Gefäßchirurg erklärt Wenn Rauchstopp keine Option ist: Erhitzer und E-Zigaretten sind das kleinere Übel 21.11.2019 | 11:14
E-Zigarette
dpa/Lisa Ducret/dpa 39 Menschen sind in den USA bislang nach dem Gebrauch von E-Zigaretten in den USA gestorben

Viele Dampfer sind durch Todesfälle in Folge von E-Zigaretten-Konsum in den USA verunsichert. Manche überlegen, wieder umzusteigen auf herkömmliche Zigaretten. Doch wäre das das diametral Falsche, meint Gefäßchirurg Martin Storck. Bei FOCUS Online erklärt er, warum die Alternativprodukte das wesentlich kleinere Übel sind.

Rauchen ist einer der wichtigsten Risiko-Faktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die wiederum sind die Todesursache Nummer eins im westlichen Kulturkreis. Ursächlich dafür: Arteriosklerose - eine systemische, fortschreitende und bösartige Erkrankung mit - je nach Stadium - sehr schlechter Prognose, ähnlich derer mancher Krebsarten.

Das betrifft, wie Studien zeigen, nicht nur die koronare Herzerkrankung, sondern auch die sogenannte „periphere AVK“, die arterielle Verschlusskrankheit der Extremitäten. Wie gefährlich sie ist, ist den meisten nicht bewusst - insbesondere nicht den Rauchern, wenngleich ihr Risiko dafür besonders hoch ist. Quasi jeder scheint sich Gedanken um die möglichst gesündeste Ernährung zu machen, Rauchen tun viele weiterhin.

Über den Autor

Martin Storck ist Professor für Gefäßchirurgie und Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe.

Rauch von Zigaretten ist toxischer als Dampf von E-Zigaretten

Problematisch, denn: In Deutschland gibt es kein von den Krankenkassen finanziertes Entwöhnungsprogramm im Sinne einer Primär- oder Sekundärprophylaxe, sprich nach einer bereits aufgetretenen Erkrankung durch das Rauchen. Liegen begleitende Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes oder erhöhte Blutfette mit Übergewicht vor, ist es ganz besonders gefährlich.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer "Internationalen Klassifikation von Krankheiten" Nikotinabusus, d.h. das Rauchen von Verbrennungszigaretten, im Gegensatz zur Alkoholkrankheit nicht als verschlüsselbare Suchterkrankung einstuft - sondern lediglich als Verhaltensanomalie.

Spannend, aber gerade keine Zeit?

Dabei rauchen nach wie vor zu viele Menschen in Deutschland - 28 Prozent der Über-14-Jährigen schätzt eine Studie. Bei Jugendlichen ist die Tendenz glücklicherweise rückläufig. Eine kleinere Gruppe dampft statt zu rauchen. Sie sind in den meisten Fällen umgestiegen von Tabak-Zigaretten auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer. Beides sind Möglichkeiten, das Suchtmittel Nikotin auch ohne den extrem toxischen Zigarettenrauch, der bei Verbrennungstemperaturen von bis zu 800 Grad Celsius entsteht, zu konsumieren.

Wenn Rauchstopp keine Option ist, sind E-Zigaretten und Erhitzer bessere Alternative

Damit sind beide Produkttypen dafür geeignet, Menschen, für die der Rauchstopp momentan keine Option darstellt, zumindest von der mit Abstand schädlichsten Form des Nikotinkonsums, der Verbrennungszigarette, weg zu bringen.

In letzter Zeit wird die E-Zigarette allerdings weltweit mit negativen Schlagzeilen belegt, da in den USA ungeklärte Lungenerkrankungen und auch Todesfälle aufgetreten sind. Man sei hier einem Skandal auf der Spur, heißt es in den Medien. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat gefordert, dieses Phänomen zu beobachten, aber bis heute keinen generellen kausalen Zusammenhang mit der Verwendung von E-Zigaretten nachgewiesen.

