von elb, 11.08.2009

Drei Wahlplakate, auf denen weibliche Körperteile eine große Rolle spielen, werden heiß diskutiert derzeit. Zwei davon sind für die Bundestagswahl: Vera Lengsfeld (CDU) wirbt mit Dekolleté und “Wir haben mehr zu bieten”, Halina Wawzyniak (Linke) mit “Arsch in der Hose” (Kommentare auf Mädchenmannschaft und taz.de). Das dritte aus dem NRW-Kommunalwahlkampf – ein Plakat der Grünen Kaarst, gefunden auf Der Schwarze Blog, wo auch die Protestaktion koordiniert wird – zeigt “den einzigen Grund, Schwarz zu wählen”. Um dieses dritte Plakatmotiv soll es vornehmlich gehen.

Man weiß gar nicht recht, was schlimmer ist: das Plakat oder die Rechtfertigung dazu. Die ist nämlich mehr als nur ein bisschen peinlich.

Fangen wir doch gleich mal an:

[...] Entgegen einiger Behauptungen Einzelner soll durch Wahl eines dunkelhäutigen Gesäßes keinesfalls der Eindruck entstehen, mit rassistischen Motiven zu spielen, durch Wahl eines weiblichen Gesäßes keinesfalls ein sexistisches Motiv unterstellt werden. Es handelt sich um die Darstellung zweier Frauen, die sich umarmen.[...]

Die Kritikpunkte werden erst einmal zu “einigen Behauptungen Einzelner” degradiert. Dann wird der Eindruck erweckt, es wäre nur kritisierbar, wenn die Auftraggeber_innen des Plakatmotivs den Eindruck, mit rassistischen und sexistischen Motiven zu “spielen”, absichtlich hätten erwecken wollen. Ist, was nicht böse gemeint war, automatisch unproblematisch? Ich denke nicht. Und: eine “Darstellung zweier Frauen, die sich umarmen” kann durchaus sexistisch und/oder rassistisch sein (muss aber nicht). Abgesehen davon, dass in der Darstellung kein gegenseitiges Umarmen zu sehen ist, sondern das nackte Hinterteil eines Schwarzen Menschen, auf dem weiße Hände mit lackierten Fingernägeln platziert sind – die sehen wiederum so aus, als griffen sie in den Po. In Kombination mit dem Slogan “Der einzige Grund, Schwarz zu wählen” drängen sich folgende Interpretationen dieses Grundes auf: dieses spezielle Hinterteil (gehört es einer CDU-Parteibuch-Inhaberin?); dass es schön ist, Schwarze Frauen zu umarmen; dass Schwarze Menschen besonders erotisch sind. Für diese Assoziationen ist der Grüne Kommunalverband Kaarst nicht allein verantwortlich. Aber er nutzt sie.

Gerade die Grünen stehen für eine Politik, die sich durch Toleranz, Weltoffenheit und Gleichberechtigung auszeichnet. Themen wie Integration und auch Frauenpolitik sind Schwerpunkt Grüner Arbeit. Die Vorwürfe, bei dem Plakatmotiv handele es sich um ein rassistisches oder sexistisches, sind daher nicht haltbar. Sollte dieser Eindruck beim Betrachter entstehen, kann dem nur widersprochen werden und auf Grüne Grundsätze verwiesen werden.

Das “Argument” lautet: ich bin keine Rassistin, das steht in meinen Grundsätzen, also kann, was ich gesagt habe, unter keinen Umständen rassistisch sein.

Dass das ein Fehlschluss ist, dürfte klar sein. Hierzu verweise ich auch gern auf das neulich schon verlinkte Video von Jay Smooth “How to tell someone they sound racist“. Darin wird diese Strategie, Kritik abzuwehren, gut beschrieben, ebenso wie ihre verheerenden Effekte. Jay bringt auch auf den Punkt, warum das nicht weiterhilft:

When somebody picks my pocket, I’m not gonna be chasing him down to find out whether he feels like he’s a thief deep down in his heart, I’m gonna be chasing him down so I can get my wallet back. I don’t care what he is, but I need to hold him accountable for what he did. [...] focus on the part that matters: holding each person accountable for the impact of their words and actions.

