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Wirtschaft Überfüllte Deponien

Polens Problem mit deutschem Müll

| Lesedauer: 7 Minuten
Feuer auf einer illegalen Müllhalde im polnischen Zgierz Feuer auf einer illegalen Müllhalde im polnischen Zgierz
Feuer auf einer illegalen Müllhalde im polnischen Zgierz
Quelle: picture alliance/Grzegorz Michalowski/PAP/dpa
Polen hat einen neuen Rekord bei der Einfuhr von Abfällen aufgestellt. Ein Großteil stammt aus Deutschland. Doch die Deponien sind voll, und die Regierung will der „Müllmafia“ den Kampf ansagen.

Bei der Einfuhr von Abfällen aus dem Ausland hat Polen nach Angaben der zuständigen Genehmigungsbehörden einen neuen Rekord aufgestellt. Der Recyclingindustrie reicht das noch nicht, sie beschwert sich über die bestehenden Kontrollen. Im Gegensatz dazu warnen Ökologen: Wir können diese Mengen nicht verarbeiten, lasst uns die Grenzen schließen.

Für 2018 beziffert das Oberinspektorat für Umweltschutz (GIOS) die aus dem Ausland eingeführte Abfallmenge auf 434.400 Tonnen. Das waren fast 60.000 Tonnen mehr als im Vorjahr und beinahe dreimal so viel wie im Jahr 2015 (154.000 Tonnen).

Dabei handelt es sich nicht nur um Produktionsabfälle, die in der sogenannten Gelben Liste enthalten sind - wie beispielsweise Schlacke, Asche, Schlamm, Batterien oder isolierte Kabel -, sondern auch um gefährliche Abfälle – darunter Schwermetalle wie Quecksilber sowie asbesthaltige Abfälle. Um diese einführen zu dürfen, benötigt man eine Genehmigung des GIOS.

Denn es muss sichergestellt werden, dass derartige Abfälle speziellen Anlagen zugeführt werden, in denen ein Teil der Rohstoffe verwertet und der Rest entsorgt werden kann. Bei unsachgemäßer Lagerung können sie zur Kontamination der Umwelt führen. Wohl auch deshalb sagte der stellvertretende Umweltminister Slawomir Mazurek im vergangenen Jahr der „Müllmafia“ den Kampf an. Diese sammelt Abfälle, um sie in Fässern unter den Deponien zu vergraben oder in verlassenen Lagerhäusern unterzubringen.

Darüber hinaus kommen in Polen auch Abfälle an, die auf der sogenannten Grünen Liste stehen, hauptsächlich wiederverwertbare Materialien: Kunststoffe, Glas, Metall, aber auch Schrott. Dem GIOS ist nicht bekannt, um welche Menge es sich dabei handelt, denn der Transfer von Abfällen dieser Kategorie unterliegt innerhalb der EU keinerlei Meldepflicht. Der Handel mit ihnen ist legal und weitgehend sicher, es sei denn, sie werden gesammelt, um einfach verbrannt zu werden.

Doch genau das kann nicht ausgeschlossen werden, so dass nicht davon auszugehen ist, dass der Import von Abfällen der Grünen Liste unbedenklich ist. Die Inspektoren der Umweltschutzbehörde sind der Ansicht, dass das polnische Recht die Einfuhr solcher Abfälle, die nicht in entsprechenden Anlagen verbrannt werden können, verbietet. Und sie versichern, dass diejenigen Abfälle, deren Import sie bisher genehmigt haben, nicht auf Deponien gelandet sind.

Polen importiert Metallabfälle und Abgasstaub

Wie kommt es dann, dass sich die Menge an Postproduktionsabfällen in nur drei Jahren verdreifacht hat? „In Europa entstehen immer mehr von ihnen, und da wir einen gemeinsamen Markt haben, wandern sie an Orte, an denen ihre Rückgewinnung oder ihr Recycling zu einem günstigeren Preis angeboten wird“, sagt Jerzy Ziaja, der Vorsitzende der Allpolnischen Recyclinghandelskammer.

