Eigentlich wollten wir am 25. Februar nach Berlin kommen, ausgehen, in unsere Liebslingsbars und -clubs. Mein Freund und ich, wir waren öfter in Berlin. Doch leider begann am 24. Februar ein Angriff auf unser Land. Seitdem beginnt jeder Tag anders für uns beide: Mal kochen wir fürs Militär oder für Freiwillige, mal holen wir Medikamente ab und liefern sie an Krankenhäuser, mal gehen wir zum Strand, um Sand in Säcke zu füllen, damit wir Posten in den Straßen blockieren. Einer bleibt immer zu Hause, damit Polizisten und Militärs in unsere Wohnung kommen können, um sich auszuruhen, zu essen und zu duschen. Außerdem sammeln wir natürlich Geld für Munition. Allein unsere Familie hat aus eigenen Ersparnissen um die 3500 Euro gespendet.

Pro Tag gibt es derzeit mindestens drei bis fünf Raketenangriffe. Die meisten Raketen werden durch die Luftverteidigungssysteme abgewehrt. An Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten mangelt es uns noch nicht. Spanien, Frankreich und Rumänien leisten viele humanitäre Hilfe hier. Odesa ist so weit wie möglich befestigt. Das einzige, was wir brauchen, sind mehr Waffen und Munition. Wir haben viele Freiwillige, die gegen die Zivilisten kämpfen. Was uns noch helfen würde: ein geschlossener Himmel und mehr Luftverteidigung. Denn das ist der einzige Vorteil des „faschistischen Russlands“ – oder der „Raschisten“, wie wir sie nennen.

Unsere Verwandten sind fast alle in der Ukraine geblieben

Die Nächte sind besonders anstrengend. Jede Nacht danke ich dann den polnischen und ukrainischen Programmierern, die die App „Angst“ erstellt haben. Sie warnt uns mit Sirenen vor Gefahren, und wir rennen dann in den Keller, um uns zu verstecken. Manchmal schlafen wir drei Stunden, manchmal fünf. Manchmal klappt es gar nicht, weil es in den Verstecken kalt ist und der Abstand zwischen den Angriffen immer kürzer wird. Wir versuchen, abwechselnd zu schlafen, um die Benachrichtigung nicht zu verpassen und Zeit zu haben, unsere Hauskatzen einzusammeln.

Unsere Verwandten sind fast alle in der Ukraine geblieben. Einige Freunde von mir sind mit ihren Kindern ins Ausland oder in die Westukraine geflohen. Einer ist in den Krieg gezogen, wie es ihm geht, weiß ich nicht. Ein anderer sammelt Geld, Essen und Munition für die Armee. Wie es weitergeht? Ich denke, wenn sie die Verteidigung durchbrechen, werden wir die Eindringlinge mit allen Möglichkeiten töten, die sich uns bieten. Auch unsere Frauen sind bereit zu kämpfen.

Wir alle glauben an den Sieg

Darin sind sich alle Ukrainer einig, denn es ist ein Kampf nicht nur für unser Land, sondern für die ganze demokratisch-zivilisierte Welt. Es gibt kostenlose Schießkurse, die wir besuchen können. Andere gehen zu medizinischen Betreuungskursen. Außerdem wissen wir alle inzwischen, wie man einen guten „Molotow“-Cocktail zubereitet. Auch ich habe schon mehrere dieser Cocktails gemacht.

Wir alle glauben an den Sieg. Wir sind nicht mehr so verängstigt wie vielleicht früher, sondern wir sind vor allem wütend auf die Raschisten. Wir glauben an den Aufschwung, wir glauben daran, dass wir hier alles wieder aufbauen werden – und wir hoffen darauf, irgendwann in die EU zu kommen. Wir bezahlen dafür mit Blut und Schweiß. Ich glaube, wir verdienen eine EU-Mitgliedschaft. Eines noch: Seit 2017 gilt eine neue Schreibweise für unsere Städte. Es ist „Odesa“ nicht „Odessa“. Das ist wichtig.


Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.