Feminismus Skandale am Rande des Nervenzusammenbruchs

Wo ein Wille ist, ist ein Skandal. Wer das nicht glaubt, hat in der neuen Kommunikationszeit noch weniger zu suchen als in der alten. Dabei sind manche Skandale so unübersichtlich, dass es fast schon ein Skandal ist.

Nagellack wird in Deutschland mit einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent verkauft
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Nagellack wird in Deutschland mit einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent verkauft

Eine Kolumne von


Zur Lage

Dass der Skandal der Lebenssaft des Journalismus ist, liegt zu einem großen Teil in der Natur der Sache, denn der Mensch und Medienkonsument ist nun einmal bevorzugt am Außergewöhnlichen interessiert und kaum an der Nachricht, welche Marmelade sein Nachbar am liebsten mag. Alles ist besser als zu schweigen, lautet die goldene Regel des Marktes. Notfalls muss dem Skandalösen etwas nachgeholfen werden. Das gilt vom Spitzenniveau der Preisgekrönten hinab bis dorthin, wo Menschen ihr Leben als "Influencer" für Nagellack gestalten und über den Skandal berichten, dass der Konkurrentin gestern eine Wimper in den Cappuccino fiel.

Die Skandallage im Bereich des amtlichen Feminismus ist etwas abgeflaut. Die überaus magere Ausbeute der kriminalistischen Intensivdurchkämmung des deutschen Medien- und Kulturbetriebs legt den Eindruck nahe, dass der Kreativbereich vielleicht doch etwas weniger von Sexualverbrechern durchseucht ist als in zahllosen Wiederholungen behauptet. Und irgendwie scheint #MeToo auf seltsame Weise auf das Niveau von "Unheimlisch leischt" herabgeschwebt zu sein:

"Nach allen #MeToo-Debatten scheint eine organisierte Form für die bessere Wahrnehmung weiblicher Kreativarbeit also notwendig zu sein", hieß es in der Deutschlandfunk-Sendung "Corso" am 19. Juni in einem Bericht über das Netzwerk Female Photographers, das 21 Mitglieder hat und dessen Gründerin auf die (gute) Frage, ob es einen spezifisch weiblichen (fotografischen) Blick gebe, die (rätselhafte) Antwort gab, es gehe (ihr) nicht um den "Blick", sondern um die "Perspektive" (was, wenn ich mich nicht sehr irre oder es um einen Testbericht über Tilt-Shift-Objektive ging, dasselbe ist). Nun gibt es, wenn man bei Verstand ist, ganz gewiss nichts gegen weibliche Fotografinnen oder gegen "Netzwerke" von Kreativkünstlern einzuwenden. Dass inzwischen wirklich jeglicher Zusammenhang, in dem Frauen vorkommen, mit einem pinkfarben-flauschigen #MeToo-Stickerchen aufgepeppt wird, erscheint mir nicht nur ein bisschen albern und deshalb kontraproduktiv, sondern vielleicht auch Ausdruck einer - stets und überall - bedenklichen Selbstreferenzialität, in welcher die sprachlichen Formen permanenter Selbstbespiegelung den kritischen Blick auf Inhalte behindern. Drei derzeit aktuelle Beispiele mögen das erläutern.

Gerechtigkeit, nirgends

Ein etwas trübes Highlight betrifft die Mehrwertsteuer auf Tampons, Binden und sogenannte Menstruationstassen (ein schöner Begriff, finde ich!). Sie beträgt, wie für alle anderen Hygieneprodukte und 99 Prozent aller Waren 19 Prozent (§ 12 Abs. 1 UStG). Irgendjemand ist nun vor geraumer Zeit auf die Idee gekommen, § 12 UStG diskriminiere Frauen, weil die Menstruation nun mal eine Naturerscheinung ist, was sie übrigens mit dem Bartwuchs, der Verdauung und der Prostatavergrößerung gemein hat. Seither hat die Angelegenheit Fahrt aufgenommen ("Erdbeerwoche" vom 15.3.2017: "Der Kampf gegen die Tamponsteuer geht weiter!"; "taz", 23.7.2018: "Gleichberechtigung fängt beim Tampon an").

