Frankreichs Präsident Macron hat im EU-Parlament vor einem weiteren Aufschwung des Autoritarismus gewarnt und schnelle Reformen der EU angemahnt. Paris übernimmt damit von Berlin die Führungsrolle in Europa, beobachten Kommentatoren. Doch nicht alle sind überzeugt, dass die anderen EU-Staaten mitziehen werden.
Ein proeuropäischer Ruck
Für seinen Kurs erhält Macron Unterstützung von EU-Parlamentariern aus verschiedenen Parteien und Ländern, die einen Gastbeitrag für Le Monde verfasst haben:
„Die proeuropäischen Parteien haben es nicht geschafft, Antworten auf die Fragen unserer Mitbürger zum Nutzen der europäischen Institutionen zu liefern. Da sie unfähig sind, Europa eine Vision, ein menschliches Antlitz zu verleihen, haben sie das Thema Europa denjenigen überlassen, die für dessen Zerstörung eintreten. Frankreich hat das Glück, einen Präsidenten zu haben, der Europa in den Mittelpunkt seines politischen Handelns gestellt hat. … Zweifellos hat es einen proeuropäischen Ruck gegeben. ... Diese Dynamik muss sich nun durch Europa verbreiten, um den unerbittlichen Aufstieg der EU-Gegner zu stoppen.“
Paris und Berlin tauschen die Rollen
Für Berlin haben die EU-Reformen keine Priorität mehr, bedauert El Periódico de Catalunya:
„Man könnte sagen, dass der Impuls für Reformen die Seiten gewechselt hat. Traf Deutschland bis vor Kurzem noch auf den Widerstand aus Paris, vor allem wenn es darum ging, Souveränität an Europa abzugeben, ist es nun Frankreich, das bereit ist, die europäische Souveränität zu erweitern, vor allem um egoistischen Nationalismus und Populismus zu bekämpfen. Macron und Merkel treffen sich morgen in Berlin, um eine gemeinsame Position zu verhandeln, aber die Chancen stehen schlecht. Für Deutschland, das monatelang ohne Regierung dastand, scheint Europa derzeit keine Priorität zu haben.“
Wackelige Bündnispartner
Dass der französische Präsident seine Pläne umsetzen kann, bezweifelt Delo:
„Im Europaparlament hat Macron viel Lob gehört, doch zur Verwirklichung seiner Pläne wird er starke Verbündete in Berlin und anderswo brauchen. Bisher hat er noch niemanden, der ihm folgt. Im Gegenteil, die Zweifel gegenüber seinen Plänen werden im nördlichen Lager immer stärker. Es scheint, als ob Macrons wichtigste Front - trotz großer Worte über die EU - in Frankreich verläuft. Wenn ihm seine Reformen zu Hause gelingen, wird er auf der europäischen Bühne glaubwürdiger und effektiver Bündnisse für eine Reform schließen. Ein zu langes Warten auf mehr guten Willen der europäischen Partner könnte bei Macron zu Frustration führen.“
Euphorisch, aber einsam
Solange Macron eine ganze Reihe von Mitgliedsstaaten ignoriert, wird er die EU-Reform kaum voranbringen, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Wenn Macron für die europäische Souveränität kämpfen will, dann wird dies von vielen Bürgern in Polen, Ungarn, Italien und anderen Ländern nicht als Kampf für sie, sondern als Kampf gegen sie wahrgenommen. Doch das scheint der französische Präsident gar nicht wahrzunehmen. ... [I]n vielen Ländern Europas wird Macrons EU-Integrations-Euphorie nicht geteilt. Die Sorge um die nationale Souveränität und Identität hat vielerorts an Bedeutung gewonnen. Demokratie wird nicht nur in Paris, Berlin und Brüssel, sondern auch in Warschau, Budapest und Rom definiert. Will sich die EU weiterentwickeln, muss sie diese Vielfalt respektieren.“
Aus für die Reformachse Paris-Berlin
Aus Berlin kann sich Frankreichs Präsident kaum noch Unterstützung für weitreichende Reformen der Eurozone erhoffen, analysiert Financial Times:
„Der Begeisterung Macrons für die europäische Integration steht die politische Realität gegenüber, wonach Frankreich und Deutschland nicht länger natürliche Verbündete sind. Die pro-europäischen Parteien Deutschlands befinden sich im Gegensatz zu jenen Frankreichs auf dem Rückzug. Angela Merkels CDU verlor eine Million Stimmen an die FDP und die AfD - beide Parteien vertreten eine politische Linie, die zur Zerstörung der Eurozone führen würde. Im Jahr 2015 stimmten 60 Abgeordnete von CDU/CSU gegen das Hilfsprogramm für Griechenland. Wenn es dieser Tage einen ähnlichen Aufstand geben würde, hätte die große Koalition keine Mehrheit mehr.“
Schlecht für die Eurozone, gut für die EU
Für den Zusammenhalt in der Union ist es gut, dass Macron gebremst wird, erklärt Adelina Marini im Blog euinside:
„Wenn Donald Tusk sagt, dass die Stärkung (nicht die Vollendung) der Bankenunion und die Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Priorität haben, braucht man sich keine großen Hoffnungen für das Reformpaket zu machen, das im Juni vorgestellt werden soll. Das Zeitfenster für eine Reform der Eurozone hat sich geschlossen. ... Dank der kleineren EU-Mitglieder, die sich dafür eingesetzt haben, dass die Nicht-Euro-Länder die Zukunft der Eurozone mitgestalten dürfen, wurde verhindert, dass sich eine Hochgeschwindigkeits-Eurozone vom Rest der Union abspaltet. Das ist zwar schlecht für die Eurozone - aber gut für die EU.“