Früher habe er »in Brokdorf auf den Bäumen gesessen«, sagt Thorsten Junge. »Jetzt bin ich dafür nicht mehr beweglich genug.« Zur Energiewende will der Kernenergiegegner aber auch im fortgeschrittenen Alter beitragen. Eine Solaranlage kam nicht infrage, sein Zweifamilienhaus steht im Schatten großer Bäume. Also ersetzte er seine Ölheizung im Keller durch ein Mini-Blockheizkraftwerk . Aus Erdgas erzeugt es die Wärme für Heizung und Heißwasser. Und nebenbei liefert es Strom – weit mehr als die Hausbewohner verbrauchen.

13,5 Prozent des Stroms in Deutschland stammen aus der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Die Bundesregierung will diesen Anteil bis 2020 auf 25 Prozent erhöhen. »Die Potenziale sind riesig«, schwärmt das Bundesumweltministerium, das deshalb den Einbau sogenannter »Mini-KWK«, die im Keller gleichzeitig Strom und Wärme produziert, künftig mit einem Zuschuss fördern will.

Überall, wo Strom erzeugt wird, entsteht auch Abwärme. Der Gedanke, beide parallel zu nutzen, liegt auf der Hand. Schon das erste Großkraftwerk, die 1882 von Thomas Edison entworfene Pearl Street Station in Manhattan , belieferte die Nachbarschaft mit Heizenergie. Heute gilt die Kopplung von Kraft und Wärme als eine der wichtigsten Säulen eines neuen Energiekonzepts; KWK-Strom genießt den Ruf, besonders umweltfreundlich zu sein. Doch bei näherem Hinsehen merkt man: Das ist längst nicht immer der Fall. Sinnvoll ist die Kraft-Wärme-Kopplung nur dann, wenn dahinter ein kluges Konzept steht.

»Politik und öffentliche Meinung haben die Vorzüge der KWK stark überhöht und ihre Nachteile offensichtlich nicht hinreichend einbezogen«, lautet das Fazit einer Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG). In der Realität tendiere der Einspareffekt für private Nutzer bei kleinen Blockheizkraftwerken (BHKW) gegen null oder werde gar negativ. Diese setzen den Energieinhalt des verbrannten Erdgases nicht einmal zu 30 Prozent in Strom um. Damit liegen sie weit unter dem heutigen Standard. So setzt das modernste deutsche Gaskraftwerk in Irsching bei Ingolstadt mehr als 60 Prozent des Energieinhalts von Gas in Strom um. Auch bei der Wärmeerzeugung schneidet ein neuer Brennwertkessel mit mehr als 90 Prozent Wirkungsgrad deutlich besser ab als ein Mini-Blockheizkraftwerk mit gut 60 Prozent.

Der Weltmarktführer im Bau von Heimkraftwerken heißt Honda

Nur wenn man ein Mini-BHKW mit der getrennten Versorgung aus einer Gasheizung und dem derzeitigen deutschen Strommix vergleicht, ist seine Energieeffizienz um rund ein Drittel höher. Doch dieses Beispiel hinke, kritisiert die DPG. Es mache keinen Sinn, ein neues, erdgasbetriebenes BHKW zu vergleichen mit den deutschen Großkraftwerken, die meist alt sind und wenig effizient Kohle verbrennen. Zudem könne ein Mini-BHKW in die »ökologische Sackgasse« führen: Wer das teure Gerät installiert hat, verliert das wirtschaftliche Interesse an der energetischen Sanierung seines Hauses. Denn nach einer effizienten Wärmedämmung müsste die Heizung nur noch wenig laufen, es würde kaum mehr Strom erzeugt. Dann wird ein Mini-BHKW unattraktiv, weil viel staatliche Förderung entfällt – pro erzeugte Kilowattstunde 5,1 Cent, plus ein weiterer Cent für die vermiedene Nutzung des Höchstspannungsnetzes und aus der Energiesteuererstattung. Wer seinen Strom auch noch selbst verbraucht, spart weitere 20 bis 25 Cent pro Kilowattstunde, die er dann ja nicht mehr kaufen muss.

