Internet-Projekt yolocaust.de - Satiriker Shapira montiert Mahnmal-Selfies mit KZ-Fotos

Ein Selfie vor dem Holocaust-Mahnmal? Ja, das machen tatsächlich erstaunlich viele Menschen - und posten die Bilder stolz ins Netz. Der Berliner Satiriker Shahak Shapira weist mit seinem neuen Projekt drastisch auf die Geschmacklosigkeit solcher Bilder hin.

Ein Mann jongliert mit pinkfarbenen Bällen. Er kniet dabei auf dem Boden und schaut konzentriert. Doch er hockt nicht irgendwo, sondern zwischen den Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals.

Um die Absurdität solcher Fotos zu verdeutlichen, hat der Berliner Autor und Satiriker Shahak Shapira am Mittwoch seine Webseite yolocaust.de vorgestellt. Darauf montiert er Porträts, Selfies und Schnappschüsse, die Menschen am Holocaust-Mahnmal gemacht haben, mit Bildern aus den NS-Vernichtungslagern. Geht man etwa auf der Seite mit der Maus über das Bild mit dem Jongleur, verschwinden im Hintergrund die Stelen - stattdessen sieht man den Mann in einem Massengrab knien, hinter ihm übereinander gehäufte Leichen und Männer, die das Grab zuschaufeln.

"Ich habe in den letzten Jahren ein interessantes Phänomen am Holocaust-Mahnmal beobachtet: viele Menschen verwenden das Denkmal als eine Kulisse für ihre Profilfotos auf Facebook, Instagram, Tinder oder Grindr", schreibt der aus Israel stammende Shapira auf seiner Facebook-Seite. "Ich habe diese Selfies genommen und sie mit Bildmaterial aus Vernichtungslagern kombiniert."

Am Schluss ergänzt er noch: "Dieses Projekt widme ich meinem Lieblings-Neonazi, Bernd Höcke." Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hatte mit einer Rede in Dresden für einen Eklat gesorgt. Er sprach - offensichtlich mit Bezug zum Holocaust-Mahnmal in Berlin - von einem "Denkmal der Schande".

Er hoffe, dass sich dank seiner Webseite mehr Menschen mit der eigentlichen Bedeutung des Mahnmals befassen, anstatt es als Kulisse für geschmacklose Selfies zu nutzen, sagte Shapira der "Berliner Morgenpost".

Reumütigen Mahnmal-Selfie-Postern hat Shapira ein Hintertürchen geöffnet. In den FAQs von yolocaust.de schreibt er: "Ich bin auf einem der Fotos zu erkennen und schäme mich plötzlich, es öffentlich ins Internet hochgeladen zu haben. Kannst du es entfernen?" Seine süffisante Antwort: "Ja. Schicke eine Email an undouche.me@yolocaust.de" - was sich in etwa mit "Enttrottle.mich@yolocaust.de" ins Deutsche übersetzen lässt.

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24 Kommentare

  1. 24.

    Wozu die Aufregung?
    Einer nutzt seine künstlerische Freiheit, viele andere Menschen beziehen das Denkmal in ihre Selfies mit ein und zeigen so, dass dieses Denkmal anerkannt ist und bekannt gemacht wird. Ist solche Eigendynamik wirklich so opferverachtend?
    Sind (z.B. lehrplan-)verordnete kollektive Pflichtbesuche zur bezweckten Trauer- und Schuldauseinandersetzung ehrlicher?
    Eliten können beeinflussen, wann, wo, in welcher Form, zu welchem Zweck Denkmale errichtet werden und wer dafür und für dessen Erhalt verantwortlich ist. Wie Besucher sich zu Denkmalen verhalten, ist dagegen schwer vorherseh- und beeinflussbar. Und das ist gut so, sofern kein Vandalismus oder politischer Missbrauch betrieben werden.
    (Deutsche Alternative: Verbot per Gesetz, Verbotsschilder, Polizei- und Videoüberwachung!!!)
    Ich persönlich brauche keine Denkmale, um über Täterschuld nachzudenken und Opferleid zu gedenken.

  2. 23.

