Poulet statt Kalbfleisch beim Vitello tonnato?
Vitello tonnato ist ein sehr anspruchsvolles Gericht. Dieses muss in den Beizen, da es oft schnell gehen muss, zügig zubereitet werden. Mit viel Liebe geht das. Und mit Poulet ebenfalls. Doch vorweg etwas zu seiner Geschichte.
Vor vielen Jahren habe ich bei einer Nonna di cucina in einer kleinen Osteria in Alba im Piemont das beste Vitello tonnato aller Zeiten gegessen. Aurelia, so hiess sie (die Osteria existiert leider nicht mehr), klärte mich auf, dass dieses Gericht aus dem Piemont und der Lombardei stamme. Zubereitet mit dünn geschnittenen Scheiben Kalbfleisch und mit Sardellen und Kapern.
Ursprünglich also ganz ohne Mayonnaise und ohne Thunfisch. Ein Kalbsbraten wurde mit gesalzenen Sardellen sanft «gesüderlet», dann aufgeschnitten, mit dem Bratenfond (mit Sardellengout) nappiert, mit grossen Kapern ausgarniert und sodann warm serviert.
Poulet ist garantiert zart
Weil Sardellen nicht jedermanns Sache sind und Thunfisch aus Dosen en vogue war, änderten viele Osterias das Rezept. So auch Aurelia. Ihr Vitello tonnato wurde leicht gekühlt serviert. Zwar immer noch mit einem sorgfältig zubereiteten Kalbsbraten, dem sie während des Bratens reichlich Thunfischstücke beigab. Bestes Kalbfleisch vom «Nüssli» oder von einem Schulterstück müsse es sein. Und immer gut gelagert. War der Braten gar, kühlte sie diesen kurze Zeit. Pürierte dann den Bratenfond mitsamt dem Thunfisch ganz fein mit etwas Olivenöl und gab während des Mixens noch Eigelb dazu. Das machte die Sauce weich und samtig. Schnitt das Fleisch in dünne Scheiben und nappierte dieses mit der Sauce.
Aurelia verzierte das Gericht mit Sardellenfilets und Kapern. So blieb ihr Vitello tonnato in meinem «Memoire du goût» gespeichert. Auch, weil dieses Tonnato durch das Braten viel kräftiger im Geschmack war.
Heute geht es einfacher. Das Kalbfleisch wird in einem Kalbsfond «gekocht». Anstatt Kalbfleisch «koche» man gerne auch Pouletbrüstchen in einer Hühnerbrühe. Poulet ist garantiert zart und viel günstiger als Kalbfleisch.
Zur Sauce: Die Mayonnaise muss nicht unbedingt selbst gemacht sein, obwohl das keine Hexerei ist und schon etwas stolz stimmt, wenn man es kann. Wichtig ist, dass nur erstklassiger Thunfisch aus der Dose verwendet wird. Ob weisser Thon (weissere Sauce) oder rosa Thon (rötlichere Sauce), ist Geschmackssache. Ob aus Italien oder Spanien ebenfalls. Aber ohne Konservierungsstoffe. Und mit Nachhaltigkeitszertifizierung.
Dazu Bratkartöffelchen
Für die Sauce püriert man den Thon sämig und vermischt alles mit Mayonnaise und etwas Sauerrahm. Abschmecken mit Zitronensaft, weissem Pfeffer und Worcestershire-Sauce. Kalb oder Poulet (nicht durchsichtig dünn!) geschnitten auf die Teller legen und mit der Sauce nappieren. Ausgarnieren mit Sardellenfilets. Der Farbe wegen gerne halbierte Cherrytomaten und ein Basilikumblatt hinzufügen. Neue Bratkartöffelchen dazu reichen und einen trockenen Weisswein oder Rosé.
* Herbert Huber, Stansstad, ist Gastronom und Hotelier, Autor des Buches «Geschichten und Gekochtes. Tanz mit der Gastronomie», Werd-Verlag.