„Deutsche und österreichische Produzenten ziehen es vor, ihre Abfälle nach Polen zu verschicken, anstatt Aufträge an inländische Anbieter zu vergeben. Zumal hierzulande in den letzten Jahren einige Spezialanlagen gebaut wurden“, fügt Ziaja hinzu.

Quelle: Infografik WELT

Tatsächlich kamen die 2018 importierten Abfälle von der Gelben Liste vor allem aus Deutschland – mehr als 250.000 Tonnen. An zweiter Stelle steht Großbritannien mit 36.400 Tonnen, gefolgt von Schweden mit 30.400 Tonnen. Bei den eingeführten Abfällen handelt es sich hauptsächlich um metallhaltige Abfälle (25,4 Prozent) einschließlich Abgasstaub aus Gießereien und metallurgischen Betrieben sowie Abfällen aus der Vorverarbeitung von Bleiakkumulatoren.

Das GIOS gibt zu bedenken, dass noch viel mehr Abfälle ihren Weg nach Polen hätten finden können, wenn man nicht die Einfuhr von insgesamt 158.000 Tonnen an der Grenze untersagt hätte. Nach einer Welle von Deponiebränden hatte man im vergangenen Jahr schärfere Grenzkontrollen angekündigt.

So gab Pawel Ciecko, der Leiter des GIOS, in einem Interview mit der „Gazeta Wyborcza“ bekannt: „Wir werden die Transporte anhalten und den Inhalt kontrollieren. Wir werden die Staatsanwaltschaft hinzuziehen, die sofort eine Untersuchung einleiten kann, sobald wir feststellen, dass das Transportunternehmen gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen hat.“

400 Euro pro Tonne – für wertlosen Abfall?

Die Recyclingexperten kritisieren jedoch, dass die Kontrollen weder zügig noch ordnungsgemäß durchgeführt würden. Das liege an den voreiligen Maßnahmen der Regierung, die unter Beweis stellen wollte, dass sie das Problem der illegalen Abfalleinfuhr sofort lösen kann.

„Die auf die Schnelle verabschiedeten Vorschriften sowie die im Eiltempo eingestellten Inspektoren sind die besten Beispiele dafür, wie man der polnischen Wirtschaft Schaden zufügt und der Umwelt trotzdem nicht hilft“, erklärt Jacek Pietrzyk, Berater des Unternehmens Atmoterm.

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm das Beispiel eines der Aluminiumstaubtransporte, die tschechische und slowakische Werke nach Polen bringen, da es in ihren Ländern keine Anlagen zur Rückgewinnung des Aluminiums gibt. „Die Inspektoren hielten den Staub wochenlang zurück und ignorierten dabei die Information, dass dieser durch Oxidation die meisten seiner wertvollen Eigenschaften verliert.

Im Zuge der Kontrolle wurde aus dem Rohstoff wertloser Abfall, aus dem nichts mehr rückgewonnen werden konnte. Der Eigentümer der Anlage, der 400 Euro pro Tonne gezahlt hatte, verlor das Geld und den Kunden“, erinnert er sich.

Jerzy Ziaja hat ein anderes Beispiel: „Das Prinzip der Homogenität von Abfällen wird übereifrig verteidigt. Jeder weiß, dass eine Verunreinigung von einigen wenigen Prozent die sichere Rückgewinnung von Rohstoffen, etwa Kunststoffen, nicht behindert. Nicht so die Inspektoren, die einen Transport mit wertvoller Ladung nach Italien zurückschicken, nur weil sie etwas zurückschicken müssen, um ein Resultat vorzuweisen.“

Betrüger entsorgen Abfall auf illegalen Deponien

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Vor solchen unverhältnismäßigen Maßnahmen warnt Pietrzyk: „Polnische Abfallverwerter werden das Vertrauen verlieren und auf dem europäischen Markt nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Letztlich wird der Steuerzahler dafür aufkommen müssen. Es bestehen inzwischen Schadenersatzansprüche in Millionenhöhe aufgrund unkorrekt durchgeführter Kontrollen.“

Konnte zumindest die Anzahl der Brände illegaler Abfalldeponien reduziert werden? Höchstens in der medialen Berichterstattung. Allein im Juni brannte Müll an fünf verschiedenen Orten in Groß- und Kleinpolen, in der Podlachien-Region sowie in Niederschlesien. Die Feuerwehr ist noch dabei, zu ermitteln, ob Brandstiftung die Ursache war – oder ob die Deponien von selbst in Brand gerieten.

