Fotoprojekt über Warenmessen Oh, heiliger Kapitalismus!
Tierzucht, Erotik, Waffen - für fast alles gibt es in Deutschland eine Messe. Der Fotograf Jakob Schnetz hat sie jahrelang besucht und zeigt eine skurrile Parallelwelt, getrieben von maximaler Konkurrenz.
Deutschland ist der größte Messestandort der Welt. Zwei Drittel aller Weltleitmessen finden in der Bundesrepublik statt. Auf 2,75 Millionen Quadratmeter Ausstellungsfläche schauen sich jährlich 10 Millionen Besucher an, was die Unternehmen an Innovationen zu bieten haben. Der Fotojournalist Jakob Schnetz hat über einen Zeitraum von fünf Jahren mehr als 40 Messen besucht. Sein neuester Bildband "Ort der Verheißung" gibt Einblick in den skurrilen Kosmos der Messen.
- NARINU
SPIEGEL ONLINE: Herr Schnetz, in Ihrem neuen Bildband zeigen Sie Warenmessen und sprechen davon, dass wir Waren zu unseren Göttern erheben. Zeigen Ihre Fotos eine Ersatzreligion?
Jakob Schnetz: Der Vergleich mit der Religion passt sehr gut, denn auf Messen nimmt die Konkurrenz, die zum Kapitalismus gehört, eine Extremform an. Auf so engem Raum und in direkter Nachbarschaft zu den größten Konkurrenten sollen die eigenen Waren immer ein Stück "heiliger" präsentiert werden als der Rest.
SPIEGEL ONLINE: Wie sieht das konkret aus?
Schnetz: Durch die Position der Scheinwerfer werden beispielsweise sakrale Lichtstimmungen erzeugt. Außerdem gibt es bestimmte Rituale, die sich auf jeder Messe wiederholen: das morgendliche Begrüßen und Einschwören der Teams auf die perfekte Verkaufswoche, die Werbegeschenke, die verteilt werden, diese Reizüberflutung an Multimedia- und Live-Shows, unzählige weibliche Hostessen, die absurdeste Kostüme tragen müssen...
SPIEGEL ONLINE: Wirkt das auch beim Publikum?
Schnetz: Teilweise schon. Einen Hype bestimmter Produkte gibt es auf jeder Messe. Da werden Dinge eifrig diskutiert, die ein Außenstehender wie ich nur ansatzweise versteht - Hydraulikschläuche für Mähdrescher zum Beispiel. Ganz fasziniert waren die Menschen auf der Hannover Messe, als dort Roboter der Firma Kuka den Gästen das Weizenbier einschenkten.
SPIEGEL ONLINE: Was für Messen haben Sie besucht?
Schnetz: Insgesamt waren es über 40, und die Bandbreite war enorm. Von Waffen über Erotik und Babynahrung bis hin zu Camping, Jagd und Autotuning war so ziemlich alles dabei. Gegen Ende des Projektes besuchte ich vor allem große Industrie-, Landwirtschafts- und Handelsmessen, auf denen deutlich mehr Geld investiert wird als auf eher kleinen, dafür aber skurrileren Messen.
SPIEGEL ONLINE: Ist eine Waffenbörse eine Messe wie jede andere auch?
Schnetz: Die meisten dort wollen mit dem, was sie verkaufen - Gewehre aus dem Zweiten Weltkrieg, entschärfte Handgranaten, Mörser, Nazi-Abzeichen - keinesfalls in Verbindung gebracht werden. Das ist schon ungewöhnlich, denn sonst schreit alles und jeder auf einer Messe nach Aufmerksamkeit. Dagegen wurde ich dort von einigen Austellern mehrmals zur Messeleitung zitiert, obwohl ich akkreditiert war und eine Genehmigung hatte.
SPIEGEL ONLINE: Wie unterscheiden sich Erotikmessen?
Schnetz: 2013 war ich Gast auf der Venus in Berlin. Anfangs dachte ich, Sex und Intimität wären sehr private Themen, sodass es entsprechend schwierig werden würde, dort zu fotografieren. Doch ich habe auf keiner anderen Messe so viele Männer - Mitte 40 aufwärts - gesehen, die mit wahnwitzigem Kamera-Equipment anrückten. Dagegen wirkte ich als professioneller Fotojournalist teils dürftig ausgestattet.
SPIEGEL ONLINE: Was haben diese Männer fotografiert?