Der Verweis auf die Grundsätze erinnert mich an einen Artikel von Sarah Ahmed: “The Non-Performativity of Anti-Racism”. Darin geht es um institutionelle Sprechakte, insbesondere Verpflichtungen zu Gleichbehandlung, Antirassismus und Diversity. Die Selbstverpflichtung kann – kurz zusammengefasst – durch ihre Nicht-Performativität zwei widersprüchliche Effekte haben. Sie kann (als Quelle von “institutional pride”) die Kritik an Rassismus in der Institution blockieren (so fungieren in diesem Zitat die Grünen Grundsätze). Sie ermöglicht aber auch, die Lücke zwischen Verpflichtung und Praxis zu thematisieren (wie es Kritiker_innen des Plakats tun). Beispielsweise wies ein Kommentar im “Schwarzen Blog” darauf hin, dass zumindest Teile der Grünen eigentlich über sexistische und rassistische Werbung – und darüber, dass sie nicht lustig ist – bescheid wissen.

Aber übergeben wir das Wort wieder den Grünen aus Kaarst. Nicht nur ist das Plakat nicht rassistisch, sondern:

Im Gegenteil könnte dieses Motiv zu Recht als „antirassistisch“ bezeichnet werden, entsprechende Äußerungen erhielten wir als Reaktion auch von Menschen mit Migrationshintergrund.

Und der Dresdner Erste Bürgermeister hat eine koreanische Frau, ergo ist Dresden weltoffen. Etc. pp.

Aber eigentlich geht es um etwas anderes:

Wir sehen das Plakatmotiv „Es gibt nur einen Grund Schwarz zu wählen“ durchaus als provozierendes Element im Wahlkampf. Es soll dabei keineswegs Gefühle verletzen, sondern Menschen auf Grüne Politik, auf Grüne Inhalte und das Wahlziel („G51“) hinweisen, soll wachrütteln und sich bewusst von Plakaten anderer Parteien abgrenzen, die im Wesentlichen mit Standardmotiven und altbekannten Texten werben.

Grüne Politik steht neben fundierten Inhalten auch für freche Ideen, Innovationen und mitunter unkonventionelle Wahlkampfmethoden. Das Plakat stellt einen Beitrag dazu dar.

Nur leider sind derlei “provozierende Elemente” in der Werbung nicht unkonventionell. Und das mit dem Wachrütteln? Scheint zumindest teilweise nach hinten loszugehen.

Update: auf Der Schwarze Blog sind einige Updates, Stellungnahmen und mittlerweile 80 Kommentare zu lesen. Anscheinend sehen sich die Grünen Kaarst nun als Opfer von (Selbst-)”Zensur”, die Argumente bleiben dieselben. Realsatire, bei der mir das Lachen im Hals stecken bleibt.

Der Beitrag wurde am Dienstag, den 11. August 2009 von elb veröffentlicht. Die Kommentare zu diesem Eintrag lassen sich durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können den Beitrag kommentieren, oder einen Trackback auf ihrer Seite einrichten. Der Beitrag wurde folgenden Themen zugeordnet: , , , .

.: Kommentare

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  1. Kaarst - Nicht nur die Plakate sind daneben | Zeit für Grün

    20.08.2009 | 13:37

    [...] Gute im Schlechten ist, dass dieses Plakat die Debatte um die verschiedenen Formen und vor allem die Vermeidung von Rassismus und Sexismus erneuert hat. In diesem Sinne werden [...]

  2. Kaarst - Blog - 11 Aug 2009

    21.09.2009 | 08:08

    [...] .: Diffusionen.de | Wahlkampfkatastrophen? Alltagsrassismus und … [...]

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