„Das Problem ist, dass es immer noch nicht möglich ist, die tatsächliche Menge der im Land produzierten Abfälle zu bestimmen. Ich hoffe, dass die Zusicherungen des Umweltministers zur Einführung einer Abfalldatenbank ab Januar 2020 Realität werden. Damit würden zahlreiche Betrüger vom Markt verschwinden, die die abgenommenen Müllmengen nicht deklarieren und an Orten deponieren, die nicht für diesen Zweck vorgesehen sind“, kommentiert Pietrzyk.

Das GIOS betont, dass die Menge der importierten Abfälle mit 0,33 Prozent gemessen an der Gesamtmenge der in Polen produzierten Abfälle nicht ins Gewicht fällt.

Ökologen schlagen Abfall-Alarm

Piotr Barczak vom Europäischen Umweltbüro in Brüssel glaubt den Zusicherungen des GIOS und der Recyclingbranche nicht, die nach Polen importierten Abfälle würden allesamt in speziellen Verwertungsanlagen landen. Er glaubt eher, dass die Kontrollen unzureichend sind.

„Polen kann seine eigenen Abfälle nicht verarbeiten.“ Deshalb sollte kein zusätzlicher Müll importiert werden, auch wenn dieser angeblich recycelt wird, so Barczak. „Wir sollten dem chinesischen Beispiel folgen: die Grenzen für Abfalltransporte schließen und uns auf die Verbesserung der hiesigen Abfallwirtschaft konzentrieren.“ Nicht nur Deponien brennten in Polen, sondern auch Abfalllager, zum Beispiel für Kunststoffe, die aus dem In- und Ausland stammen. „Die Unternehmen verdienen sich eine goldene Nase mit dem Import von Abfällen, wissen aber anschließend nicht, was damit geschehen soll, also lagern sie sie und warten auf bessere Zeiten. Dabei genügt ein Funke, und man ist sie los, auf Kosten unser aller Gesundheit“, kritisiert Barczak.

Obwohl auf dem EU-Markt vor allem Abfall aus Europa im Umlauf ist, kommen immer häufiger Abfalltransporte aus entlegenen Teilen der Welt hinzu. Das ist auch in Polen zu spüren – unter den ersten zehn Ländern, die ihren Abfall nach Polen exportieren, findet sich Nigeria, das mit der Verarbeitung von Akkumulatoren nicht zurechtkommt. Da müssen polnische Experten herangezogen werden.

Ökologen schlagen unterdessen Alarm: Die Welt erstickt an Abfällen. Die „Müllmafia“ verschifft schwer recycelbare Abfälle in arme Regionen der Welt. Dies hängt mit der Entscheidung Chinas zusammen, seine Grenzen für Abfall aus dem Westen zu schließen. Dadurch werden ärmere asiatische Länder zu Deponien für mitunter giftige und illegale Abfälle.

Doch der Widerstand in diesen Ländern wächst. Sie beginnen, den Abfall an ihren Ursprungsort zurückzuschicken. Malaysia hat Ende Mai ein Zeichen gesetzt. Das Land schickt Dutzende Container Müll zurück nach Australien, nachdem herausgekommen war, dass sie falsch gekennzeichnet waren. Anstelle von leicht recycelbarem Kunststoff enthielten die Container Abfälle, die weder verwertet noch umgewandelt werden können.

„Wir haben nicht vor, die Müllhalde der Welt zu sein“, stellte Yeo Bee Yin, Malaysias Umweltministerin, fest. Einige Tage zuvor hatten die von Rodrigo Duterte autoritär regierten Philippinen verkündet, Abfallcontainer zurück nach Kanada zu schicken. Experten sind der Meinung, dies sei erst der Anfang. Nach erfolgreich durchgeführten Kontrollen wird klar, dass bald Rücktransporte von Abfällen in die USA, nach Japan und in die EU in Gang gesetzt werden.

Aus der „Gazeta Wyborcza“, übersetzt aus dem Polnischen von Arkadius Jurewicz.

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.

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