    Diese Aussage finde ich falsch. Spielende Kinder, fröhliche Menschen - das sind die besten Mittel gegen einen zu steifen und schuldigen Umgang mit diesem Thema. Das bedeutet nicht, dass man das Geschehene vergißt oder gar besudelt.

  3. 22.

    Ich verstehe ihr Anliegen, aber ist der Holocaust nicht eben durch eine solche gesellschaftliche Konvention erst geschehen? Das Mahnmal wird langsam Teil des Berliner Lebens. Es wird von neuen Generationen assimiliert. Es wird kein gemiedener Fremdkörper sein, sondern Teil der Stadt. Natürlich werden Kinder darauf spielen und sie werden sich fragen wieso da die Betonklötze stehen. Und vielleicht wird dann noch jemand da sein, der dann ohne erhobenen Zeigefinger die Geschichte erzählt. Das bringt sie zum nachdenken, oder auch nicht. Aber ein Zwang zu irgendeinem Gefühl wird oft ein konträres Ergebnis haben. Und genau dieses Ergebnis zeigt sich in Höcke und Co.

  4. 21.

    Ob die, die das Mahnmal mit Lebensfreude und damit mit Leben füllen in jedem Augenblick an die Opfer denken wage auch ich zu bezweifeln. Aber müssen sie das überhaupt? Reicht es nicht, sich ganz allgemein des Ortes und seiner Bedeutung bewusst zu sein?
    Vor inzwischen über 20 Jahren habe ich an einem eisig kalten, aber ansonsten wunderschönen Wintertag auf dem Appellplatz eines ehemaligen KZ gestanden. Und einige Tage zuvor auf dem Rasen hinter dem „Haus der Wannseekonferenz“, ebenfalls bei schönstem Winterwetter. Gerade dieser Kontrast, die schöne alte Villa und das mittägliche Schlittschuhlaufen auf dem See dahinter und daneben das gleichzeitige Wissen darum für was dieser Ort auch steht haben mich tief geprägt. Tiefer als die Quellenstudien dort, sogar noch tiefer als Gespräche mit Holocaustüberlebenden.
    Dass das Wunderschöne und das abgrundtief Schlechte an einem Ort vereint sein können und man aufpassen muss auf welcher Seite man steht habe ich seitdem nicht wieder vergessen.

  5. 20.

    Kunst und Denkmale sollten im besten Falle immer zur Auseinandersetzung anregen.
    Ziel erreicht. :-)

  6. 19.

    @ 18: Maxi, sicherlich haben Sie Recht mit Ihrer Empfehlung, andere Leute nicht grundsaetzlich zu massregeln, wenn sie Dinge anders machen als man selber. Dennoch gibt es ein paar gesellschaftliche Konventionen, die mir fuer ein friedliches Zusammenleben sinnvoll scheinen: Z.B., dass man an einem Ort der Erinnerung an ermorderte Menschen und schwerste Verbrechen die Lebensfreude ein bisschen zurueckfaehrt und ein bisschen in sich geht.
    Ich glaube durchaus, dass die lebenden Menschen, die bei 'Yolocaust' zu sehen sind, das Leben nicht vergessen.
    Ich glaube aber durchaus nicht, dass sie an die Entrechteten, Verschleppten, Internierten und Ermordeten denken, wenn sie zwischen den Stelen jonglieren oder posieren.

  7. 18.

    Bitte hören sie auf anderen Leuten vorzuschreiben wie sie Geschichte bewältigen sollen.
    ....man tut dies nicht..das macht man nicht..moralisch Verkommen... . Wer ist denn hier das Maß der Dinge? Vorurteile gegen Menschen die Sachen anders machen als man es selbst für richtig hält ist aller Untaten Anfang. Solche Leute wie ihr sind Schuld, dass es das Mahnmal überhaupt gibt. Die einen trauern über das was war, die anderen freuen sich das es nicht mehr so ist wie es war. Der Toten gedenken aber dabei das Leben nicht vergessen.

