Wie schön weiß ich bin
Dolf Verroen
Peter Hammer Verlag 2005
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• Altersempfehlung: Ab 12 Jahren
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Zusendung und Rezension von Afrasan Adamawan

Rezension über das Kinderbuch „Wie schön weiß ich bin“ (Dolf Verroen – 2005 – 68 Seiten)

„Wie schön weiß ich bin“ – Was will uns dieser befremdliche Titel sagen? Leitet er eine Geschichte ein, in der es darum geht, den Kolonialismus wieder aufleben zu lassen und Weißsein zur Norm und zum Privileg zu erklären? Ist der Titel ironisch gemeint und birgt das Buch den Aufruf sich gegen Rassismus einzusetzen? Oder weist der Titel direkt auf eine rassistische Lektüre hin?

In dem Kinderbuch(!!!!) „Wie schön weiß ich bin“ erzählt ein Weißes privilegiertes Mädchen Maria aus ihrem Leben – vermutlich zur Zeit der niederländischen Kolonialherrschaft in Surinam. Die Geschichte beginnt mit ihrem 12. Geburtstag, zu dem sie einen Sklaven und eine Peitsche geschenkt bekommt. In ihrem ansonsten eigentümlich langweiligen Leben nutzt sie ihre neu erworbene Macht und die Dienste des Sklaven selbstverständlich aus. Den im Buch beschriebenen Schwarzen Menschen wird keine eigene Perspektive zugestanden – sie kommen lediglich als Sklaven vor, denen Humorlosigkeit (S.12), Einfältigkeit (S.12), Dummheit (S.14) und Faulheit (S.32) zugeschrieben wird. Ferner heißt es im Text: „Afrika ist für Sklaven“ (S.16 ). Am Ende der Geschichte bekommt die Sklavin des Mädchens Maria ein Weißes Kind – offensichtlich Resultat einer Vergewaltigung durch Marias Schwarm Lukas (S. 59f.). Maria ist zornig und eifersüchtig, während die Mutter relativiert: „so ist das Leben“. Marias Sklaven machen Maria also nicht glücklich in diesem Buch. Sie werden folglich immer wieder ersetzt und verkauft. Am Ende hat Maria anstelle eines Sklaven eine Weiße Gouvernante – dazu sagt die Mutter: „Ein paar Jahre mit Fräulein Groenik, dann darfst du in ein vornehmes Internat“ – und sieht einer Reise in die Schweiz entgegen.

Welche Auseinandersetzung soll nun so ein Buch bei Jugendlichen anstoßen? Wie wird es wohl von Schwarzen Jugendlichen rezipiert? Und warum bekommt so ein Buch den Jugendliteraturpreis???

In der Jurybegründung für die Auszeichnung mit dem Jugendliteraturpreis heißt es: “Dass ihr eigenes Leben auf angemaßter Überlegenheit, Grausamkeit und Zynismus gründet, kommt ihr gar nicht erst in den Sinn. Die unreflektierte Selbstverständlichkeit, mit der das Mädchen das rassistische Gewaltverhältnis wahrnimmt und schildert, irritiert und provoziert den Leser und zwingt ihn zum Nachdenken.”
Genau dieses Nachdenken aber reicht nicht aus. Ein Buch, dass nur „irritiert“ ist absolut nicht akzeptabel im Zusammenhang mit der Aufarbeitung und Bekämpfung von Rassismus und Kolonialismus.

Durch die Etablierung der Weißen Erzählperspektive und der Repräsentation einer rassistischen Ikonographie in Form des Stereotyps „schwarzer Untermenschen“ wird in dem Buch eine doppelte Geste der Unterwerfung und Kolonialisierung wiederholt. Und damit nicht genug: Eng verwoben mit den rassistischen sind sexualisierte Bilder und sexistische Konstruktionen: So beschäftigt sich das Weiße Mädchen beständig mit ihrem nicht vorhandenen Busen und die Schwarze Sklavin hat riesige Brüste (S.58). Von weiteren Beispielen möchten wir hier absehen.

