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Diese EM war wie Schach – nur ohne Würfel

von Trainer Baade, trainer-baade.de

Es liegt schon eine feine Ironie darin, dass der Fußball ausgerechnet in jenen Jahren in beinahe allen Kreisen der Gesellschaft ankommt, da er sich so sehr weiter entwickelt hat, dass er von Vielen abgesehen vom platten Ergebnis gar nicht mehr zu begreifen ist.

Natürlich ist das alles keine Raketenwissenschaft, was die Teams auf dem Platz aufführen. Doch eine angemessene Bewertung der Dramatik oder Kunst eines Spiels scheint nur noch für geringe Teile des Publikums möglich zu sein. Eine eher triviale Erkenntnis, wenn doch etwa die Hälfte der Nation bei einer EM zuschaut, in die Bundesligastadien aber nur ein Bruchteil der Bevölkerung strömt.

Selbst die vermeintlichen Experten im TV sind beim Erläutern der Mechanismen im Spiel allzu oft überfordert — oder aber es wird gar nicht erst versucht. Was direkt zur Frage führt, wieso man nicht tatsächliche Experten — Trainer oder Trainerausbilder beispielsweise — in die Sendungen ruft, statt sich alleine am Bekanntheitsgrad der Eingeladenen zu orientieren, nicht aber an deren Fachwissen.

Gerade weil der Fußball früher als derart simpel wahrgenommen wurde, Duelle Mann gegen Mann bot, konnte er sich so rasant (beinahe) überall auf der Welt zur Sportart Nr. 1 entwickeln. Und wenn ein Alphatierchen den Sieg nur ausreichend intensiv herbeiwollte, hämmerte es auch noch in der letzten Minute einen Weitschuss in den Winkel – so zumindest die aus unerfindlichen Gründen stets überlebende Legende.

Dass diese Zeiten zumindest auf dem allerhöchsten Niveau längst vorbei sind, diese Information macht man den Millionen Zusehern an deutschen Fernsehschirmen allerdings möglichst schwer zugänglich. Man würde sich schließlich der eigenen Zuschauerschaft entledigen, wenn man aufklärte, dass tränenüberströmte Fangesichter oder hilflos über den Modus des Weiterkommens dilettierende Rethys zwar unterhaltsam sind, aber nichts mit der Entwicklung der Partie zu tun haben, an dessen Ende schließlich ein immer deutlicher begründbarer Erfolg oder Misserfolg steht.

Um nun jenen Bewohnern des kleinen gallischen Dorfs, welche in der Fußballberichterstattung über ein solches Turnier immer noch über Fußball informiert werden möchten, Genüge zu tun, gibt es zur Zeit nur die Ausweichmöglichkeiten im Netz. Eine naheliegende Idee wäre es allerdings, jene Berichterstattung, die sich mit dem Schach-Anteil des Fußballs beschäftigt, auf einen der Spartensender der Öffentlich-Rechtlichen auszulagern. Dort würden die Bezeichnung wert seiende Experten die Vorgänge des Spiels näherbringen — und auf den Hauptsendern würden weiterhin Oma, Tante, der Hausmeister von nebenan und seine 11-jährige Tochter mit den für sie relevanten Bildern von als Wikinger verkleideten Dänen oder der einen oder anderen Spielerfrisur versorgt. Angesichts des Umstands, dass Oliver Kahn sicher nicht aus reiner Menschenliebe auf Usedom anwesend war, wären die Kosten für eine solche zusätzliche, fachliche Begleitung der Partien marginal.

Gleichzeitig ist es fraglich, mit welchem Recht man Menschen, die diese zweijährlichen Turniere durch ihre Anwesenheit überhaupt erst zur Party machen, vom Grill oder der Bierbank wegstoßen sollte, nur weil sie von Tiki-Taka und der Doppelsechs gelangweilt sind. Dass man mit Interesse an diesen Vorgängen immer noch eher zum Exot gehört, könnte man ahnen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Mitglieder der DFB hat und wie gering dazu im Vergleich die Auflagen der einschlägigen Fußball-Publikationen in Deutschland sind. Und dabei sind jene mit dem Fokus auf die Boulevardthemen noch die größten.

Dies boulevardeske Verlangen wurde bei dieser EM neben dem Platz bedient, aber nicht darauf. Denn diese EM zeigte hauptsächlich Schach — und das ausgerechnet einem Publikum, das gekommen war, um Würfelspiele zu sehen. Was dazu führt, dass ein Großteil des Publikums murrt, wenn es plötzlich Schach zu sehen bekommt. Überraschungen blieben völlig aus, einzig der Sieg Dänemarks gegen die Niederlande ließ jenes Element des Zufalls aufblitzen, für das die Würfel in dieser Metapher stehen. Immer nur Schach, nie Zufall, keine Würfel, „langweilig“ schallt es da schnell durch die Republik.

