BR Fernsehen - LeseZeichen


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Karen Köhler Wir haben Raketen geangelt

Auf dem Münchner Marstallplatz treffen wir Karen Köhler. Sie hat einen Band mit Erzählungen geschrieben. Da ist ganz offensichtlich eine neue Stimme in der Literatur, mit eigenem Ton und eigener Sicht auf die Welt. "Wir haben Raketen geangelt" ist der Titel ihres ersten Buches.

Von: Daniela Weiland

Stand: 11.12.2014

"Ich wollte Kosmonautin werden, habe Fallschirmspringen gelernt und Schauspiel studiert. Nach einigen Jahren in Festengagements als Schauspielerin schreibe ich heute Theaterstücke und Prosa. Ich finde Mathe gut und den Weltraum und lebe in Hamburg auf St. Pauli", so lautet die Selbstauskunft von Karen Köhler auf ihrer Homepage.

Ungebremste Kreativität

Im dramatischen Fach geübt, versteht Karen Köhler es, mit ein paar gut gesetzten Effekten ein bisschen Show zu machen. Denkt man. Zuerst. - Aber wer sich mit der Autorin näher befasst, der erhält schnell einen anderen Eindruck. Hier geht es nicht um einen Blendeffekt. Karen Köhler ist einfach ein Phänomen an Kreativität. Mit dem, was sie alles kann, geht sie nicht geizig um. Sie macht es einfach. Beispielsweise ihr erster Erzählband. Da hat sie nicht nur Geschichten geschrieben und sie dann so angeordnet, dass sie thematisch sukzessive aus der Zivilisation hinaus in die Wildnis führen: Von einer Krebsstation mit neuester Technik, einem Leben, in dem Internet und Handys eine wichtige Rolle spielen, bis hin in eine komplett archaische Welt.

Karen Köhler hat auch noch das Buchcover gestaltet und das ist eine Überraschung. Glücklicherweise hat der Verlag sie machen lassen. Denn aufgeklappt gibt es da eine "Landkarte" ihrer Geschichten und Fährten, die jeweils von einem Tier, das in der Erzählung vorkommt, zu dem entsprechenden Geschichtsland hinführen. All das eingebettet in den Kosmos von Sternbildern, die ebenfalls Tiernamen tragen.

Karen Köhler

Da ist eine erfrischend ungebremste Freude am Erfinden und Gestalten am Werk, die mitreißt. Karen Köhler hat offenbar schon eine Menge in ihrem Leben unternommen, unter anderem macht sie auch Performances, 2014 zusammen mit der Autorin Florence Minder. Sie veröffentlichten ihr "koehlerminder manifest", in dem es heißt: "We offer our ideas, feelings and thoughts. A river doesn’t hold back its waters. We don't save for bad times."

Gute Laune auf der Krebsstation

Kleinlich ist Karen Köhler eben nicht. Und das macht das Besondere ihrer Texte aus. In ihrer Erzählung "Il Comandante", die auf der Krebsstation spielt, kann eine junge Patientin weder mit der Hilfe einer Diplompsychologin etwas anfangen, noch mit den Aufmunterungen ("das wird schon") des Arztes. Präzise beschreibt Köhler, was die Krebstherapie für die junge Frau bedeutet: "In dem Beutel ist meine Scheiße. Das ganze heißt Stoma. Künstlicher Darmausgang. Den habe ich seit vier Tagen. Seit 29 Tagen habe ich eine Glatze (…). Seit zwei Tagen hat sich Tom nicht mehr gemeldet. Ich bin 33 Jahre alt und habe Krebs".

Julia Benkert im Gespräch mit Karen Köhler

Eine realistische Einführung in das Krankenhausuniversum. Aber keineswegs larmoyant. Da ist immer noch Platz für amüsierte Beobachtungen, etwa, dass das Krankenhauscafé den Namen "Café Bistro" hat, oder wenn die Protagonistin wegen des künstlichen Darmausganges selbstironisch sagt: "Ich bin ein Beuteltier". Es ist die Begegnung mit einem alten Mann, dem Amerikaner Cesar, ebenfalls krank in der Klinik, ein "Paradiesvogelpopstarsonnenbrillenopa im Rollstuhl", der der Patientin wieder ins Leben hilft. Aber eben nicht durch Tiefsinn und aufmunternde Sprüche. Sondern durch Banana-Split-Eis und ein bisschen Verrücktsein. Mit dem Blick auf das Leben, nicht auf den Tod. Der kommt ja sowieso. Immer und für alle. Großartig auch, wie der Text von Karin Köhler auf der Höhe der Zeit ist, in dem englische und spanische Dialoge nicht mehr pflichtschuldigst übersetzt werden. Das ist heute nicht mehr immer nötig. Auf jeden Fall: So schrecklich das Schicksal der jungen Frau ist: Kein Grund, sich nicht mehr am Leben zu freuen.

Mit diesem Text - und das ist auch eine schöne Geschichte - sollte Karen Köhler beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2014 antreten. Aber es kam anders. Karen Köhler erkrankte an Windpocken und durfte nicht teilnehmen. Dabei hätte sie gute Gewinnchancen gehabt. Aber dieses Windpockenmalheur machte seine Runde. Und so wurde Karen Köhler auch ohne Preis schlagartig bekannt. Jetzt, nach Erscheinen ihres Erzählbandes kann man sagen: zu Recht!

Das Buch

Karen Köhler
Wir haben Raketen geangelt
Erzählungen
Hanser Verlag
19,90 Euro


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