Neuscholastik und historische Gelehrsamkeit im Widerstreit

Im Übergang vom Hoch- zum Spätmittelalter entstand eine Synthese aus aristotelischer Philosophie und christlichem Glauben, welche in der Folge das theologische und philosophische Denken sowie den Studienbetrieb prägte. Dem Anspruch nach war damit ein System geschaffen, das erlaubte, mittels der Regeln der Logik Antworten auf alle Fragen der natürlichen und übernatürlichen Welt von Axiomen herzuleiten, zu denen sowohl christliche Glaubenssätze als auch aristotelische Grundannahmen über Physik und Metaphysik zählten.

Von den Humanisten zurückgewiesen, wurde die scholastische Philosophie und Theologie ab dem späten 16. Jahrhundert neu belebt. In dieser erneuerten Form dominierte die Scholastik im 17. Jahrhundert das höhere Bildungswesen in weiten Teilen des katholischen Europa; nicht zuletzt deshalb, weil sich der Jesuitenorden in seiner Studienordnung von 1599 darauf festlegte, dass der Unterricht auf der Lehre Aristoteles' und Thomas' von Aquin zu beruhen habe.

Schon vor 1700 regten sich wieder vermehrt Kritiker, die die Scholastik als haarspalterisch und wirklichkeitsfremd verwarfen. Unter den Gegenangeboten zu ihr war es im katholischen Bereich insbesondere die positive Theologie, die zur Erforschung der (Kirchen-)Geschichte reizte: Glaubenswahrheiten sollten nicht aus abstrakten Überlegungen spitzfindig deduziert werden, sondern vielmehr aus dem Wissen der Urkirche und der Kirchenväter geschöpft, welche die Offenbarung noch reiner bewahrt hatten. Der positiven Theologie wohnte eine Vorstellung von der Menschheitsgeschichte als Verfallsprozess inne, welchem nur durch den Rückgriff auf die Frühzeit begegnet werden könne.

Dieser deutlichen Rückwärtsgewandtheit der Ziele stand die Fortschrittlichkeit der Methoden gegenüber: Um zur unverfälschten Erkenntnis der Vergangenheit zu gelangen, mussten die echten von den falschen Überlieferungen geschieden werden. Neben juristischen Notwendigkeiten war es die positive Theologie, welche die Entwicklung der historischen Hilfswissenschaften veranlasste. Dieser Schritt vom Vertrauen in die Tradition zur Forderung nach authentischen und zeitnahen Quellen ist nicht ohne Parallelen mit der "scientific revolution" in den Naturwissenschaften: Es handelt sich um den Übergang vom Autoritätenbeweis zur empirischen Beweisführung, vom Primat der Deduktion zu jenem der Induktion. Vergleichbare Prozesse der kritischen Auseinandersetzung mit Aristotelismus und traditioneller Theologie fanden zu derselben Zeit freilich auch im protestantischen Bereich statt, etwa zwischen lutherischer Orthodoxie und Vertretern des Pietismus.

Die Brüder Pez hatten selbst am Kremser Jesuitengymnasium, im Stift Melk und an der Wiener Universität eine solide neuscholastische Ausbildung erfahren. Trotzdem ist schon während der ersten Jahre ihrer Tätigkeit eine entschiedene Abwendung deutlich. Die Ablehnung der Scholastik ist hier eng verknüpft mit der Gegnerschaft zum Jesuitenorden; Bernhard Pez übt lebhafte Kritik an dessen (wahrgenommener) Dominanz im Bildungswesen, ebenso jedoch an der Anhänglichkeit seiner eigenen Ordensbrüder gegenüber den "scholastischen Flausen". Als Vorbild an historischer Gelehrsamkeit wie an erneuertem Benediktinertum konnte vor allem die französische Kongregation von St.-Maur dienen.