Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg

Hells-Angels-Fall – BGH NStZ 2012, 272 (Erlaubnistatumstandsirrtum)

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Erlaubnistatumstandsirrtum; Irrtum; Überschreitung der Notwehr; Rocker; Auftragsmörder; falsche Vorstellung; Polizei; Festnahme; Schusswaffe

Sachverhalt

Der A war zum fraglichen Zeitpunkt ein Teil der Motorradgruppierung "Hells Angels". Aufgrund anhaltend kursierender Gerüchte, dass ein Mitglied der verfeindeten "Bandidos" sich ein weiteres "Abzeichen" auf seiner Kutte dazu verdienen wolle, indem er einen der Hells Angels töte, war A überzeugt, dass ein solcher Angriff bevorstand. Aufgrund verschiedener Vergehen der "Hells Angels" hatten die Strafverfolgungsbehörden einen für das Haus des A erwirkt. Weil er als gefährlich galt und mit behördlicher Erlaubnis über eine Schusswaffe verfügte, wurde beschlossen, mit einem Spezialeinsatzkommando nachts in die Wohnung des A einzudringen.

A, der mitsamt seiner Verlobten im Obergeschoss schlief, wurde durch das Aufbrechen der Türverriegelungen geweckt. Auch nachdem er das Licht in Treppenhaus und Flur angeschaltet hatte, gaben sich die Beamten nicht als solche zu erkennen. Durch zwei Ornamentgläser in der Haustür konnte er lediglich schemenhaft Personen erkennen, ging aber davon aus, es handele sich um eine Gruppe der "Bandidos" die ihn als Opfer des geplanten Mordes ausgesucht hatten. Er verschanzte sich im Flur und forderte die Personen auf, zu verschwinden. Dies wurde von den draußen wartenden Beamten jedoch nicht wahrgenommen. Daraufhin feuerte A zwei Schüsse durch die verschlossene Tür in die Richtung, in der er die schemenhaften Gestalten zu erkennen glaubte, ab. Der zweite Schuss traf den Beamten B tödlich, was A auch billigend in Kauf genommen hatte.

Nachdem sich die Polizei zu erkennen gegeben hatte, ließ sich A widerstandslos festnehmen.

Entscheidung

In diesem Fall hatte sich der BGH mit der Konstellation des sog. Erlaubnistatumstandsirrtums zu beschäftigen (strittig, zur rechtlichen Bewertung s. das Problemfeld hier). Er nahm an, dass in analoger Anwendung des § 16 I die sog. Vorsatzschuld entfalle und damit lediglich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht komme.

In Betracht kam zunächst eine Strafbarkeit des A wegen Totschlags an B gem. § 212, indem er durch die geschlossene Tür feuerte. Da es sich um einen rechtmäßigen Polizeieinsatz handelte, scheiden eine Rechtfertigung gem. § 32 bzw. ein rechtfertigender Notstand gem. § 34 mangels rechtswidrigen Angriffs bzw. Gefahr aus.

Der BGH musste somit entscheiden wie es sich auswirkt, dass sich A tatsächlich eine Situation vorstellte, die - würde sie vorliegen - für ihn eine Rechtfertigung seiner Tat bedeuten würden. Der BGH nahm an, dass dieser sog. Erlaubnistatumstandsirrtum gem. § 16 Abs. 1 S. 1 analog zum Ausschluss der Vorsatzschuld führe. Dazu müsste, wenn die Vorstellung des A der Realität entspräche, ein Rechtfertigungsgrund einschlägig sein. A erwartete, dass eine Gruppe von "Bandidos" kam, um ihn zu töten. Er ging davon aus, dass ein rechtswidriger Angriff unmittelbar bevorstand. Die konkrete Notwehrhandlung - das Schießen durch die verschlossene Tür - wäre auch erforderlich gewesen sein. A war sich sicher, dass mehrere bewaffnete und gut ausgerüstete Angreifer kurz davor standen, die Tür aufzubrechen und rechnete auch mit Beschuss durch die Tür. Insbesondere muss A in diesem Fall bei tödlichem Waffeneinsatz auch keinen Warnschuss abgeben, da der Verteidiger sich nicht auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang einlassen muss. Ein Warnschuss als milderes Mittel wäre außerdem aufgrund der angenommenen Umstände schon nicht geeignet, gewesen den Angriff zu beenden. Eine hypothetisch erforderliche Notwehrhandlung lag somit vor.

Dies führe - so der BGH - in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 1 S. 1 zum Ausschluss der sog. Vorsatzschuld (BGH Rn. 21). (zur näheren Erklärung s. das Problemfeld zum Erlaubnistatumstandsirrtum)

Auch eine damit immer noch mögliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gem. § 222 lehnt der BGH ab, da A nur dann Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre, wenn er seinen Irrtum über die Identität und Absicht der Angreifer hätte vermeiden können. Dies sei jedoch ausgeschlossen gewesen, da der A aufgrund der Vorgeschichte davon ausgehen konnte, dass ein Angriff auf sein Leben durch ein Mitglied der "Bandidos" bevorstand und die Polizisten sich nach einschalten des Lichts nicht zu erkennen gaben. A hatte folglich keine Möglichkeit zu erkennen, dass es sich bei den Angreifern tatsächlich um Polizeibeamte handelte (BGH Rn. 25).

16.02.2020

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