  8. 17.

    das ganze reiht sich nahtlos ein in Gaffen bei Verkehrsunfällen und davon Fotos machen, Behindern von Rettungskräften, einer egoistischen Denkweise, die man mit ich, alles, sofort definieren könnte. Ein Zeichen zunehmender völliger
    moralischer Verkommenheit vieler Menschen.

  9. 16.

    Schon 2x habe ich in den Kommentaren das merkwürdige Wort "Kletterparkuhr" gelesen. Was soll das sein? Sie meinten doch sicher "Kletterparcours".

  10. 15.

    Hmm, ich bin geneigt an dem Ganzen zwei Seiten zu sehen, die sich manchmal nicht wirklich scharf voneinander trennen lassen.
    Einerseits ist dieser Ort vermutlich nicht der Beste um ein lustiges Foto für den eigenen Facebook-Account aufzunehmen. Der Ort ist ein Ort der Erinnerung an millionenfachen, industrialisierten Mord und an die Opfer dieses Mordens. Das gebietet einen gewissen Respekt.
    Gleichzeitig erinnert dieser Ort aber nicht (nur) an Millionen von Toten, sondern an Millionen von Menschen, Menschen die vielleicht zu Lebzeiten jongliert haben, die sich gesonnt haben und die als Kinder fangen gespielt haben. Er erinnert nicht nur an die Opfer, sondern an die Menschen die zu Opfern gemacht wurden. Und denen kann man durchaus auch dadurch gedenken, dass man diesen Ort mit Leben erfüllt, im Zweifel auch mit Jonglage, mit Musik und mit Lachen. Das kann ggf. mehr Respekt ausdrucken als eine hohle, steife Trauerhaltung und pseudoandächtiges Schweigen.

  11. 14.

    Wo kommt es denn her? Waren Sie schon einmal in einem oder mehreren KZ's? Was haben Sie dabei empfunden? Wenn Sie meine zweite Frage mit einem "Ja" beantworten können und die dritte mit tiefer trauer, dann verbinden Sie doch einmal das mit der FAQ auf der yolocaust Seite:

    "Was darf man nun am Holocaust-Mahnmal und was nicht?"
    Kein Ereignis gleicht dem Holocaust. Wie man sich an einem Mahnmal für die Ermordung von 6 Millionen Menschen zu benehmen hat, ist jedem selbst überlassen.

    Und jetzt nocheinmal: Wo soll diese "Primitive Hetze" herkommen? Und ändert die Herkunft der "Primitiven Hetze" in irgendeiner Art und Weise die Grundaussage der Seite? In Zeiten, in denen es anscheinend wieder Salonfähig wird sich ohne Benimmregeln anderen Menschen gegenüber abwertend zu äußern, wäre ein bisschen mehr Sensibilität angebracht.

  12. 13.

    @Vincent #9: "Eintönige nichtssagenden Blöcke ... Leben hineingebracht"?? Was würdest du dann erst für Dachau oder Bergen-Belsen wünschen? Bunte Wimpel und Diskokugeln?
    Und die Verbindung zu Höcke liegt wohl an seiner JA-Rede und die Verbindung zur AfD kommt wahrscheinlich daher, dass er ein prominentes Mitglied ist. In soweit, hast du Recht, dass "man ja weiß(,) wo es herkommt".

  13. 12.

    "Dieses Projekt widme ich meinem Lieblings-Neonazi, Bernd Höcke."
    Da Herr Höcke nicht lustige Selfies an Ort und Stelle gemacht hat, scheint mir die Widmung ins Leere zu laufen. Im Übrigen finde ich persönlich es komplett fragwürdig, an einem solchen Ort witzig sein zu wollen oder satirische Projekte aufzuziehen. Ich nehme aber einmal an, darüber wird sich keine Partei beschweren und aufregen. (?) Dann doch lieber auf Herrn H. konzentrieren.

  14. 11.