Von einem Kampf gegen die die Rasierpinselsteuer, die Klopapiersteuer oder die Prostatateesteuer wurde nichts bekannt. Dafür fordern Onlinepetitionen, die von insgesamt über 200.000 Menschen mitunterzeichnet wurden, die "Tamponsteuer" auf sieben Prozent zu senken (Bundestag, Petition Nr. 91015). Sogar der Humorolymp von "Pussy Terror" musste aktiv werden: "Nee, Leute, ernsthaft: Auf Menstruationshygieneartikel wird eine sogenannte Luxussteuer von 19 Prozent erhoben…. Aber der Widerstand wächst…!". Rundfunk und Qualitätspresse berichteten fleißig über die angebliche "Luxussteuer". Zwar gibt es in Deutschland so eine Steuer gar nicht, und die Auswahl derjenigen Waren- und Leistungsgruppen, für die nach § 12 Abs. 2 UStG eine ermäßigte Umsatzsteuer von sieben Prozent gilt, hat auch mit Luxus oder Nichtluxus nicht das Geringste zu tun. Auf solche Kleinigkeiten darf es aber nicht ankommen, wenn ein blutiger Skandal lockt.

Vom Luxus bis zum Lachskaviar ist es nicht weit, wohl aber vom Tampon zum Trüffel. Es ist, wie die "Frankfurter Rundschau" schon am 23.7.2015 wusste, total diskriminierend, dass auf ein Brötchen mit Lachskaviar nur sieben Prozent, auf einen Tampon aber 19 Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden. Seither geistern der Lachskaviar und der Trüffel durch die Menstruationsschlacht. Statt ihrer hätte man aus dem Warenkatalog zu § 12 Abs. 2 UStG auch "Mägen von Hausrindern" oder "Sägespäne" nehmen können; aber das wäre weniger luxuriös.

Begibt man sich in die Wunderwelt des Tamponkampfes, lernt man, dass ein Frauenleben in 41 Menstruationsjahren und 500 Perioden etwa 10.000 Tampons erfordert. Das kostet nach Berechnungen der "Huffington Post" 20.000 Euro, wobei allerdings Schokolade, Kartoffelchips, Schmerzmittel und Antidepressionsdrogen sowie frische Wäsche mitgerechnet sind, was wirklich etwas übertrieben erscheint. Meine eigene Recherche bei Amazon ergab, dass für Qualitätstampons in der 56er-Packung pro Stück sieben Cent aufgerufen werden, womit wir auf 700 Euro in 41 Jahren kommen, also 1,40 Euro pro Periode. Wenn man großzügig zwei Euro pro Monat veranschlagt, beträgt der Anteil der Mehrwertsteuer daran 32 Cent. Eine Senkung auf sieben Prozent würde 20 Cent pro Monat sparen.

Bei den Menstruationstassen sieht es noch etwas luxuriöser aus: Die Dinger halten nach Herstellerangaben 15 Jahre und kosten im Schnitt 20 Euro. Das macht 60 Euro pro Frauenleben, sagen wir großzügig 200 Euro. Pro Periode sind das 40 Cent einschließlich 19 Prozent Mehrwertsteuer. Der "Kampf gegen die Tamponsteuer" könnte hier zu einer Ersparnis von 24 Euro in 41 Jahren, d.h. von vier Cent pro Periode führen. Wir sind beeindruckt und drücken der von einer "PR-Beraterin" und einer Studentin von "Interdisziplinäre Public und Nonprofit Studien" gestarteten Petition die Daumen.

Nun wird man sagen, dass es "ums Prinzip" gehe, was hierzulande ein außerordentlich gewichtiges Argument ist. Und außerdem hat der "Widerstand", wie es sich gehört, eine globale Dimension der Solidarität: "In Afrika" nämlich, so lesen wir, werde mancherorts eine Steuer auf Menstruationshygieneprodukte nicht erhoben. Das ist, finde ich, ein würdiges Argument. Hamburger PR-Beraterinnen sollte es keinesfalls schlechter gehen als afrikanischen Frauen mit Einkommen unter einem Dollar pro Tag.