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Zurück zur Gefäßmedizin: Dort stellen sich Patienten häufig erst dann beim Spezialisten vor, wenn die Erkrankung symptomatisch geworden ist und schon ein Endstadium mit Komplikationen vorliegt. Aber selbst Ärzte verharmlosen die periphere arterielle Verschlusserkrankung oft als „Schaufensterkrankheit“, weil Betroffene deshalb immer wieder stehen bleiben müssen. Schließlich seien die Raucher selbst schuld, wenn sie nicht aufhören könnten.

Der Begriff „Raucherbein“ ist ebenso eine verharmlosende Bezeichnung für das Stadium mit Nekrosenbildung, mit dann schon amputationsbedrohter Extremität. Nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Gefäßmedizinern, Diabetologen und Kardiologen kann den Patienten dann noch effektiv geholfen werden.

Und auch das „Schlägle“ ist ein Zeichen, das häufig dem fleißigen und stressigen Berufsalltag zugeordnet wird. Den Patienten ist in keiner Weise bewusst, wie hoch aufgrund ihrer Arteriosklerose das Risiko ist, in naher Zukunft einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden. Vielen Patienten kann mit einem invasiven Eingriff kurzfristig geholfen werden, doch die Krankheit wird so nicht geheilt.

Risikofaktor Rauchen haben wir selbst in der Hand

Entscheidend, um das Fortschreiten der Gefäßerkrankung zu bremsen, aber auch, um bereits Erkrankten bessere Aussichten auf ein infarkt- und schlaganfallfreies Langzeitüberleben zu verschaffen, ist die beeinflussbaren Risikofaktoren in den Griff zu bekommen. Dazu zählen Ernährung und Bewegung. Das Rauchen ist aber insgesamt wahrscheinlich der bedeutendste Risikofaktor, der durch Verhalten des Patienten günstig oder eben negativ beeinflusst werden kann.

Alle Angebote zur Entwöhnung einschließlich einer psychologischen Mitbetreuung setzen allerdings voraus, dass die oder der Betroffene auch wirklich gewillt ist, aufzuhören – beziehungsweise sich vorstellen kann, auf die Wirkung des Nikotins und das Inhalieren von selbigem zu verzichten.

Dies ist aber bei der großen Mehrheit der Raucher gar nicht der Fall, wie Befragungen zeigen. Deshalb müsste ein komplementärer Ansatz in den Blick geraten: Alternativprodukte, die erheblich weniger entzündungsfördernde Schadstoffe freisetzen und so das Risiko senken können. Weiterhin müssten die an der ersten Linie der Behandlung agierenden Ärzte zur wissenschaftlichen Faktenlage zu E-Zigaretten und Tabakerhitzern geschult und mit objektiven Informationen über mögliche „Restrisiken“ versorgt werden.

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Bei Zigaretten verbennt Tabak, E-Zigaretten erhitzen nur

Denn: Hauptursache für die Schädlichkeit des Rauchens sind fast ausschließlich die Schadstoffe aus dem Verbrennen von Tabak und Papier. Die Folgen sind entzündliche Reaktionen der Gefäßwand mit beschleunigter Arteriosklerose als Konsequenz.

Bei E-Zigaretten dagegen wird eine Flüssigkeit erhitzt, statt einen Stoff zu verbrennen. Beim Tabakerhitzer wird der Tabak nur erwärmt, so dass aus ihm Nikotin und Tabakaromen verdampfen. Dadurch sind die Mengen von freigesetzten Schadstoffen wie zum Beispiel Formaldehyd oder Kohlenmonoxid um durchschnittlich 95 Prozent reduziert.

Umstieg auf E-Zigaretten medizinisch wünschenswert

„Public Health England“, eine dem Bundesgesundheitsamt vergleichbare britische Behörde, schätzt sogar, dass die Alternativprodukte um 95 Prozent weniger schädlich sind im Vergleich zur Verbrennungszigarette. Damit liefert sie einen Anhaltspunkt dafür, wie enorm Raucher von einem Umstieg auf E-Zigaretten profitieren könnten.

