlich. Und zur Aufführungspraxis für Miller und Kentridge gehört ebenso, dass Joanna Dudley sehr schlank ist, während Ann Masina einen voluminösen und majestätischen Körper auf die Bühne bringt. Daraus wie aus der Behandlung der Sprache entsteht eine starke Skurrilität, die in der Performance einen ernsten Unsinn entstehen. Die Skurrilität erhellt durchaus die Produktion von Sinn in seiner Arbitrarität.

 

Torsten Flüh 

 

Foreign Affairs 

International Performing Arts Festival 

bis 15.07.2016 

 

Handspring Puppet Company 

mit William Kentridge und Jane Taylor 

Ubu and the Truth Commission 

Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne 

MI 13.07.2016, 18:00 & DO 14.07.2016, 19:00 

 

Franz Schubert / William Kentridge 

Winterreise 

Haus der Berliner Festspiele, Große Bühne 

Mi 13.07.2016, 20:00 

 

William Kentridge 

More Sweetly Play The Dance u.a. 

Uncertain Places. Eine Nachtausstellung. 

Haus der Berliner Festspiele 

bis 15.07. 2016, 22:00 - 01:00

Kostenlos auf der Außenwand. 

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[2]Vgl. Jacques Derrida: Freud und der Schauplatz der Schrift. In: ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1972.

[3]Zu Holzmedien siehe: Torsten Flüh: Musik in Strömen. Qobuz flutet den deutschen Online-Musikservice-Markt. In: NIGHT OUT @ BERLIN 19. April 2015 18:50.