    @Vincent 13:20 : Sie wollen Leben an einen Ort bringen, der als Mahnmal für Millionen Tote errichtet wurde?
    Es geht auch nicht darum Fotos vom Mahnmal zu machen, sondern darum, das Mahnmal als Hintergrundkulisse für irgendwelche akrobatischen oder sonstige "lustige" Aktionen zu missbrauchen.
    Da geht es nicht um Emotionen -höchstens um die Emotion der Belustigung.
    Diese Leute zeigen, das sie null Empathie für das haben, wofür dieses Mahnmal steht.
    Und für die Verbindung zu Höcke und die AfD hat Höcke schließlich selbst gesorgt.
    Ich frage mich: Woher kommen SIE ?

  15. 10.

    Alle Besucher sollten erst durch eine Holocaust-Ausstellung gehen und dann das Mahnmal betreten. Selfies, sonnen Kletterparkuhr und was man da noch alles treibt ist unerträglich. Ein Mahnmal für Millionen von ermordete Menschen wird von gleichgültigen, dummen Menschen verunglimpft.

  16. 9.

    An meinen Lieblinghetzer: Wenn Menschen das Mahnmal besuchen, machen Sie Fotos und gerade bei diesen eintönigen nichtssagenden Blöcken wird gern Leben hineingebracht. Eine dumme Aktion, die Leute wegen ihren Emotionen bloßzustellen. Und dann das Ganze noch mit Höcke und der AfD zu verbinden, ist primitive Hetze. Aber man weiß ja wo es herkommt.

  17. 8.

    Ich möchte solche Spielereien an einem Mahnmal keinesfalls gutheißen. Ich finde es einfach unangebracht, sich an solchen Orten derartig zu benehmen.
    Der Satiriker könnte allerdings vermutlich bald Post vom Anwalt bekommen, denn hier werden sicher Persölichkeitsrechte und die Rechte am eigenen Bild verletzt.
    Die Aktion an sich finde ich vielleicht etwas überspitzt. SIe Herrn Höcke zu widmen, nun ja, der Clown bekommt eigentlich ohnehin schon zu viel Aufmerksamkeit.

  18. 7.

    Ich versuche es nochmal anders auszudrücken: nicht die Selfies sind die Verharmlosung, sondern das Denkmal.

  19. 6.

    Dieses Mahnmal wird durch solche Jugendliche geradezu ins Absurdum gezogen. Ein Mahnmal für die Ermordung von Millionen von Menschen, wird als Kletterparkuhr oder als Kunstbühne missbraucht. Ja es ist ein Missbrauch an diesem Mahnmal.
    Ein Bild inmitten dieses Mahnmales kann ich verstehen, aber einen Handstand oder ein „lustiges“ Foto ist absolut deplatziert.
    Was dieser Künstler jetzt hier gemacht hat, ist genau richtig. Er zeigt auf, was diese Jugendlichen nicht mehr im Blick haben. Das Leid und den Tod, was dieses Mahnmal aussagt. Vielleicht helfen diese Bildermontagen den jeweiligen Menschen über Ihr Verhalten gegenüber Mahnmalen zu überdenken und ich hoffe das die Öffentlichkeit diese Personen ebenso „erzieht“… denn anscheinend hat hier das Elternhaus ein paar Sachen vergessen.

  20. 5.

    Die Selfies sind doch gerade der Beweis dafür, dass der hessische Geschichtslehrer Höcke (wie konnte der eigentlich trotz Radikalenerlass Beamter werden?)Lichtjahre daneben liegt mit seiner Einstufung von wegen "Denkmal der Schande" - das Holocaust-Memorial leistet genau das, was es soll: Die Menschen haben es sich buchstäblich angeeignet, setzen sich damit, mit dem Ort, mit der "Topografie des Terrors" auseinander. Das fängt schon bei den Kindern an (darf man Fangen und Verstecken spielen in einem solchen Irrgarten? Man tut es einfach - das Nachdenken, Bewusstwerden kommt später, aber es wird kommen!). Und das hört bei Jugendlichen, die sich einfach mal entspannt an einen der von der Sonne erwärmten Quader anlehnen, noch lange nicht auf.

    Wie ehrliches Erinnern und Auseinandersetzung auszusehen hat, was akzeptabel ist und was geht oder gar nicht geht, da gibt's an und in der Stelenlandschaft einen permanenten, nicht steuerbaren praktischen Diskurs.

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