Terror

Mitglied der Sauerland-Gruppe soll abgeschoben werden

Drei Mitglieder der Terrorzelle „Sauerland-Gruppe“ wurden im September 2007 in einem Ferienhaus in Oberschledorn festgenommen. Polizeibeamte stellten seinerzeit zahlreiche Gegenstände sicher.

Drei Mitglieder der Terrorzelle „Sauerland-Gruppe“ wurden im September 2007 in einem Ferienhaus in Oberschledorn festgenommen. Polizeibeamte stellten seinerzeit zahlreiche Gegenstände sicher.

Foto: Bernd Thissen/dpa

Frankfurt/Medebach.   Das letzte inhaftierte Mitglied der Sauerland-Gruppe wird in sein Geburtsland abgeschoben. Das Auslieferungsersuchen der USA wurde abgewiesen.

Das letzte noch inhaftierte Mitglied der „Sauerland-Gruppe“ könnte in wenigen Tagen in die Türkei abgeschoben werden. Seit Dienstag sitzt der 40 Jahre alte türkische Staatsbürger Adem Y. in Frankfurt in Abschiebehaft. An diesem Tag hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt ein Auslieferungsersuchen der USA vom 29. Februar 2016 abgewiesen.

Auch wenn sie fast elfeinhalb Jahre alt sind, erinnert man sich noch gut an die Bilder von der Verhaftung in Medebach-Oberschledorn: Drei Männer in blauen Overalls – Adem Y. und zwei weitere Mitglieder der Terrorzelle – werden im September 2007 von vermummten Beamten einer Spezialeinheit der Polizei aus dem Ferienhaus abgeführt, das das Trio gemietet hatte, um Sprengstoffanschläge auf deutsche und US-Einrichtungen vorzubereiten. Im März 2010 wurde Y. vom OLG Düsseldorf zu einer elfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. „Diese war im Oktober 2018 vollständig verbüßt“, sagt Michael Schaich vom hessischen Innenministerium. Direkt im Anschluss an die Strafhaft sei Adem Y. in Auslieferungshaft gekommen. Die US-Behörden hatten ihm 2016 einer Sprecherin des OLG Frankfurt zufolge vorgeworfen, zehn Jahre zuvor an drei Angriffen einer dschihadistischen Splittergruppe auf US-Camps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet beteiligt gewesen zu sein und wollten ihm in New York den Prozess machen.

Fehlende Zusicherung aus den USA

Eine Auslieferung scheiterte daran, so die Sprecherin, dass die US-Behörden nicht zusichern wollten, „Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten“. Die obersten Richter in Karlsruhe pochen bei Auslieferungen auf ein Doppelbestrafungsverbot. Demnach sollte sich der Sohn einer anatolischen Einwandererfamilie in den USA auch für Straftaten verantworten, für die er bereits vom OLG Düsseldorf verurteilt worden war. „Dass deutsche Gerichte Auslieferungsersuchen aus den USA nicht folgen, ist ungewöhnlich“, sagt Y.’s Anwalt Michael Murat Sertsöz zu der „überraschenden“ Wendung, „normalerweise ist der Widerstand nicht groß, wenn die Vereinigten Staaten eine Auslieferung wollen“.

Jedenfalls hätte nach dem richterlichen „Nein“ zu einem Überstellen in die USA das einstige Mitglied der Sauerland-Gruppe aus der Auslieferungshaft entlassen und auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Das verhinderte das Regierungspräsidium Darmstadt als zuständige Abschiebebehörde, in dem es beim Frankfurter Amtsgericht einen Abschiebehaftbefehl beantragte. „Dem wurde stattgegeben“, so Dieter Ohl, Sprecher des Regierungspräsidiums. Adem Y. sitzt weiterhin in einer Frankfurter Justizvollzugsanstalt ein.

Sorge vor Rückkehr in die islamistische Szene

Offenbar sieht die Darmstädter Behörde den 40-Jährigen nach wie vor als islamistischen Gefährder an, der wieder in die radikale Szene abdriften und womöglich einen Terroranschlag verüben könnte. „Ach was“, begegnet Anwalt Sertsöz Befürchtungen, sein Mandant gefährde die innere Sicherheit. „Er hat sich von den Taten distanziert. Er hat kein Smartphone, Facebook und Whatsapp, womit er mit irgendwelchen Szenen kommunizieren könnte. Nein, er hat keinerlei Kontakte mehr.“ Dass ihm bis heute eine Aussage nach seiner Verhaftung nachhänge, sei nicht mehr nachvollziehbar. Damals hatte Y. gesagt, dass man ihn nur aufhalten könne, indem man ihn töte.

Sertsöz kritisiert, dass nach seinem Wissen in der Justizvollzugsanstalt kein psychiatrisches Gutachten zu der Frage erstellt wurde, ob von Y. weiter Gefahr ausgeht. „Wenn er noch so gefährlich ist, wie die Behörden meinen, warum wurde dies dann nicht von einem Sachverständigen untersucht?“ Für den Kölner Juristen könnte die vom Land Hessen gewollte Abschiebung und die von Frankfurter Richtern verkündete Abschiebehaft damit zu tun haben, „dass niemand Verantwortung übernehmen möchte, falls doch etwas passieren könnte.“ Thema Restrisiko: „Die sagen sich wohl: Auch wenn man einen Löwen einsperrt, hat man nicht die Garantie, dass er zahm ist, wenn er frei kommt. Er bleibt immer noch ein Löwe.“

Schnellstmögliche Abschiebung

Hessen jedenfalls (das Landeswappen zeigt einen Löwen) strebt die „schnellstmögliche Abschiebung in das Herkunftsland“ von Adem Y. an, wie Innenministeriums-Sprecher Schaich bestätigt. Zumal Y. aufgrund einer unanfechtbaren „Ausweisungsverfügung aus dem Jahr 2011“ ausreisepflichtig sei. „Zurzeit steht nur noch die Ausstellung eines Passersatzdokuments durch das Generalkonsulat der Türkei in Frankfurt aus“, so Schaich weiter. Medienberichte, nachdem die Türkei zunächst die Ausstellung eines Passersatzdokuments zugesichert und dann aber zunächst die Aufnahme von Y. verweigert habe, wollte der Sprecher nicht bestätigen. Nach Informationen dieser Zeitung sollte der 40-Jährige eigentlich bereits am Mittwoch abgeschoben werden.

Seit der Kindheit in Hessen gelebt

„Hinter den Kulissen werden die diplomatischen Drähte glühen“, sagt Anwalt Sertsöz. Sein Mandant sei im übrigen mit einer Abschiebung in die Türkei grundsätzlich einverstanden – auch wenn er seit seiner Kindheit mit seiner Familie mitten in Hessen gelebt habe. „Ich denke“, sagt Sertsöz, „er will die ganze Geschichte hinter sich lassen und in der Anonymität einer türkischen Stadt einen Neuanfang wagen.“

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