Auch im Nachwort ist kein einziger Satz zu finden, der Kolonialismus, Rassismus und Sexismus anprangert und eindeutig zur Abschaffung dieser Strukturen aufruft – im Gegenteil. Dem Leser wird folgende Einsicht des Autoren mitgeteilt: „Ich lebe in einem Land, das seinen bis heute gewahrten Wohlstand zu großen Teilen dem Sklavenhandel verdankt (S67)“. Diese „Einsicht“ führt dann im letzten Satz des Nachwortes zu der ungeheuerlichen Schlussfolgerung: “Geschichte lehrt dich, woher du kommst, und recht verstanden auch, wohin es mit dir gehen soll.“ (S.68)

Andere kritische Stimmen haben die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, junge Leser_innen könnten sich mit der Kolonialen Position von Maria identifizieren:

  • Was aber tun, wenn junge Leserinnen sich mit Maria identifizieren, in ihr ein beneidenswertes Luxusgeschöpf sehen und sich einen Sklaven wünschen?“ (Zeit Redakteurin Birgit Dankert)
  • „Die Lehren der von Dolf Verroen vorgestellten Geschichte verstehe ich so: Wir wachsen in Zusammenhängen heran, für die wir keine Verantwortung haben, die wir nicht verändern können. Als Spielbälle “einer großen Historie”. Wir sind nicht in der Lage, aus dem Kreis gegenseitiger Verletzungen und Kränkungen auszubrechen. Wir werden von unserer Hautfarbe, unserer Herkunft bestimmt, und es gibt keine Chance, einander als Individuen zu begegnen. Diese fatale Botschaft und die oben aufgezeigten rassistischen Klischees will ich nicht unwidersprochen hinnehmen.“ (Heike Brandt – Diplompädagogin und Autorin)

Wenn also ein Kind dieses Buch liest, besteht nicht nur die Gefahr einer rassistischen und Vorurteile bestärkenden Lesart, sondern auch die, dass das Buch verstörend wirkt. Eine Aufarbeitung dieses prekären Buches ist insbesondere für Kinder und Jugendliche überhaupt nur durch Sekundärliteratur und pädagogische Arbeit möglich.

Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass eine fundierte Auseinandersetzung mit der vergangenen und gegenwärtigen Kolonialisierung und dem aus ihr hervorgehenden Gedankengut erfolgen MUSS; jedoch ist es sicherlich nicht sinnvoll, eine solche Auseinandersetzung mit einer ausschließlich aus den Perspektiven der Unterdrücker erzählten Geschichte anzustoßen. Warum wird eigentlich nicht das Buch eines afrikanischen Schriftstellers zu diesem Thema mit einem Literaturpreis ausgezeichnet? Warum steht nicht das Buch einer Schwarzen Autor_in an dieser Stelle in der Bücherhalle?? Und was macht Dolf Verroen mit dem Geld, das er mit den Kolonialbildern verdient? Investiert er das Geld in Afrika für Schwarze Menschen, oder wiederholt sich auch hier die Geschichte der Ausbeutung?

In der Kolonialzeit haben Weiße Kinder den Alltag von Rassismus, Sexismus, Mord und Vergewaltigung regelmäßig und unverzerrt mitbekommen, aber das allein hat auch nicht zum Nachdenken und zu politischen Veränderungen geführt. Veränderungen kamen durch Aufstände und offene Kritik zustande – Kritik, die für die Kritiker nicht selten den Tod bedeuteten. Offene Kritik und Wegweiser für die Kinder fehlen in diesem Buch jedoch gänzlich.

Summa summarum: Die im Buch auftretenden Themen sind sehr wichtig, und jede Gelegenheit diese Themen ernsthaft zu besprechen sollte genutzt werden – sowohl mit Kindern und Jugendlichen als auch mit Erwachsenen. Ohne pädagogische und sachliche Begleitung, z.B. durch Eltern oder Lehrer, befördert dieses Buch allerdings eine rassistische und sexistische Lesart und kann im Zweifel als unterschwellige Aufforderung verstanden werden, koloniale Formen von Rassismus und Patriarchat wieder aufleben zu lassen – und zwar ganz legal als „harmloses“ Kinderbuch. Das ist ein Skandal! Dieses Buch darf auf keinen Fall als Kinderbuch bezeichnet, verliehen und verkauft werden. Wer dies tut, zieht den Verdacht auf sich, Ausgrenzung und Diskriminierung zu befördern.

Wir fordern daher alle Buchläden und Bücherhallen dazu auf, dieses Buch aus politischen Gründen sofort aus ihrem Sortiment zu nehmen und es durch ein Kinderbuch zu ersetzen, welches eindeutig und unmissverständlich antirassistisch ist.

Hamburg – Juli 2010

Afrasan Adamawan – Philosoph

Bettina Kleiner – Querdenkerin