Die Anfangsinvestition ist mit rund 20.000 Euro zwar doppelt so hoch wie bei einer normalen Gasheizung, doch schon bei derzeitigen Stromkosten hat sie sich nach zehn Betriebsjahren amortisiert. Steigt der Strompreis schneller als der Gaspreis, wächst die Rendite weiter. »Eine kleine Goldgrube für Millionen moderner Einfamilienhäuser«, heißt es in der Werbung des Marktführers SenerTec. Rund 30.000 Mini-BHKWs sind in Deutschland bereits installiert. Für 2012 rechnen die Hersteller dank des BMU-Förderprogramms mit verstärktem Wachstum.

Strom produzieren, wenn er gewünscht ist

Die Branche ist fest in der Hand der Automobilindustrie. Abgesehen von Feldversuchen mit teuren Brennstoffzellen, steckt in jedem Mini-BHKW ein Generator, angetrieben von einem Stirling- oder Ottomotor. Mit deren Abwärme wird geheizt. SenerTec bezieht solche Motoren vom schwäbischen Autozulieferer ZF Sachs (einst Fichtel&Sachs). Weltmarktführer ist Honda. In Japan hat der Autokonzern bereits über 100.000 Mini-BHKWs installiert. Jetzt drängt Honda nach Europa und hat sich dafür mit der Klimatechnikfirma Vaillant verbündet. »EcoPower 1.0« heißt ihr gemeinsam entwickeltes »Mikro-Heizkraftwerk«, im November hat es den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. »Um bis zu 50 Prozent« könnten die CO₂-Emissionen kleinerer Immobilien damit reduziert werden, befand die Jury.

Mit derartigen »Bis-zu«-Werten schmücken sich alle Hersteller von Minikraftwerken. Je schlechter die alte Vergleichsanlage ist, desto höher fallen sie aus. Doch einen modernen Brennwertkessel übertreffen Mini-BHKW nur dann, wenn der nebenbei erzeugte Strom sinnvoll genutzt wird. Das ist nicht immer der Fall. Denn der Generator springt nicht an, wenn der Strombedarf hoch ist, sondern nur dann, wenn das Haus geheizt werden muss. Im Winter laufen die Minikraftwerke oft rund um die Uhr, im Sommer stehen sie weitgehend still. Wirtschaftlich gibt es auch kein Interesse daran, dies zu ändern, denn die KWK-Subvention fließt unabhängig vom Zeitpunkt der Erzeugung.

Dass es auch anders geht, will Deutschlands größter Ökostromanbieter Lichtblick beweisen. Sein gemeinsam mit VW entwickeltes »Zuhausekraftwerk« kann man nicht kaufen, nur per Vertrag betreiben: Der Hausbesitzer stellt seinen Keller samt Anschlüssen für Gas und Strom zur Verfügung. Dort installiert Lichtblick das BHKW gegen eine einmalige Gebühr von rund 5.000 Euro und kümmert sich für 15 Euro pro Monat um den reibungslosen Betrieb. Der Hausbesitzer kauft die in seinem Keller erzeugte Wärme, die Kosten dafür orientieren sich am Erdgaspreis. Den nebenbei erzeugten Strom nutzt Lichtblick, um Lastspitzen seiner Ökostromkunden abzupuffern.

Das ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Spitzenlaststrom, der vor allem frühmorgens, mittags und am frühen Abend gebraucht wird, ist knapp und besonders teuer. Damit die Zuhausekraftwerke die Elektrizität zur gewünschten Zeit erzeugen können, gehört ein großer Wärmespeicher zur Anlage. Er kann die Heizenergie für einen ganzen Tag bunkern und ermöglicht so die zeitliche Trennung von Heizbedarf und Stromproduktion. Willkommener Nebeneffekt: Ein zusätzlicher Spitzenlastkessel ist nicht nötig.

Gesteuert werden die Zuhausekraftwerke aus einem Büro in der Lichtblick-Zentrale hoch über den St. Pauli Landungsbrücken in Hamburg . Dort sitzt der Ingenieur David Otte vor einem Bildschirm. Per Knopfdruck kann er einen minutengenauen Betriebsplan an jedes Zuhausekraftwerk überspielen und sich alle Betriebsdaten ansehen. »Dems« heißt die eigens entwickelte Software für dieses Dezentrale Erzeugungs-Management System. Sie läuft sehr zuverlässig. »Aussetzer der Mobilfunkverbindung waren bisher unser größtes technisches Problem«, versichert Otte.

