Jetzt sollen es also die Frauen richten. Als Martin Schulz am frühen Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus auf die Bühne tritt, um die Niederlage seiner Partei zu verkünden, ist er umringt von Kolleginnen. Heiko Maas ist hinter den bisherigen Ministerinnen Andrea Nahles, Katarina Barley und Barbara Hendricks und den Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig und Malu Dreyer kaum zu sehen. Und Sigmar Gabriel, der Ex-Parteichef, dem viele hier die Schuld am historisch schlechten Abschneiden der SPD geben, verschmilzt ganz hinten auf der Bühne optisch mit der blauen Wand.
Opposition statt große Koalition, Frauenpower statt Alphamännchen: Es soll nicht bleiben, wie es war in der SPD – so lautet die Botschaft dieses allerersten Auftritts der Parteispitze.
Schulz selbst, der gescheiterte Kanzlerkandidat, wirkt blass, aber gefasst. Die SPD habe die Bundestagswahl verloren, sagt er mit fester Stimme, das sei bitter. Seine Partei werde sich nun "grundsätzlich neu aufstellen". Und es sei seine Aufgabe, diesen Prozess als "gewählter Vorsitzender zu gestalten". Er wolle die Partei weiter führen, aber nicht Fraktionsvorsitzender im Bundestag werden, sagt Schulz dann etwas später im Fernsehen.
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Schon am Montag werden die Führungsgremien der SPD tagen. In der Parteizentrale gehen viele fest davon aus, dass dabei Andrea Nahles als Kandidatin für den Fraktionsvorsitz herauskommt. Die einstige Juso-Vorsitzende hat als kämpferische Arbeitsministerin den Mindestlohn, die Rente mit 63 und die Begrenzung der Leiharbeit durchgebracht und sich damit auch den Respekt von Unionspolitikern erworben. Nahles gehört schon lange zum Führungsteam der SPD. Als Oppositionsführerin würde sie die nächsten Jahre bei Debatten im Bundestag stets als Erste auf Kanzlerin Angela Merkel antworten und sich damit als potenzielle nächste Kanzlerin empfehlen.
Wenn es nach den jungen Bundestagsabgeordneten geht, dann soll der Generationswechsel nicht bei Nahles aufhören: "Die SPD muss jünger, weiblicher und digitaler werden", sagt etwa Lars Klingbeil. Der 39-Jährige gilt neben Michelle Müntefering und Manuela Schwesig als einer der jungen Hoffnungsträger der Partei. "Meine Generation wird jetzt mehr Verantwortung übernehmen."
Doch hilft gegen die Misere der SPD bereits ein personeller Umbau? Noch zu Beginn des Jahres hatte die Partei schließlich fest daran geglaubt, mit dem nahbaren ehemaligen Würselener Bürgermeister Martin Schulz nicht nur enttäuschte SPD-Wähler wieder an die Partei binden zu können, sondern im "Schulzzug" gar ins Kanzleramt einzufahren.
Auch unter dem Charismatiker Schulz, dem die meisten SPD-Mitglieder einen "ordentlichen" und kämpferischen Wahlkampf bescheinigen, hat die Partei am Ende noch mal wichtige Prozentpunkte verloren. Besonders bitter: Die Rechtspopulisten von der AfD sind ihr mit mehr als 13 Prozent auf den Fersen – nur rund sieben Prozentpunkte trennen sie von der SPD. Im Osten Deutschlands sieht es noch viel schlimmer aus, dort landete die SPD hinter der AfD auf Platz drei.
Wie das passieren konnte? Im Eingangsbereich des Willy-Brandt-Hauses könnte ein Grüppchen lokaler SPD-Wahlkämpfer die Antwort haben: "Wir haben in Berlin-Pankow am Parteistand sehr intensiv mit den AfD-Wählern gesprochen", erzählt Birgit Grunberg. "Wir hatten gute Argumente, aber wir kamen nicht mehr durch." Vor allem in den sozial schwachen Wohngebieten "glauben die uns gar nix mehr", sagt Grunberg.
An wen soll sich die SPD künftig richten?
Noch dazu ist sie ratlos, an wen sich die Partei künftig eigentlich richten soll. "Ich war immer gegen die große Koalition. Aber das Wahlergebnis zeigt: In Deutschland gibt es im Moment keine linke Mehrheit." Gerade mal 38 Prozent der Wähler haben an diesem Tag SPD, Grüne oder die Linkspartei gewählt.