Sehr interessant ist auch die aktuelle Bewertung der US-amerikanischen Regulierungsbehörde FDA zum Tabakerhitzer. So schreibt die FDA in ihrem News Release mit dem Titel: “FDA permits sale of IQOS Tobacco Heating System through premarket tobacco product application pathway” vom 30. April 2019:

  • „Insbesondere durch die wissenschaftliche Bewertung der Anträge des Unternehmens durch die FDA, die begutachtete veröffentlichte Literatur und andere Quellen stellte die FDA fest, dass der Tabakerhitzer IQOS ein Aerosol produziert, das weniger toxische Chemikalien als der Rauch einer Verbrennungszigarette enthält und viele der identifizierten Toxine in geringeren Mengen vorhanden sind als in Zigarettenrauch.
  • Zusätzlich liefert IQOS Nikotin in Mengen, die nahe an den Bereich der brennbaren Zigaretten liegen, was darauf hindeutet, dass IQOS-Nutzer möglicherweise vollständig von brennbaren Zigaretten weg kommen und ausschließlich IQOS verwenden können.“

Ärzte der australischen James Cook University in Townsville berichteten im Oktober 2019 außerdem in einer Meta-Analyse, dass die Tabakerhitzer zu einer geringeren Veränderung wichtiger Biomarker, die mit den gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums verbunden sind, führen als die Verbrennungszigarette. Die Autoren schließen daraus, dass der Umstieg vom Rauchen auf Tabakerhitzer das Potenzial hat, sich positiv auf die öffentliche Gesundheit auszuwirken. Dies sollte auch von politischen Entscheidern in der Regulierung von Tabakerhitzern berücksichtigt werden.

Der gerade aktuelle Vorschlag der Großen Koalition für die zukünftige Regulierung der Tabakwerbung in Deutschland lässt diese wissenschaftliche Evidenz im Gegensatz dazu völlig außer Acht.

Wir dürfen Alternativen nicht abtun

In Großbritannien, wo der staatliche Gesundheitsdienst aktiv die E-Zigarette propagiert und gleichzeitig strenge Kontrollgesetze und hohe Preise bei Tabak durchgesetzt werden, ist der Anteil der Raucher sehr viel schneller geschrumpft als zuletzt in Deutschland. Auf zwei Raucher kommt dort nun fast ein E-Zigaretten-Nutzer. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung, gibt es dort heute nur noch gut halb so viele Raucher wie in Deutschland.

Angesichts der enormen Belastung für das Gesundheitssystem und die Patienten – und der hohen volkswirtschaftlichen Kosten – können wir es uns nicht leisten, nachweislich stark schadstoffreduzierte E-Zigaretten und Tabakerhitzer als gangbare Alternativen für Raucher weiterhin systematisch zu unterschätzen.

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Gerald Hartmann | 21.11.2019 | 10:06 Uhr
Guter Artikel
Endlich mal ein guter Artikel, der die E-Zigarette nicht von vornherein schlecht macht und ...
Frank Maroke | 21.11.2019 | 01:50 Uhr
Das ich das noch erleben darf...
...ein neutraler und realitätsbezogener Beitrag zum Vaping. Ich habe im April, nach 40 Jahren Rauchen und zig gescheiterten Versuchen auf zu hören, durch den Tipp eines Bekannten auf die E-Zigarette gewechselt und seitdem keine Zigarette mehr angefasst. Ich kann es nur jedem empfehlen der weg vom Glimmstängel will und es nicht schafft. Die Lebensqualität erhöht sich unglaublich, man stinkt nicht mehr wie ein Aschenbecher und kann auch wieder drei Stockwerke die Treppen hoch rennen, ohne einen körperlichen Zusammenbruch zu erleiden. Außerdem riecht und schmeckt man die Welt wieder und die aschfahle Gesichtshaut verschwindet auch wieder nach und nach. Aber unbedingt vorher schlau machen, am besten in einem guten Vaping Store, oder bei Leuten die sich damit auskennen. Es lohnt sich!

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