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Der Checkpoint einer Militärgarnison in der Nähe von Njonoksa am Weissen Meer. (Bild: Sergei Yakovlev / Reuters)

Der Checkpoint einer Militärgarnison in der Nähe von Njonoksa am Weissen Meer. (Bild: Sergei Yakovlev / Reuters)

Was inzwischen zum Nuklearunfall am Weissen Meer bekannt ist – und warum es ein schlechtes Licht auf die Behörden wirft

Die russischen Behörden spielen die Folgen des schweren Unglücks auf einem Raketentestgelände herunter. Trotzdem gelangen Details an die Öffentlichkeit und verstärken den Argwohn der Betroffenen.
Markus Ackeret, Moskau

Das Video ist verwackelt, der Ton ist schlecht, und dem Offizier, der zu hören ist, fällt es schwer, die aufgebrachten Bürger zu beruhigen. Die halbstündige Aufnahme ist dieser Tage im russischen Internet aufgetaucht und wird für glaubwürdig gehalten. Sie zeigt, wie schwer es den Behörden fällt, nach dem mysteriösen Nuklearunfall bei einem Raketentest in Njonoksa am Weissen Meer vor zwei Wochen die Gemüter zu beruhigen. Offizielle Stellen schweigen über die Hintergründe des schwerwiegenden Vorfalls oder relativieren ihn. Selbst gegenüber den Ärzten, die sich um die Schwerverletzten zu kümmern hatten, verbargen die Behörden bewusst, dass die Patienten radioaktiv kontaminiert waren, und setzten sie so unnötigerweise der Strahlenbelastung aus, wie die Zeitung «Moscow Times» berichtete.

Ausgeschaltete Messstationen

Am 8. August hatte sich auf dem Testgelände in Nordrussland, nahe der für Auswärtige geschlossenen Hafenstadt Sewerodwinsk bei Archangelsk, eine Explosion ereignet. Dabei kamen nach offiziellen Angaben fünf Mitarbeiter des staatlichen Atomkonzerns Rosatom und zwei Personen aus dem Verteidigungsministerium ums Leben, zahlreiche weitere erlitten Verletzungen und wurden verstrahlt. Die russischen Behörden halten sich bedeckt, bis auf die spärlichen Informationen. Der schwere Vorfall ist für sie eine innere Angelegenheit Russlands.

Das betrifft aus Sicht des Aussenministeriums auch die Daten aus Messstationen, die für die Kontrolle des internationalen Atomwaffentestverbots eingerichtet wurden. Der Unfall in Njonoksa habe nichts mit diesem Vertragswerk zu tun, und die Datenfreigabe sei freiwillig, sagte Vizeaussenminister Sergei Rjabkow. Zuvor war bekanntgeworden, dass mehrere Messstationen auf dem Territorium Russlands gleich nach dem Unglück ausgeschaltet worden waren – und zwar genau jene, in deren Richtung sich mögliche radioaktive Verschmutzungen in der Atmosphäre bewegten. Die Messdaten hätten Aufschluss über die Art der Explosion geben können und über die Aktivitäten auf dem Testgelände, die dem militärischen Geheimnis unterliegen.

Die Bevölkerung darf ans Ufer geschwemmte Überreste des Pontons und andere Gegenstände nicht einsammeln, weil sie verstrahlt sind. (Bild: Sergej Yakowlew / AP Photo)

Die Bevölkerung darf ans Ufer geschwemmte Überreste des Pontons und andere Gegenstände nicht einsammeln, weil sie verstrahlt sind. (Bild: Sergej Yakowlew / AP Photo)

Keine Reaktorexplosion

Nach wie vor ist sich die Fachwelt nicht einig darüber, was genau in Njonoksa getestet wurde und was dabei schiefging. Nur wenige Eckpunkte sind bekannt und zum Teil auch aufgrund der Datenlage plausibel. In relativ drastischen Worten beschreibt der eingangs erwähnte Offizier im Video, weshalb zwischen dem Unfall und dem sofort als Vergleich herangezogenen Atomunglück in Tschernobyl oder der Explosion einer Atombombe riesige Unterschiede bestehen.

Am Weissen Meer explodierte, offenbar auf einem Ponton im Meer, ein mit radioaktiver Flüssigkeit gefüllter Raketenantrieb und kein Nuklearreaktor. Das Ausmass der Verstrahlung und des Unglücks wäre sonst um ein Vielfaches höher gewesen. Dass trotzdem radioaktive Strahlung ausgetreten ist, belegen nicht nur Messungen am Tag des Unfalls in Archangelsk und die offensichtliche schwere Verstrahlung der Verletzten. Der Offizier warnt in dem Video die Bevölkerung auch davor, ans Ufer geschwemmte Überreste des Pontons und andere Gegenstände einzusammeln, weil sie verstrahlt seien. Er konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, es seien zuvor schon etliche vergleichbare Tests durchgeführt worden, von denen die Dorfbewohner natürlich nichts wüssten.

Welche «Wunderwaffe»?

Viele Militärexperten brachten sofort eine der «Wunderwaffen» ins Spiel, die Präsident Putin im März 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt hatte: ein strategischer Marschflugkörper mit atomarem Antrieb, der dadurch fast unbegrenzt unterwegs sein kann und in Russland Burewestnik und in der Nato-Nomenklatur SSC-X-9 Skyfall heisst. Dafür spräche, dass unlängst offenbar die bisher dafür genutzte Testanlage auf der arktischen Inselgruppe Nowaja Semlja nach Njonoksa verlegt worden war. Die amerikanischen Geheimdienste scheinen dieser Version zuzuneigen. Manche Experten zweifeln aber daran, dass ein solcher Marschflugkörper bloss mit einem nuklearen Treibstoffaggregat und nicht mit einem Atomreaktor angetrieben werden kann. In der Zeitung «Nowaja Gaseta» beschrieb ein Militärpublizist stattdessen ausführlich eine apokalyptisch erscheinende, auf dem Meeresgrund zu stationierende neue Rakete namens Skif, zu der dieser Antrieb besser passen würde.

Die spärlichen Einzelheiten, die ans Licht kommen, führen zu grösseren Spekulationen als eine offene Kommunikation. Je mehr der Eindruck entsteht, die Vorgänge seien sowohl gegenüber der lokalen Bevölkerung als auch national und international verschleiert worden, desto unglaubwürdiger erscheinen auch die offiziellen Informationen. Geradezu skandalös mutet vor allem an, dass die zivilen Ärzte und Rettungskräfte in Archangelsk nicht offener informiert wurden, obwohl sich diese problemlos hätten besser schützen können. Sie werden jetzt sich selbst überlassen. Die Berichte über die Behandlungen wurden von übergeordneten Stellen konfisziert, und die Betroffenen selbst wurden zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Bewohner in Trachten ziehen während eines Volksfests durch Njonoksa. (Bild: Sergej Yakowlew / AP Photo)

Bewohner in Trachten ziehen während eines Volksfests durch Njonoksa. (Bild: Sergej Yakowlew / AP Photo)

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