BUNDESWEHR Was tun, wenn Frauen weinen?
Die Diagnose der Forscher ist knapp und klar. Die Armee sei eine "Organisation unter Stress", lautet der Befund einer Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. Kriseneinsätze im Ausland und radikaler Umbau kosteten die Truppe große Kraft. Und jetzt komme noch ein "weiterer Belastungsfaktor" hinzu: Am 2. Januar rücken die ersten weiblichen Freiwilligen bei den Kampftruppen ein.
Für die Bundeswehr beginnt eine kleine Revolution. Bisher durften Frauen nur bei Sanitätern und Militärmusikern dienen. Nun sollen sie Panzer fahren, Kampfjets fliegen und U-Boote steuern. Seitdem der Europäische Gerichtshof die Streitkräfte zur Öffnung nötigte, haben sich fast 2500 junge Frauen für eine Karriere als Offizier oder Unteroffizier beworben. Die ersten 244, die das Militär für tauglich befunden hat, stehen jetzt vor den Kasernen und wollen ans Gewehr.
Die Kommandeure sind inzwischen gerüstet. In Schnellkursen des Zentrums für Innere Führung trainierten Stabsoffiziere und Kompaniechefs in den vergangenen Wochen "Verhaltenssicherheit" im Umgang mit der "Herausforderung" Frau. Sicherheitshalber bekommen sie noch eine neue Dienstvorschrift an die Hand.
Klare Weisung tut Not. Denn beim so genannten "Gender training" (zu deutsch: Geschlechterschulung) in Koblenz und Strausberg zeigte sich, wie irritiert und hilflos vor allem jüngere Ausbilder der neuen Aufgabe gegenüberstehen und welche Ängste sie drücken. Sie hatten Fragen über Fragen.
Muss die Soldatin ihre Haare abschneiden? Darf sie Schmuck tragen? Muss der Vorgesetzte einschreiten, wenn ein Gruppenführer sich in eine Untergebene verliebt? Ist Sex auf der Stube erlaubt? Wie ist zu verhindern, dass es zu sexuellen Belästigungen oder falschen Anschuldigungen kommt? Was tun, wenn Frauen weinen?
Gero Herrlinger, 52, versucht, eindeutige Antworten zu geben. Der Oberstleutnant aus der Panzertruppe hat den Auftrag, die Zentrale Dienstvorschrift Nummer 10/5 über das "Leben in der militärischen Gemeinschaft" den neuen Verhältnissen anzupassen: Sex in der Unterkunft ist nicht erlaubt, weder im Dienst noch danach oder davor. Wer sich erwischen lässt, wird bestraft.
Eine weitere Neuerung, bisher nur bei Sanitätern und Musikern erprobt, gilt nun für die ganze Truppe: Um niemanden in Verlegenheit zu bringen, wird künftig vor dem Eintreten an der Stubentür geklopft. Herrlinger: "Das ist jetzt befohlen."
Um sich zu wappnen, haben die Militärs auch die Erfahrungen anderer Armeen ausgewertet. In einer Einheit, lernten sie etwa bei den US-Streitkräften, sollten nie weniger als 20 Prozent Frauen sein, aber auch nicht mehr als 50 Prozent. Bei geringem Frauenanteil neigten die Männer zum Balzen und zu "übertriebenem Kavaliers- und väterlichem Schutzverhalten". Sind Frauen in der Mehrzahl, sinken angeblich die "physischen Leistungen" der Männer. Eine von Frauen dominierte Einheit sei zudem nur "schwer führbar", lernte "Gender training"-Teilnehmer Rolf Wagner, 41, Kommandeur eines Panzerartillerie-Bataillons in Dabel, Mecklenburg-Vorpommern.
Weil Frauen "schneller lernen" und "mehr Durchhaltewillen und Ehrgeiz" zeigten, könne die Truppe durchaus auch von ihnen profitieren, glauben die Trainer am Zentrum für Innere Führung: "Die Konkurrenz zwischen Männern und Frauen wirkt anregend und fördernd - Männer werden meistens alles versuchen, um bessere Leistungen zu erbringen."
Sich mehr anstrengen zu müssen - das genau ist die Furcht, die junge Männer plagt. Wie die Bundeswehr-Sozialforscher herausfanden, sehen vor allem junge Unteroffiziere die weiblichen Soldaten als unerwünschte Wettbewerber bei der Karriere. Jeder fünfte befragte Soldat meinte gar, die Frauen nähmen den Männern die Arbeitsplätze weg.
Jahrzehntelang galt der Dienst an der Waffe für Frauen als Tabu. Nun ist der ideologische Kurswechsel von oben befohlen - und die Truppe, zunächst voller Vorbehalte, macht gehorsam kehrt.
Mancherorts ist aus Ressentiments sogar schon Begeisterung geworden. In Wagners Bataillon hat Kompaniechef Frank Schrödher, 32, bereits vor dem offiziellen Starttermin probehalber einen weiblichen Unteroffizier der Sanitätstruppe als Ausbilder für gewöhnliche Rekruten männlichen Geschlechts angeworben.
Anja Brosovski ist 21 Jahre jung, 162 Zentimeter klein - und äußerst selbstbewusst. Seit November drillt sie eine Gruppe von zwölf Männern: "Hinlegen!", "Kriechen!", "Auf - marsch, marsch!"
Schrödhers Experiment scheint erfolgreich zu sein. Seine Sorge, die Männer würden sich nur widerstrebend von einer Frau durch den Matsch scheuchen lassen, war unbegründet. Beim Lagerfeuer auf dem Truppenübungsplatz lobten die Soldaten ihre Vorgesetzte in den höchsten Tönen: "Die Frau ist cool, sie hat uns voll im Griff."
SUSANNE KOELBL, ALEXANDER SZANDAR
DAS URTEIL
Nach dem Grundgesetz durften Frauen "auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten".
Die Elektronikerin Tanja Kreil aus Hannover bewirbt sich 1996 bei der Bundeswehr für den Instandsetzungsdienst, wird abgelehnt und klagt auf Gleichbehandlung.
11. Januar 2000: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg stellt in einem Grundsatzurteil fest, dass die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie auch auf die Bundeswehr anzuwenden ist.
27. Oktober 2000: Der Bundestag ändert das Grundgesetz.
2. Januar 2001: 244 Frauen treten ihren Dienst in der Bundeswehr an.