Auch das BHKW im Keller des Atomkraft-Gegners Thorsten Junge ist ein Zuhausekraftwerk. »Einmal hat Lichtblick bei uns angerufen und gefragt, ob unsere Heizkörper kalt sind«, erinnert er sich. Ein verstopfter Filter hatte in der Steuerzentrale Alarm ausgelöst. Noch bevor im Haus etwas zu merken war, hatte der entsandte Techniker den Filter schon ausgetauscht. »Die Lichtblick-Leute strengen sich echt an«, lobt Junge.

Im neuen Zuhausekraftwerk arbeitet ein VW-Motor

Kein Wunder, die Hamburger Ökostromer verfolgen große Pläne. Sie haben mehr als 100 neue Mitarbeiter eingestellt. Mit 100.000 Zuhausekraftwerken, deren Leistung zwei Atomkraftwerke ersetzen würde, wollen sie den deutschen Strommarkt aufmischen. »Schwarmstrom« nennen sie ihr Produkt. Obwohl mit Erdgas hergestellt, darf es trotzdem als Ökostrom vermarktet werden, wegen der Kraft-Wärme-Kopplung. Auch am Gasverbrauch verdient Lichtblick mit, der Ökostromanbieter verkauft nebenbei Erdgas an 85.000 Kunden. Das ermöglicht günstigen Großeinkauf.

Im neuen Zuhausekraftwerk arbeitet ein VW-Motor

Hersteller der Mini-Kraftwerke ist VW in Salzgitter. Ihr Zwei-Liter Motor treibt auch die Vans Touran und Caddy an, kommt daher auf eine hohe Stückzahl. Im Zuhausekraftwerk läuft er im Schonbetrieb (1.550 Umdrehungen pro Minute), ein Ölwechsel ist erst nach vier Jahren fällig. Sein Generator erzeugt 20 Kilowatt Strom, dabei fallen 34 Kilowatt Wärme ab – viel zu viel für ein normales Einfamilienhaus. Wer ein solches Kraftwerk nutzen will, muss mindestens 40.000 Kilowattstunden Wärmeabnahme pro Jahr garantieren, der parallele Betrieb einer thermischen Solaranlage ist verboten. Ein schwach gedämmter Zweifamilien-Altbau ist die Mindestgröße. Besonders gut eignen sich kleine Siedlungen mit Nahwärmenetz oder öffentliche Einrichtungen wie etwa die neue Grundschule mit Kita in Sassenburg bei Wolfsburg .

»Das Zuhausekraftwerk kommt uns etwas teurer als eine normale Heizung mit dem billigsten Gasanbieter«, erklärt Bürgermeister Volker Arms. »Um ein Zeichen zu setzen« habe sich der Gemeinderat trotzdem für das Lichtblick-Modell entschieden. Zudem ist VW der größte Arbeitgeber und Steuerzahler der Region.

Ohne derartige Motive tut sich Lichtblick noch schwer mit der Vermarktung. Bis 2011 wurden erst 300 Zuhausekraftwerke installiert, in diesem Jahr sollen es über tausend werden. Für private Hausbesitzer ist die ferngesteuerte Heizungsanlage im eigenen Keller noch gewöhnungsbedürftig. Wollen sie ihr Haus verkaufen, müssen sie einen Käufer finden, der auch den Lichtblick-Vertrag übernimmt. Geht der Ökoladen pleite, steht ein Stück Konkursmasse im Keller. Auch qualifizierte Handwerksbetriebe für Einbau und Wartung der kleinen Heizkraftwerke sind noch zu suchen. Schließlich muss Lichtblick mit jedem der rund 800 deutschen Verteilnetzbetreiber einen Vertrag über die Stromeinspeisung schließen – ein äußerst mühsames Geschäft.

Wer sich ein Mini-BHKW in den Keller stellt, wird nicht automatisch zum Klimafreund, Treibhausgas lässt sich so kaum vermeiden. Trotzdem könnte sich Thorsten Junge am Ende doch über einen kleinen Beitrag zur Energiewende freuen, als Teilhaber an einem intelligenten Stromnetz. Wenn nämlich viele Tausend geschickt gesteuerte Mini-BHKW ihren Strom genau dann und dort erzeugen, wo er gerade benötigt wird, könnte der Bau einiger Hochspannungstrassen und Pumpspeicherwerke entfallen. »Und gegen ein Zuhausekraftwerk wird es nie Bürgerproteste geben«, verspricht Lichtblick-Sprecher Ralph Kampwirth. Weniger Bürger auf Bäumen, das wäre immerhin ein echter Lichtblick.