Prinzessinnen, pink

Eine zweite Sternschnuppe: Wir mussten am 7. Juni im "SZ-Magazin" wieder einmal lesen, dass pinkfarbene (vielleicht auch: rosafarbene) Nassrasierer teurer sind als blaue, "obwohl sie genauso viele Klingen haben". Die Wissenschaft hat festgestellt:

"Die meisten Fälle (von Preisdifferenzierung nach Geschlecht) finden sich beim … Nassrasierer…. Es konnten 5 von 14 vergleichbaren Nassrasierern als für Frauen teurer, zwei als für Männer teurer identifiziert werden... Frauen müssen für die bis auf die Farbe und Verpackung identischen Vier-Klingen-Rasierer von Aldi 0,50 Euro mehr zahlen. Immerhin gibt es den Hinweis auf der Rückseite, dass die … 'Männer'-Klingen auch auf den 'Frauen'-Rasierer passen." (An der Heiden/ Wersig, Preisdifferenzierung nach Geschlecht in Deutschland, 2017, S. 101).

Das führt uns zu der Frage, was an "identischen" Rasierern wohl das Frauen- bzw. Männerspezifische sein mag. Die Lösung der feministischen colour theory lautet: Es ist die Farbe. Die Variante Pink/Rosa wurde danach von der Natur speziell für Prinzessinnen erfunden. Kapitalistinnen, gierig wie sie sind, pressen aus diesem Naturgesetz wie aus jeder anderen Kundenvorliebe gern eine Handvoll Dollar mehr, was zum Beispiel dazu führt, dass "Kinder"-Schokolade zwar nicht gut für Kinder, aber trotzdem teuer ist.

Für das Prinzessinnenwesen bedeutet das: "Nike Performance Flex Experience RN8"-Schuhe kosten bei Zalando in der Farbe grau 58,45 Euro und in der Farbe hellrosa 64,95 Euro! Und auf "Tabakland.de" kostet eine Stange echte Mädchenzigaretten Marke "Eve superschlank" 70 Euro, eine Stange echte Cowboyzigaretten "Marlboro simply red" aber nur 67 Euro. Wahnsinn! Andererseits muss man als Liebhaberin von Elastan-Hosen für "Heather Tights" in der Mädchenfarbe "dusty Peach" nur 37,95 Euro ausgeben, wohingegen die Jungs für "Escape Splice Tights" in schwarz 59,95 Euro löhnen müssen. Unklare Lage also! Aber beim Damenbart wie beim Lungenkrebs war es, wie wir wissen, schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben.

Alternativ zur Forderung nach Preissenkungen für pinkfarbene Nassrasierer böte sich ein Kampf gegen die Pink- und die Rosasteuer an. Sehr kompliziert! Vorerst könnte man Prinzessinnen den Tipp geben, blaue Einwegrasierer zu kaufen. Die Farbe von Mädchenrasierern und -zahnbürsten ist nämlich in Wahrheit gar nicht gesetzlich vorgeschrieben.

Mittelfeld, staatlich

Damit sind wir bei der schreienden Ungerechtigkeit gelandet, dass der Deutsche Fußballbund (nicht zu verwechseln mit dem Bundeskanzleramt) als Prämie für die Spielerinnen des deutschen WM-Kaders nur lächerliche 75.000 Euro pro Spielerin ausgelobt hat, obwohl für die Männer zuletzt (leider vergebens) 350.000 Euro in Aussicht gestellt waren. Und dann kam auch noch der Skandal heraus, dass der Sponsor Villeroy & Boch den Spielerinnen der Nationalmannschaft der Frauen des Jahres 1989 (allesamt Amateurinnen) das "sehr hässliche" (so das Designfachblatt "Bild") 41-teilige Kaffeeservice "Mariposa" schenkte, statt, wie es sich gehört hätte, ein Hänge-WC oder ein Set aus Seifenschale und Gewindeschneider. Daher hat nun der Sponsor Commerzbank einen Werbeclip produzieren lassen, in dem deutsche Fußballspielerinnen aus "Mariposa"-Tassen nippen und uns dann die Worte entgegenschleudern: "Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt." Talk-Königinnen und Pussy-Humoristinnen, die es gewiss für einen schlechten Witz hielten, wenn ein hergelaufener Drittligamoderator dasselbe Gehalt wie sie verlangen würde, finden es echt gemein, dass die Mädels weniger verdienen als männliche Lizenzspieler, "obwohl sie genauso viel laufen".