Und in gewisser Weise haben sie ja Recht. Denn schon Entwickler von Brettspielen wissen, dass der Zufall eine notwendige Zutat zu einem spannenden Spiel ist, bei dem alle Beteiligten auch im späteren Verlauf noch gewinnen können. In jeder 5. Runde treten die Räuber auf den Plan und stehlen dem Führenden all sein Geld oder er verliert durch Meuterei seine Truppen. Ohne diesen Aspekt werden Spiele so eintönig wie es Monopoly nach der 10. Runde ist: Ein mächtiger Gegner zermürbt den unterlegenen, welcher sich aus eigener Kraft nicht aus dieser Lage befreien kann. Und da der Zufall keinem Gegner Spaniens zu Hilfe kam, blieb nur jenes Schach der Spanier (mit Ausnahme des Finales), das zur Zeit nun mal die bestmögliche Strategie im Fußball darstellt, jedoch kaum noch Würfelanteile enthält.

Wenn aber diese Fortentwicklung in Taktik und Spielweise vom Publikum nicht mehr begriffen wird, dann sitzen Menschen in den Stadien und Biergärten, welche verzweifeln, weil Bastian Schweinsteiger schon wieder aus aus ihrer Sicht guter Schussposition nicht die alten Fußballsehnsüchte bedient und einfach mal — herzhaft und saftig — abzieht. Nahezu sinnlos, aus 30 Metern, wie man inzwischen gelernt hat, aber mancher Zuschauer will dies gar nicht wissen. Und falls er es doch erfährt, stellt er fest, dass dieses Spiel nicht mehr seins ist.

Jenen, welche die Evolution im Fußball vorantreiben, ist dabei allerdings kein Vorwurf zu machen — denn erstens ist der Sinn für die Aktiven nicht Ästhetik, sondern den Gegner zu bezwingen und zweitens ist Evolution ohnehin nie aufzuhalten. Vielmehr stehen die übrigen Auswahlmannschaften vor immer noch der selben Aufgabe, die da lautet, die Nuss Spanien zu knacken. Das kann noch dauern, wenn die Würfel weiterhin fehlen, aber ob und wann es klappt, bleibt ein fesselndes Thema im Länderfußball. Jedenfalls dann, wenn man Schach mag und nicht allein wegen der Würfel gekommen ist.

Trainer Baade

Zum Autor:

Trainer Baade schreibt seit 2005 auf www.trainer-baade.de über Fußball, ohne dabei einen konkreten Verein besonders im Fokus zu haben. Mit dem Blick für die kleinen Widersprüche und die großen, mal mehr, mal weniger echten Emotionen der Spieler und Fans betrachtet er den Sport, von dem noch jeder glaubt, ihn erklären zu können. Doch kaum jemandem gelingt dies so gewitzt und kurzweilig wie Trainer Baade. Fand auch das Magazin „11Freunde“, das sein Blog 2011 zum „Besten Fanmedium“ in Deutschland kürte, wie auch die FAS, die nicht zufällig von ihm „viel über Fußball gelernt“ hat.

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5 Kommentare

  1. Seit wann spielt man Schach mit Würfeln? Der geistige Horizont des Autors scheint doch sehr beschränkt zu sein ^^

  2. „Eine naheliegende Idee wäre es allerdings, jene Berichterstattung, die sich mit dem Schach-Anteil des Fußballs beschäftigt, auf einen der Spartensender der Öffentlich-Rechtlichen auszulagern.“

    Das sehe ich mal ganz anders. Unabhängig vom Fußball, das ör Fernsehen verlagert immer mehr von ihrem Sendeauftrag (Abwechslung, Bildung usw.) in die Spartenkanäle. Die Hauptsender müssen versucehn für jeden etwas zu bieten, dass dann nicht bei jedem Spiel die taktische Tiefe beleuchtet wird ist nur logisch. Andererseits sollte der Kommentator schon wissen, dass der direkte Vergleich in der Guppentabelle in einigen europäischen Ligan ganz normal ist.

  3. Der geistige Horizont von M.Klein scheint analog zu seinem Nachnamen zu verlaufen…:-)
    @Trainer Baade: super Statements, davon sollte man mehr hier auf kickwelt lesen!!!

  4. ich verfolge Trainer Baade schon seit ein paar Jahren regelmässig. Dieser Beitrag ist einer der besten, den ich je von ihm gelesen habe…:-)

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