Schnetz: Fast ausschließlich die Live-Shows von Pornodarstellerinnen. Ich stand also dort bei unzähligen Männern, die Bilder für den heimischen Gebrauch machten. Und mehr als einmal wurde mir anerkennend zugenickt. So nach dem Motto: "Ah, du bist auch einer von uns ... - gute Show, oder?" In diesen Momenten habe ich mich richtig, richtig unwohl gefühlt.
SPIEGEL ONLINE: Wie entstand die Idee zu diesem fotografischen Langzeitprojekt?
Schnetz: Über Umwege. Ich wollte mich mit konventioneller Landwirtschaft und Massentierhaltung beschäftigen und besuchte daher die "Eurotier 2012", um das Thema anzurecherchieren. Der Kontrast, den Messen ausmachen, war dort besonders stark: All das, was in der Halle gezeigt wurde, findet sonst im Freien statt. Da kam mir der Gedanke, dass eine Messe auf sehr wenig Raum so viel von unserer Gesellschaft beherbergt, wie es ein anderer Ort niemals könnte.
SPIEGEL ONLINE: Was hat Sie fotografisch an der Serie gereizt?
Schnetz: Anfangs standen vor allem dieses hyperreale Moment, die Skurrilität von Messen sowie der Kontrast zwischen Inszenierung und Lebensrealität im Vordergrund - wenn zum Beispiel Hochleistungskühe mitten in einer riesigen Halle im Scheinwerferlicht stehen. Als ich 2015 schon zahlreiche Veranstaltungen besucht hatte, war meine Neugier für die Messe an sich ziemlich erschöpft. Denn im Grunde ähneln sich Messen schon sehr - von den Inszenierungen über das Mobiliar bis zu den Dekopflanzen ist vieles austauschbar. Da legte ich meinen Fokus auf das gesellschaftliche Gefüge: die Morgenrituale, die Kaffee- und Raucherpausen der Geschäftsleute oder die Neukundenakquise.
SPIEGEL ONLINE: Ist der Messebesucher ein besonderer Typ Mensch?
Preisabfragezeitpunkt:
21.04.2019, 04:10 Uhr
Ohne Gewähr
Schnetz: Ich habe mich viel häufiger auf Fach- als auf Besuchermessen bewegt. Auf letzteren hatte ich das Gefühl, dass sich dort der deutsche, konsumorientierte Mittelstand tummelt, dem es gut geht, der ein bisschen Geld ausgeben will und für die Inhalte recht begeisterungsfähig ist. Das Publikum auf Fachmessen hängt stark vom jeweiligen Kontext ab. Trotzdem habe ich die Menschen dort als sehr ähnlich in Erinnerung.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Schnetz: Ich kenne diese Leute nicht persönlich und möchte keine vorschnellen Urteile fällen. Aber mir kamen sie alle sehr glatt und erfolgsorientiert vor. Auf einer Messe, so mein Eindruck, ist nicht nur der Ort eine Fassade, sondern auch viele Menschen nehmen dort eine bestimmte Rolle ein, die auf Außenwirkung getrimmt ist.
SPIEGEL ONLINE: Alles dreht sich um den schönen Schein.
Schnetz: Ja, und um die Darstellung von eigener Stärke und Größe. Wenn ich auf engstem Raum mit meinen größten Konkurrenten um Aufmerksamkeit kämpfen muss, spielt es noch immer eine Rolle, wie groß und opulent meine Präsenz auf der Veranstaltung ist. Der Stand von Dax-Unternehmen ist dementsprechend gigantisch. Über Messen wird ja auch medial viel berichtet. Wenn Bosch, Siemens und Co. nur einen sehr kleinen Stand aufbauen, wird das in der Presse sofort aufgegriffen.
SPIEGEL ONLINE: Am Anfang des Buches schreiben Sie, das Projekt wäre "eine Suche nach fotografischen Möglichkeiten der Kritik" gewesen. Was meinen Sie damit?
Schnetz: Die Serie ist ein Versuch der Kapitalismuskritik durch Bilder. Der Zwang zum Wachstum im Kapitalismus ist fragwürdig, denn die Ressourcen des Planeten sind endlich. Das weiß inzwischen jedes Kind. Aber auf Messen wird überdeutlich, wie sehr das gesamte System nach wie vor vom Expansionsgedanken getrieben ist.