Eigentlich sind ja 75.000 Euro gar nicht mal so schlecht, wenn man die Lage mit der rhythmischen Sportgymnastik und dem Schwebebalkenwesen vergleicht. In der Frauen-Bundesliga liegt der Zuschauerdurchschnitt der ersten fünf Vereine zwischen 1000 und 1600; auf Platz zwölf kommen noch ungefähr 340. Das macht in der ganzen Saison bei allen Spielen zusammengenommen ca. 110.000 Zuschauer. Bei der Männermannschaft von Borussia Dortmund sind es bei jedem der 17 Heimspiele 80.000. Der Letztplatzierte der vergangenen Saison bei den Männern hatte viermal mehr zahlende Zuschauer als die ganze Frauenbundesliga zusammen. Die Gesamtzahl der Zuschauer war in der Männer-Bundesliga 110-mal so hoch wie bei den Frauen, in der dritten Liga immerhin noch 27-mal so hoch. Da wird es, meint die werbetreibende Sponsorenwirtschaft, ein bisschen knapp mit Gehältern über 40.000 und Prämien oberhalb von 300.000 Euro.

Nun darf man sicher enttäuscht sein, dass man als Mittelfeldspielerin beim FC Sand ungefähr zehn Millionen Euro pro Jahr weniger verdient als, sagen wir, ein Arbeitsmigrant aus Frankreich mit Wohnsitz in München. Aber die Bitte, die "Nation" möge diesen Pay Gap aus Gründen der Gleichberechtigung schließen, erscheint mir bemerkenswert, jedenfalls, wenn sie in einem bis zum Anschlag kommerzialisierten Markt geäußert wird. Außerdem weiß ich nicht genau, warum das Fußballspielen der Frauen der Nation mehr wert sein sollte als das Curling der Männer oder der Sprint der Beinamputierten, und beschwere mich nicht darüber, dass männliche Badmintonspieler weniger verdienen als weibliche Tennisprofis. Man muss, mit Blick auf die Weltgeschichte, einräumen, dass weniger Mädels als Jungs Autorennfahrer oder Berufsboxer werden möchten, und weniger Jungs als Mädels Dressurreiterin oder Eiskunstläuferin. Ich habe Zweifel daran, dass die Gender Studies diese Verweigerungshaltung in diesem Jahrhundert werden ändern können.

Das Interessante an der Empörung ist übrigens nicht die Albernheit als solche, sondern die bemerkenswerte Sehnsucht nach genau jenem "Staatssport", wie er jahrzehntelang als Inbegriff totalitärer "Instrumentalisierung" in Ländern wie der DDR, China oder der Sowjetunion gegeißelt wurde. Ausgerechnet den Berufssport zum Feld "nationaler" Pädagogik machen zu wollen, könnte man fast schon als Skandal bezeichnen.



insgesamt 139 Beiträge
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PeterAlef gestern, 20:04 Uhr
1. ????ein langer Artikel...,aber
...ich verstehe im Moment den Anlass nicht, daher fehlt mir hier jeder Bezug, außer der MeToo Diskussion, die aber keinen aktuellen Bezug hat, keine Steigerung, keine Beruhigung...eben keinen Anlass Vielleicht ist Schreibzwang eine Motivation oder vielleicht eine Dissertation?...aber...wie gesagt....
Mehrleser gestern, 20:04 Uhr
2.
"das Netzwerk Female Photographers, das 21 Mitglieder hat" - Wirklich? Was sagen denn die Mitgliederinnen dazu?
Birgit Maurer gestern, 20:11 Uhr
3. Oh oh, warten Sie nur Herr Fischer
Wenn Frau Stokowski diese Kolumne liest, wird sie ihnen ihre 19%-Tampons ins Gesicht schleudern. Bentuzte natürlich... Und das tl,dr für diese Kolumne wäre: Logik und Feminismus - das geht nicht zusammen.
m.hecht gestern, 20:13 Uhr
4. Gender-Wahnsinn
Der Genießer lächelt und schweigt und klopft sich beim Lesen vor Vergnügen auf die Schenkel.
henry_org gestern, 20:23 Uhr
5. Super scharf
Danke für eine sehr scharfe Analyse, die mit beiden Beinen auf der Erde steht.....also geerdet ist.
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