Microlearning (eLearningGuild Online Summit)

Microlearning, das Gestalten und Bereitstellen von kleinsten Lerneinheiten, ist bereits seit einigen Jahren ein Thema für Learning Professionals. Aktuell scheint das Thema aber wieder einen Schub zu bekommen. Vor diesem Hintergrund hat die ELearning Guild letzte Woche einen Online Summit zu Microlearning durchgeführt. Wiederum 8 Sessions an zwei Halbtagen (Vormittags gemäss Pacific Time in den USA, Abends ab 19.00 Uhr in unserer Zeitzone). Einige bekannte Namen waren dabei, u.a. Michael Allen, Bob Mosher oder JD Dillon.

Wiederkehrende Themen der Sessions an diesem Online Summit waren zum einen die Abgrenzung von Microlearning und Performance Support, zum anderen das Zusammenspiel von Microlearning mit anderen Formen der Wissens- und Kompetenzentwicklung.

In der ersten Session führte Ray Jimenez (Vignettes Learning) mit in das Thema Microlearning ein und lenkte den Blick auf eine spezifische Form davon, nämlich „Micro-Actions„.

Ein verbreitetes Missverständnis, so Jimenez, besteht darin, dass es bei Microlearning lediglich um kleinere Lerneinheiten geht. Eine wichtige Differenzierung besteht aus seiner Sicht darin, dass Microlearning auf die „reale Arbeitswelt“ bezogen ist und nicht auf eine „rekonstruierte Lernwelt“ (Lernszenarien, Simulationen, Rollenspiele, etc.). Bei Microlearning geht es aus seiner Sicht um einen kontinuierlichen Prozess des Problemlösens im Arbeitsfeld. Dort sind wir ständig mit kleinen Problemsituationen konfrontiert, für die wir Lösungen suchen, finden (z.B. in Form von Tipps, Checklisten oder Merkkarten), erproben, überprüfen und dann in unser Handlungsrepertoire integrieren. Diese kleinste Einheiten von Microlearning bezeichnet er als „Micro-Actions“.

Microlearning is the use of answers and solutions to help workers and learners – who are in a constant diagnostic process – fix, solve, and improve work. It [Microlearning, C.M.] is low effort, easy, fast, quick to apply, useful. It is rich-in-context and ready-to-use.

 

Abbildung 1: Micro-Actions als kleinste Form von Microlearning (Bildquelle: Jimenez / Vignettes Learning)

 

Jimenez erläuterte dies an einem Beispiel aus der Landwirtschaft. Dort sind häufig Systeme für Tröpfchenbewässerung im Einsatz, bei denen es zu sehr vielen verschiedenen Formen von Schäden kommen kann. Ein formales Training für die Problembehebung macht wenig Sinn bzw. ist für Landwirte nicht attraktiv, da dies kaum je ausreichend zielgenau für ihre spezifische Problemsituation sein kann. Im Rahmen eines Projekts hat Jimenez mit seiner Firma Vignettes Learning eine Plattform aufgesetzt, auf der die eingebundenen Landwirte – neben bereits eingepflegten Inhalten – weitere Fotos zu Problemsituationen und Lösungen hinzufügen können. Auf diese Weise kann ein „river of ideas“ zu Problemsituationen mit Anlagen zur Tröpfchenbewässerung und zugehörigen Lösungen entstehen. Für Jimenez ist der damit verbundene Austausch zwischen den Landwirten / Nutzern / Lernern zentral für deren Lernerfolg.

 

Abbildung 2: Bildschirmfoto zu einer Micro-Learning Lösung zum Thema Tröpfchenbewässerung (Bildquelle: Jimenez / Vignettes Learning)

 

In der zweiten Session berichtet Dan Belhassen (Neovation Learning Solutions) über eine Microlearning-Lösung für ein Software-Unternehmen mit ca. 250 Mitarbeitenden und 12 Standorten in Nordamerika. Hintergrund für die Entwicklung dieser Lösung waren die hohen regulatorischen Anforderungen an verpflichtende Trainings zu Sicherheitsaspekten für die Mitarbeitenden. Die neu entwickelte Microlearning-Lösung verfolgte vier Ziele:

  • Den Mitarbeitenden nicht länger „hinterherlaufen“, um sie zum Absolvieren der Pflichtnachweise zu bewegen.
  • Den Wissensstand der Mitarbeitenden und die Nachhaltigkeit dieses Wissens demonstrieren.
  • Das unterschiedliche Vorwissen der Mitarbeitenden berücksichtigen und personalisierte Lernpfade ermöglichen.
  • Inhalte schnell und einfach aktualisieren.

Im Unterschied zu den vorherigen jährlichen Trainingskampagnen (jeweils ca. einstündige (Auffrischungs-)Kurse mit anschliessenden Tests, wobei immer nur ein Ausschnitt aus allen relevanten Themen behandelt und überprüft werde konnte), wurden kleinere Themeneinheiten gebildet, die dann über eine Lernkarten-basierte mobile Lernlösung abgebildet wurden. Die Mitarbeitenden müssen jetzt zu jeder Themeneinheit mehrere Aktivitäten (Lernkarten) absolvieren, um „mastery“ zu demonstrieren. Dies erfolgt in täglichen Kleinstdosierungen von 2-3 Minuten, wobei in den ersten Wochen mehr Zeit eingesetzt wird, um das von der Regulierungsbehörde geforderte „Mastery-Level“ von 50% für Mitarbeitende schnell zu erreichen. Ziel ist, dass die Mitarbeitenden die sicherheitsrelevanten Themen zu 100% beherrschen. Belhassen zufolge wurden mit dieser Lösung alle vier oben formulierten Ziele erreicht.

 

Abbildung 3: Gegenüberstellung Kurs mit Test und Lernkarten-basierter Lernlösung (Bildquelle: Belhassen / Neovation)

 

Auf die Session mit Michael Allen (Allen Interactions), einem Pionier der E-Learning Szene (Mitarbeit am PLATO-Projekt bei Control Data Corporation in den 1970er Jahren, Entwickler der Authorware-Autorenumgebung ab 1987, Autor bekannter Bücher zu eLearning-Design) war ich sehr gespannt. Leider war die Session dann für meinen Geschmack doch nicht so fokussiert und ergiebig.

Allen formulierte eingangs, was er in Abgrenzung zu Performance Support als Microlearning versteht:

  • „if it’s time to perform, it’s too late for learning“ – hier kommt also Performance support zum Tragen;
  • „learning is when it sticks – so you don’t need batteries [performance aids]“ – Lernen versetzt uns in die Lage, (neue) Handlungssituationen auch OHNE Hilfestellungen bewältigen zu können.

Anschliessend formulierte er noch einmal zentrale Gestaltungsprinzipien für Microlearning:

  • kurz (ein Inhalt bzw. ein Thema)
  • kann unterwegs bearbeitet werden
  • bei Bedarf sofort verfügbar

Auch Allen hatte ein Fallbeispiel aus dem eigenen Fundus dabei: die Umsetzung einer Micro-Trainings-Kampagne für Mary Kay University. Hier stellte er u.a. die Präsentationsebene der Inhalte (ein Karusell ähnlich wie z.B. bei der Musikbibliothek von iTunes) heraus.

 

Abbildung 4: Mikrolearning-Portal für mobile Endgeräte und Ausschnitte aus Inhalten (Bildquelle: Allen Interactions / Mary Kay)

 

Direkt im Anschluss folgte die Session mit Bob Mosher zum Thema „Microlearning is much more than small training“. Mosher ist als Spezialist für Performance-Support bekannt (vgl. sein Buch mit Conrad Gottfredson zum Thema) und er plädierte – nicht überraschend – dafür, Microlearning-Inhalte auf ganz spezifische Anwendungssituationen hin zu gestalten.

Interessant fand ich den Hinweis von Mosher, bei der Konzeption von Lern- bzw. Leistungsunterstützungsumgebungen von folgender Daumenregel auszugehen:

  • Wenn die Tragweite von Fehlleistungen im Arbeitsfeld eher gering ist, dann ist Performance Support angezeigt.
  • Wenn aber Tragweite von Fehlleistungen im Arbeitsfeld hoch ist, dann ist es sinnvoll, Performance Support (hier verstanden als Microlearning) mit umfangreicheren, didaktisch gestalteten Lernumgebungen zu kombinieren.

 

Abbildung 5: Einsatzbereiche von Performance Support (Bildquelle: Apply synergies)

 

Als weitere Orientierungshilfe für die Entwicklung von Performance Support-Lösungen zeigte er abschliessend noch folgende schematische Darstellung (vgl. unten). Leitend ist dabei die Maxime, nur gerade so viel Unterstützung anzubieten, wie es zur Bewältigung der Handlungserfordernisse braucht: von sehr schnell (2-3 Klicks) erreichbaren kleinen Hilfestellungen über weiter entfernte Nachschlage-Materialien, Lernmodule bis hin zu sozialen Netzwerken. Didaktisch aufbereitete Lernmaterialien bzw. Lernumgebungen werden in dieser Sicht zu einer erweiterten Form der Leistungsunterstützung am Arbeitsplatz.

 

Abbildung 6: Design-Pyramide für Performance Support-Umgebungen (Bildquelle: Apply synergies)

 

Am zweiten Tag stellte Ryan Seratt eine Umsetzung von Microlearning im Bereich des Gesundheitswesens vor. Es ging darum, die Beschäftigten eines Klinikverbunds auf einen grossen Versionssprung einer Branchen-Software vorzubereiten. Auch hier wurde – ähnlich wie von Mosher – eine Unterscheidung verschiedener Typen von Lernerfordernissen vorgenommen, in diesem Fall bezogen auf verschiedene Typen von Änderungen in der Software mit unterschiedlichen Tragweiten.

Eine zentrale Leistung des Projektteams (in das Vertreter der verschiedenen Anwendergruppen eingebunden waren) bestand darin, zunächst die zahlreichen Neuerungen und Veränderungen in der Software in drei Kategorien zu sortieren:

  • Veränderungen die man selbst im Verlauf der Nutzung der neuen Software-Version entdecken kann, die aber nicht weiter thematisiert werden müssen;
  • Veränderungen die leicht erläutert werden können
  • Veränderungen die das Einüben von neuen Handlungen / Abläufen erfordern und / oder die Sicherheit von Patienten betreffen

Auf der Grundlage dieser Kategorisierung wurden dann Inhalte entwickelt:

  • Video-basierte Microlearning-Inhalte (Umfang pro Video ca. 2-3 Minuten)
  • Lerneinheiten für Trainer-geführtes Lernen im Kursraum

 

Abbildung 6: Typen von Änderungen und dazu passende Lernformate (Bildquelle: Ryan Serratt Consulting)

 

Zum Abschluss stellte Seratt heraus, dass durch die sorgfältige Differenzierung zwischen Informationserfordernissen (Video-basiertes Microlearning) und Lernerfordernissen (Trainer-geführtes Lernen) der erforderliche Zeitaufwand für die Weiterbildung der betroffenen Mitarbeitenden um etwa 75% reduziert konnte und dass dies von der Grössenordnung her den Ergebnissen von Studien zum Thema entsprechen würde.

Insgesamt fand ich den Online-Summit wiederum gut und gelungen, auch wenn die Sessions des zweiten Tages aus meiner Sicht weniger gelungen waren als die des ersten Tages. Dies war meines Wissens der vierte oder fünfte Online Summit und man merkt, dass die Organisatoren inzwischen viel Erfahrung mit diesem Format haben und es routiniert umsetzen. Aber auch diese Erfahrung schützt sie nicht vor technischen Problemen, wie sie beispielsweise mit einer schlechten Tonverbindung oder einem nicht richtig justierten Mikrofon auf Seiten der Referenten auftreten können.


Hier noch Links zu unseren Berichten zu früheren Online Summits der eLearningGuild:

Kommentar verfassen