Aus der Umklammerung der Regierungsbeteiligung versucht sich die SPD direkt an diesem Tag zu lösen. Gleich nachdem sie die ersten Vorprognosen bekam, hatte sich die Parteispitze in einer Krisensitzung auf eine Sprachregelung geeinigt: "Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenarbeit mit der CSU und CDU." So ruft es Schulz später seinen dazu erstmals jubelnden Anhängern zu. "Wir sind uns einig, diesen Schritt zu gehen." Selbst Sozialdemokraten, die zuletzt noch hinter vorgehaltener Hand für die Fortsetzung der großen Koalition geworben hatten, stellen in Gesprächen in der Parteizentrale nüchtern fest: "Die große Koalition wurde krachend abgewählt."
Die SPD strebt nun die Aufgabe des Oppositionsführers an – und will der AfD damit das Vorgriffsrecht auf den Vorsitz in wichtigen Parlamentsausschüssen wegschnappen.
Für das viel größere Problem des richtigen Umgangs mit jenen Wählern, die sich wie bei Birgit Grunberg in Pankow kopfschüttelnd von der Partei abwenden, wird es viel schwieriger werden eine Lösung zu finden. Viele SPD-Mitglieder wünschen sich, dass die Problemanalyse nun ausführlicher geschieht als im Jahr 2013, als alle Schuld schnell dem "Pannenkandidaten" Peer Steinbrück zugeschoben wurde.
Gewinner und Zweitplatzierte nach Zweitstimmen
Doch auch am aktuellen Kandidaten Schulz gibt es viel Kritik. Er habe zwar solide gekämpft, aber keine klare Linie gehabt, Themenhopping betrieben, ihm habe Kanzlerformat gefehlt – so lauten erste Analysen in der Partei. Vor allem junge Sozialdemokraten weisen zudem darauf hin, dass die Berliner Parteizentrale nicht dazu in der Lage war, einen Wahlkampf auf der Höhe der Zeit zu führen. Im Willy-Brandt-Haus herrsche eine gefährliche Beamtenmentalität.
Es wird viel geraunt. Auch darüber, dass Schulz sich womöglich nur für eine kurze Übergangszeit auf dem Parteivorsitz halten wird. Dass nicht nur Nahles Interesse am Fraktionsvorsitz habe.
Und selbst das Nein zur großen Koalition könnte noch einmal diskutiert werden: Ein ziemlich entnervter FDP-Vorsitzender Christian Lindner ermahnte den SPD-Chef in der TV-Elefantenrunde vorsorglich, er könne sich nicht aus der Verantwortung ziehen, sollten Verhandlungen über eine Jamaikakoalition scheitern. Die große Koalition sei mitnichten abgewählt, betonte in der gleichen Sendung auch Angela Merkel: "Es gibt eine rechnerische Mehrheit (....) da können wir ja morgen nochmal drüber reden."
Am Wahlabend 2017 präsentiert sich die SPD also als eine orientierungslose und zutiefst verunsicherte Partei. Keine leichte Aufgabe für die Frauen und Männer, die nun nach vorne streben.
Kommentare
Frau Merkel will ihre Regierung zu 50% mit Frauen besetzen.
Das dürfte eine CDU für Frauen deutlich attraktiver machen als eine mit Genossinnen verjüngte SPD in der Opposition...
Macht macht sexy.
"Und Sigmar Gabriel, der Ex-Parteichef, dem viele hier die Schuld am historisch schlechten Abschneiden der SPD geben..."
Das ist unfair. Herr Gabriel war nicht der Kanzler-Kandidat und hat zuletzt als Außenminister einen guten Job gemacht.
Meines Erachtens geht ein personeller Umbau nicht weit genug.
Was die SPD neben der Oppositionszeit als Selbstfindungsphase noch dringend braucht, ist ein großer Austausch der Partei-Elite, die es schafft, sich von der bisherigen SPD-Politik zu distanzieren.
Wer ist denn für sie die "Partei-Elite?"
>>Ein ziemlich entnervter FDP-Vorsitzender Christian Lindner ermahnte den SPD-Chef in der TV-Elefantenrunde vorsorglich, er könne sich nicht aus der Verantwortung ziehen, sollten Verhandlungen über eine Jamaikakoalition scheitern. <<
Da hat aber ein Herr Lindner richtig Angst vor dem Realitätscheck? Opposition gegen die GroKo wäre so schön gewesen. Jetzt muss er liefern - das ist nicht seine Stärke.
Jamaica wird scheitern, das passt nicht. Die SPD kann nicht zurückrudern, sas wäre ihr Tod. Bleibt spannend.
Jetzt die Klientelpolitik zu verstärken, wird die SPD sicherlich retten. Weil es ja nicht die Stammwählerschaft war, die die SPD verlassen hat.
Die Stammwählerschaft wird die jetzige SPD niemals zurückbekommen und bis sie das gemerkt hat, macht sie noch eine Weile Identitätspolitik.