Passanten gehen durch die Innenstadt von Kassel. Die Zahl der neuen Corona-Infektionen steigt in der Stadt weiter deutlich an.

Kassel ist jetzt auch Corona-Risikogebiet - mit der hessenweit höchsten Corona-Inzidenz. In einer Flüchtlingsunterkunft waren 112 Personen positiv auf das Virus getestet worden. Die zuständigen Ärzte sehen das Problem hausgemacht.

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hessenschau vom 15.10.2020
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Kassel ist am Donnerstag zum Corona-Risikogebiet erklärt worden. Die 7-Tage-Inzidenz lag am Morgen bei 97,5. Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) sagte dem hr, dass damit das Beherbergungsverbot auch für Kasseler gilt, wenn sie in eine Region fahren, wo Bewohner aus Risikogebieten nicht mehr übernachten dürfen. Außerdem dürften sich im öffentlichen Raum nicht mehr als 25 Personen in einer Gruppe aufhalten. Für Privaträume empfiehlt die Stadt eine Begrenzung von zehn Personen. "Ich hoffe, wir können durch gezielte Maßnahen den Lockdown abwenden", sagte Geselle.

Auslöser für die hohen Fallzahlen war ein Corona-Ausbruch in einer Einrichtung für Flüchtlinge. Am Mittwoch wurde bekannt, dass 112 Flüchtlinge positiv getestet wurden, ein Drittel der Bewohner der Unterkunft. Seit Freitag vergangener Woche stehen dort 301 Bewohner unter Quarantäne. Eine freiwilliger Helfer hatte offenbar unbewusst das Virus eingeschleppt.

Mit einer Inzidenz von über 90 hatte Kassel über Nacht einen höheren Wert als alle anderen hessischen Gemeinden. Am Dienstag hatte der Wert noch bei 33,7 gelegen. Die fünfte Warnstufe des Präventions- und Eskalationskonzeptes des Landes greift ab 75.

Kritik von Ärzten an Zuständen in der Erstaufnahmeeinrichtung

Für die Erstaufnahmeeinrichtung ist das Regierungspräsidium Gießen zuständig, das nun vom Ärzteteam vor Ort scharf kritisiert wird: Bereits Anfang Oktober, als die ersten Infektionen in der Einrichtung bekannt wurden, hätten die Ärzte eine schnellstmögliche Isolierung der Betroffenen gefordert, sagte der Leiter des Ärzteteams, Helmuth Greger, dem hr.

Doch die Zustände vor Ort machten das unmöglich. Abstandsregeln und die Maskenpflicht seien extrem schwierig durchzuführen. "Und die Isolierungsbedingungen entsprechen nicht den Qualitätsstandards, wie wir es erwartet haben", sagte Greger. Nach Ansicht der Ärzte hätten die infizierten Bewohner an einem anderen Ort untergebracht werden müssen, um die anderen Bewohner zu schützen. Das Regierungspräsidium habe auf diese Forderung nicht geantwortet.

Eine Verlegung sei nicht möglich gewesen, sagte Manfred Becker, Sprecher des Regierungspräsidiums Gießen am Mittwoch dem hr. Derzeit würden die infizierten Bewohner auf ihren Zimmern bleiben, bis sie in einen isolierten Bereich der Einrichtung verlegt werden können. Bisher hätten die Betroffenen milde Verläufe der Krankheit.

Waren Missstände bekannt?

Die Missstände seien dem Regierungspräsidium Gießen im Vorfeld bekannt gewesen. "Wir haben gemahnt: Wehe, wenn so etwas passiert", so Greger. Für Ärzte und Bewohner hat der Ausbruch nun Konsequenzen. Die Mediziner können nur noch in Notfällen in die Einrichtung. Ansonsten bleibe eine Telefonsprechstunde - wie die allerdings mit Sprachbarrieren funktionieren soll, sei unklar.

Kassel ist die fünfte Region in Hessen, die die als kritisch geltende Inzidenz von 50 überschreitet. Aktuell liegen auch die Städte Frankfurt (70,9) und Offenbach (86,7) sowie die Kreise Groß-Gerau (61,6) und Main-Taunus (53,6) über dem Wert. Ab einem Wert von 75 greift die fünfte Warnstufe des Präventions- und Eskalationskonzeptes. Dann übernimmt der Planungsstab des hessischen Sozialministeriums die Steuerung der medizinischen Lage.

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 15.10.2020, 19.30 Uhr