Hamburg ist voll von Mysterien, deshalb gibt es diese Kolumne. Eines dieser Rätsel spielt in der Waterloostraße in der Schanze und lautet – siehe oben. Für alle, die nicht dort wohnen: Die Schanze gehört zu den Hamburger Stadtteilen, in denen lila Säcke (noch) die Funktion der Mülltonnen erfüllen, die es nicht gibt, vielleicht weil der Mülltonnenraum als Souterrainapartment vermietet ist. Im Normalfall ist der Umgang mit dem lila Sack narrensicher: Als Bewohner eines Sackstadtteils bekommt man ihn von der Stadtreinigung ausgehändigt, füllt ihn mit Unrat, stellt ihn am Abend vor dem Abholtag (manche tun das verbotenerweise auch früher) an den Straßenrand, und die Müllabfuhr nimmt ihn mit – normalerweise.

Nicht jedoch bei einem Mehrfamilienhaus in der Waterloostraße. Hier ließen die Recken der Stadtreinigung, dies beschwören Anwohner, die Säcke auf einmal einfach am Straßenrand liegen. Nicht nur eine Woche lang. Wie ein Bewohner berichtet, breitete sich schnell "neapeleskes Flair" aus, während die Hausgemeinschaft sich zunehmend ratlos fragte: Wieso wurden die lila Säcke aus den Häusern links und rechts anstandslos mitgenommen, nur die von uns nicht?

Falls Sie das jetzt denken: Nein, an den Wänden des betreffenden Hauses prangten keine wüsten Schmähungen über Müllwerker, kein Hausbewohner konnte sich erinnern, jemals einen Müllfahrer beleidigt zu haben, und last but not least: Der lila Sackhaufen war clean, ohne untergemischte andersfarbige Säcke, ganz zu schweigen von alten Fahrrädern und Matratzen, welche die Müllleute zu Recht empört zurückgewiesen hätten. Dennoch: Statt ihnen eine Abfuhr zu erteilen, ließ man die Säcke liegen.

Dazu kam, dass es keiner der Hausbewohner schaffte, einen Müllwerker zu stellen. Bitten an die Stadtreinigung, so ein Anwohner, wurden nicht erhört. Also begannen die Mieter des Hauses zu experimentieren. Drehten die Säcke ein wenig, stapelten sie zu einer Pyramide – ehrlich gesagt passierte das mit der zunehmenden Menge von Säcken fast von allein –, legten sie ein Stück nach links, ein, zwei Meter nach rechts, "es war wie Topfschlagen, nur mit Müllsäcken", schrieb einer. Und dann, auf einmal, waren die Säcke weg.

Dieser Artikel stammt aus dem Hamburg-Teil der ZEIT Nr. 40 vom 22.9. 2016. Sie finden diese Seiten jede Woche auch in der digitalen ZEIT.

Besagter Hausbewohner bat die Stadtreinigung per Mail, "zukünftig solchen Quatsch sein zu lassen" und die Säcke immer zu entsorgen. Eine Kundenbetreuerin mailte zurück, man könne seine Beschwerde nicht aufnehmen, nur die des Hauseigentümers oder -verwalters. Kurz darauf kam eine weitere Mail mit der Bitte, diesen "Service" zu bewerten. Das, befand der arme Mann, sei "eine kafkaeske Farce!".

Tatsächlich, räumt Reinhard Fiedler von der Stadtreinigung ein, sei die Antwort des Kundenzentrums "etwas irreführend". Die Mitarbeiterin habe den Fall irrtümlicherweise "als grundsätzliches Problem" eingestuft. Doch das sei es ja gar nicht: Auch am ursprünglichen, verschmähten Standort, so Fiedler, hätten "die Säcke wie von uns gewünscht am Fahrbahnrand" gestanden. Einer Mitnahme stünde nichts im Wege. Dass eine Müllwerkerkolonne die Säcke also stehen lasse, sagt Fiedler, sei weder vorstellbar noch logisch. Da hat er recht.

Wie gesagt: ein Mysterium. Eines, das vielleicht nie aufgeklärt werden wird. Was bleibt: Die Säcke werden wieder abgeholt. Und auch Reinhard Fiedler zitiert Kafka: "Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt."