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"Gut gemacht – für eine Frau"

Am 25. April ist Girls' Day: Mädchen können in technisch-naturwissenschaftliche und handwerkliche Berufe hineinschnuppern – wo Frauen immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Die Branche der erneuerbaren Energien ist keine Ausnahme. Tauchen Frauen dort nur leicht bekleidet in Werbeheften für Holzpellet-Kessel auf? Ein Lagebericht.

Von Daniela Becker

Babette Hebenstreit wollte schon immer wissen, warum die Welt so funktioniert, wie sie funktioniert. Deshalb war für sie auch immer schon klar, dass sie in einem naturwissenschaftlichen Beruf arbeiten will. Dass sie schließlich die technische Physik gewählt hat, lag auch an ihren Vater, der ebenfalls Physiker ist. Hebenstreit ging es neben der Frage nach dem "Warum, wieso?" aber auch um einen Sinn, den ihre Arbeit haben soll. So kam sie zu den erneuerbaren Energien.

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Babette Hebenstreits Formel: Physik + Nachhaltigkeit = Bioenergie. (Foto: Daniela Becker)

Seit 2001 arbeitet Hebenstreit im niederösterreichischen Wieselburg für das Biomasse-Kompetenzzentrum Bioenergy 2020+, das für Industriepartner forscht und entwickelt. Sie modelliert mithilfe von Rechenprogrammen Energie- und Stoffbilanzen für Heizkessel. Ihr Ziel: Die Realität besser abzubilden, um den Nutzungsgrad der Kessel zu verbessern. Denn die meisten Prüftests für Heizkessel betrachten nur einen Normpunkt, während in der Realität die Last ständig variiert. Diese Differenz zwischen den Prüfergebnissen und dem realen Jahresnutzungsgrad erforscht Babette Hebenstreit: "Ich betrachte zum Beispiel", erklärt sie, "wie der Verbrennungsvorgang bei einer bestimmten Temperatur abläuft, und versuche die Wärmeübergänge zu optimieren."

Der Frauenanteil in der Erneuerbaren-Branche ist ernüchternd

Dazu benötigt sie auch die Forschungsergebnisse ihrer Kollegin Waltraud Emhofer. Emhofer, studierte Chemikerin, charakterisiert Hölzer und andere Brennstoffe, indem sie Brennverhalten, Heizwert, Aschegehalt und weitere Parameter bestimmt, die für die Leistungsberechnung eines Kessels benötigt werden. Die beiden Doktorandinnen sind zwei von neun Frauen der insgesamt 27 wissenschaftlichen Mitarbeiter von Bioenergy 2020+ – ein Frauenanteil über dem Branchendurchschnitt. Bioenergy 2020+ hat sich der Gleichstellung von Männern und Frauen und der gleichberechtigten Wahrnehmung der Elternrolle verpflichtet. 2008 erhielt der Standort Wieselburg das Zertifikat "Beruf und Familie", das dem Unternehmen eine familienfreundliche und zugleich betriebswirtschaftlich sinnvolle Unternehmenskultur bestätigt. "Dass überhaupt über so etwas gesprochen wird, das macht schon mal einen Riesenunterschied", sagt Hebenstreit. "Von anderen Firmen war ich das nicht unbedingt gewohnt."

In Sachen Geschlechterverteilung sieht es in der Welt der erneuerbaren Energien eher düster aus. Beispiel Windbranche: "Führe ich mir die Zahlen über den Anteil von Frauen in der Windbranche vor Augen, finde ich diese schon ernüchternd", sagt Marie-Louise Bornemann, Präsidentin von Women of Wind Energy Deutschland. Das Netzwerk hat sich 2011 gegründet, um Frauenkarrieren in der Windbranche zu fördern. Die Geschäftsstelle wird regelrecht mit Medienanfragen überschüttet, bei denen Frauen gesucht werden, die in technischen Bereichen der Branche "ihre Frau stehen". Allein – es gibt so wenig.

Das fängt schon in der wissenschaftlichen Ausbildung an. Gefragt nach Professorinnen im Bereich der technischen Physik, schüttelt Babette Hebenstreit nur den Kopf. Es gibt schlicht keine. Die sprichwörtliche gläserne Decke, die den beruflichen Aufstieg von Frauen in Spitzenpositionen verhindert, ist im Wissenschaftsbetrieb geradezu aus Beton.

"Ich bin in mein Studium sehr idealistisch gestartet. Ich dachte, dass dieses Männer-Frauen-Thema im 21. Jahrtausend eigentlich kein Thema mehr ist", erzählt Waltraud Emhofer. Im Chemiebereich ist die Geschlechterverteilung bei den Studierenden nahezu gleichmäßig verteilt, Emhofers Professoren waren aber auch ausschließlich Männer. In Deutschland waren nach Angaben des Wissenschaftsrats im Jahr 2010 nur 15 Prozent der Professoren in der höchsten Besoldungsstufe Frauen. Anzunehmen, dass die Zahlen ungleich verheerender sind, wenn man nur den naturwissenschaftlichen Bereich betrachtet.

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Oft allein unter Männern: Chemikerin Waltraud Emhofer (links) und Physikerin Babette Hebenstreit. (Foto: Daniela Becker)

Karriere in der Wissenschaft bedeutet befristete Arbeitsverträge, schlechte Bezahlung, viel Unsicherheit verbunden mit häufigen Ortswechseln. "Natürlich frage ich mich, ob es das wert ist", sagt Hebenstreit. "Was erreiche ich dadurch, wenn ich mich da durchkämpfe?" Verträgt eine Partnerschaft solche Lebensbedingungen, von Kindern ganz zu schweigen? "Ich denke, es wäre gut, die Arbeitsbedingungen auch im Wissenschaftsbetrieb so zu verbessern, dass sich Arbeits- und Privatleben besser vereinbaren lassen. Weniger Druck, bessere Atmosphäre – damit würden sich sicher nicht nur Frauen wohler fühlen", meint Hebenstreit. Es wäre ein Verlust, wenn noch einer nachfolgenden Generation Studierender die Gelegenheit entgehen würde, auch die weibliche Herangehensweise zu erfahren.

Während des ganzen Studiums nicht eine Frau als Dozentin ...

Babette Hebenstreit weiß, wie es sich anfühlt, allein unter Männern zu sein: Während der Schulzeit war sie die einzige weibliche Teilnehmerin des österreichischen Teams der Mathematikolympiade. Sie hatte damit gerechnet, dass es auch im Studium einen Männerüberschuss geben werde. "Aber dass ich dann während der gesamten Studienzeit keine einzige Frau als Vortragende haben würde – noch nicht mal eine Laborbetreuung – hat mich dann doch überrascht."

Mit ihrem Arbeitsplatz hat sie Glück gehabt. Nach der Einstellung schluf ihr Chef ihr sofort die Teilnahme am Projekt "Changes" der TU Wien vor, mit dem Frauen gezielt ins Berufsleben begleitet werden. Dort können Frauen, die im Technikbereich arbeiten und sich meistens in einer Minderheit befinden, im Kreise anderer Frauen alles ansprechen, was sonst eher nicht geht: Wie verhalten, wenn ein Kollege übergriffig wird; wie reagieren, wenn im Bewerbungsgespräch jemand nach Familienplanung fragt?

Mit der Pelletsbranche haben die beiden jungen Frauen nun erneut eine sehr männerdominierte Sparte gewählt. "Dass in vielen Prospekten Heizkessel mit leicht bekleideten Frauen in hohen Schuhen beworben werden, finde ich schon ein bisschen schade", sagt Hebenstreit. "Man muss sich seine Lorbeeren hier schon erst mal verdienen", meint ihre Kollegin Emhofer. "Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen: wann werde ich als Frau wahrgenommen und wann als das, was ich tue?", sagt Hebenstreit. "Ich kann nicht ins andere Geschlecht schlüpfen und sagen, ob das jungen Männern auch so geht – aber ich habe schon das Gefühl, dass wir oft zunächst unterschätzt werden."

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Die Präsidentin von Women of Wind Energy Deutschland, Marie-Louise Bornemann (Mitte), ist Vizechefin für Mitarbeiter und Unternehmenskultur bei Vestas Deutschland. Neben ihr Vizepräsidentin Sylvia Pilarsky-Grosch, zugleich Vizepräsidentin beim Bundesverband Windenergie (rechts), und Ruth Vijande, Großkundenbetreuerin für Windenergie bei Bosch Rexroth (links). (Foto: womenofwindenergy.de)

Auf Konferenzen wird sie vor und nach ihrem Vortrag oft unterschiedlich behandelt. "Plötzlich wird man anders wahrgenommen, so nach dem Motto: Ah, die kann ja doch was." Am meisten unverstanden fühlt sich ihre Kollegin Emhofer, wenn sie den Zusatz "für eine Frau" höre. Damit wird ein Lob oder die Bestätigung, dass etwas richtig gemacht wurde, im gleichen Satz herabgewürdigt.

Gleichstellung, darin sind sich Hebenstreit und ihre Kollegin Emhofer einig, bedeutet nicht Gleichmacherei. "Es ist immer sinnvoll, kreativ an Themen heranzugehen und sich bewusst zu machen sein, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt", sagt Hebenstreit. Wie zum Beispiel beim Projekt "Convenient Bioenergy" bei dem untersucht wurde, wie unterschiedlich Frauen und Männer an eine Pelletsheizung herangehen, und anschließend Vorschläge zur besseren Bedienbarkeit gemacht wurden.

Gemischte Führungsgremien sind erfolgreicher

Dass es Unternehmen schadet, die Sichtweise von Frauen zu vernachlässigen, liegt auch für Ruth Vijande, Großkundenbetreuerin für Windenergieanlagen bei Bosch Rexroth, auf der Hand: "Die Förderung von Frauen in Unternehmen ist längst nicht mehr nur eine Frage der Fairness, sondern es geht viel mehr um eine Mobilisierung und Balance aller Potenziale und Talente. Internationale Studien belegen, dass gemischte Führungsgremien sowohl ökonomisch erfolgreicher sind als auch einen positiven Effekt auf die Unternehmenskultur haben."

"Bisher gibt es aber diesen Druck, zeigen zu müssen, dass wir es eh auch können. Wenn ich mal einen Fehler mache, muss ich Angst davor haben, dass es dann gleich heißt, Frauen können es sowieso nicht", meint Babette Hebenstreit. Gleichstellung sei erst dann erreicht, meinte eine ihrer Mentorinnen im Changes-Projekt, wenn auch Professorinnen Fehler machen dürfen.

[Erklärung]  
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