Hartz IV

Hartz-IV-Sanktionen: "Als Sozial-Schmarotzer hingestellt"

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen.

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen.

Foto: dpa

Hemer.   Das Verfassungsgericht prüft ab Dienstag Hartz-IV-Kürzungen. Timo Saul ist betroffen und sieht eine Bestrafung von Menschen am Existenzminimum.

Der Termin vor dem Bundesverfassungsgericht hat das Thema „Hartz-IV-Sanktionen“ in das öffentliche Bewusstsein gerückt. „Sanktionen? Das Wort hört sich für mich zu milde an“, sagt Timo Saul, „dabei geht es doch darum, dass Menschen am absoluten Existenzminimum Leistungen gekürzt und damit bestraft werden.“

Timo Saul bezieht seit 2011 Hartz IV und hat sich seitdem mehrmals gegen Sanktionen seines Jobcenters („bis zu 60 Prozent des Regelsatzes für über 25-Jährige von 424 Euro pro Monat“) erfolgreich vor Gericht gewehrt. Der 49-Jährige aus Hemer, so die Vorwürfe, soll Termine verpasst und Bewerbungsnachweise nicht vorgelegt haben. „Die Richter beurteilten die Sanktionen als rechtswidrig. Nicht weil es Formfehler gab, sondern die Rechtsgrundlage für die Maßnahmen fehlte.“

Wohnungslosigkeit droht

Ab Dienstag schauen Timo Saul und sein Anwalt Lars Schulte-Bräucker gebannt nach Karlsruhe. Werden die Verfassungsrichter die Praxis der Hartz-IV-Sanktionen kippen, weil diese nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist? Oder stimmen sie den Befürwortern zu, die darin eine geeignete Disziplinierung von Leistungsbeziehern sehen?

Timo Saul will das nicht hoffen. Seit Jahren setzt er sich als Berater im Iserlohner Verein „aufRecht“ für andere Hartz-IV-Empfänger ein. „Ich habe noch in keinem Fall erlebt, dass sich nach einer Bestrafung die Situation eines Betroffenen verbessert hat.“ Im Gegenteil, sagt der gelernte Garten- und Landschaftsbauer. Kürzungen des ohnehin knapp bemessenen Regelsatzes trieben die Menschen womöglich in Wohnungsnot oder gar Wohnungslosigkeit. „Sanktionen sind keine Hilfe oder eine neue Motivation bei der Jobsuche“, sagt er. Anwalt Schulte-Bräucker ergänzt: „Das bringt nichts. Sie ziehen Betroffene noch mehr runter und verursachen schlimmste psychische Belastungen.“

Die Gründe für Sanktionen sind vielfältig: zum Beispiel die Ablehnung von laut Jobcenter zumutbarer Arbeit oder der Abbruch von Fortbildungsmaßnahmen. Der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit zufolge wurden zwischen September 2017 und August 2018 am häufigsten Sanktionen wegen „Meldeversäumnissen beim Träger“ (mehr als 166.000 von fast 215.000 Fällen) verhängt.

Behörden-Post wird nicht geöffnet

Saul kennt Leistungsberechtigte, die keine Behörden-Post mehr öffnen: „Weil sie es nicht können.“ Nach unzähligen Absagen bei der Jobsuche verursache jedes weitere Vermittlungsangebot Schmerzen. Unterstellungen in Briefen, nicht genug zu tun, führten in die Resignation. „Und es gibt Betroffene, die traumatisiert sind, die eine Phobie gegen alles entwickelt haben, was ihnen nicht gut tut.“

Timo Saul hofft auf Karlsruhe. Auf Verständnis für die Situation von Hartz-IV-Empfängern. „Das Schlimmste ist, dass wir immer wieder als Sozial-Schmarotzer hingestellt werden.“

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