Herr Ganteför, die Uno geht davon aus, dass wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent in den kommenden fünf Jahren das 1,5-Grad-Ziel global reißen werden. Eigentlich können wir den Kampf gegen den Klimawandel doch gleich vergessen, oder?

Wir werden das 1,5-Grad-Ziel weltweit nicht halten können, und wir werden vielleicht auch das 2-Grad-Ziel bis zum Jahr 2100 überschreiten. Das mag zwar keiner hören, aber soweit ich das beurteilen kann, ist das die Realität. Am Ende werden wir mit etwas Glück bei vielleicht 2,5 Grad Plus bis Ende des Jahrhunderts landen. Das Problem ist, dass das Klimasystem träge ist und wir einfach schon viel zu lange beim CO2-Ausstoß über unsere Verhältnisse gelebt haben. Das können Sie sich vorstellen wie einen Supertanker, der Kilometer braucht, um seinen Kurs zu ändern. Speziell auf die Ozeane trifft das Bild sogar zu. Sie sind ein riesiger Kältespeicher und sie reagieren nur langsam auf eine erhöhte Temperatur.

Gerd Ganteför ist seit 1997 Professor für Physik an der Universität Konstanz und schreibt Bücher zum Klimawandel. In seinem ...
Gerd Ganteför ist seit 1997 Professor für Physik an der Universität Konstanz und schreibt Bücher zum Klimawandel. In seinem Youtube-Kanal erklärt er die Mechansimen des Klimas auf einfache Art und Weise. Das macht ihn aber auch umstritten. Bild: HfU | Bild: Hfu

Wie viel Zeit bleibt uns, bis es brenzlig wird?

Was ist brenzlig? Wir sehen die Veränderungen ja schon heute, auch bei uns vor der Haustür. Klar ist, wir müssen unsere Anstrengungen zur Verminderung des Treibhausgasausstoßes stark intensivieren. Wenn man die verfügbaren Klimadaten zugrunde legt und rechnerisch linear vorgeht, komme ich auf 13 Jahre, bis die 1,5 Grad Temperaturanstieg global gerissen werden. Wenn der CO2-Ausstoß noch weiter zunimmt, geht es vielleicht schneller als zehn Jahre. Wir müssen versuchen, die CO2-Emissionen global auf Netto-Null zu senken. Und ich denke, da haben wir – und mit „wir“ meine ich alle Menschen – eine Chance.

Woher kommt jetzt Ihr Optimismus?

Ich will es einmal so formulieren. Die Daten legen nahe, dass wir global deutlich weniger CO2 einsparen müssen, als oft kolportiert wird, um beim CO2 die Netto-Null zu erreichen. Nämlich nur rund die Hälfte. Bei der anderen Hälfte wird uns die Natur helfen.

Wie bitte?

Pflanzen, aber vor allem die Ozeane sind riesige CO2-Senken, die Treibhausgase binden können. Und das tun sie zur Zeit in zunehmendem Maße.

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Ist die Argumentation nicht, dass eine Erwärmung der Weltmeere mehr CO2 freisetzt, weil mehr CO2 ausgast?

Stellen Sie sich einen CO2-Sprudler bei Ihnen in der Küche vor. Da wird CO2 durch Überdruck im Leitungswasser gespeichert. Genau das gleiche passiert in den Ozeanen. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Von circa 250 ppm [1 ppm = Ein Millionstel, d. Red.] im Jahr 1850 bis 420 ppm heute. Das sind umgerechnet 0,42 Promille. Und die Grenze, ab wann es zu warm wird, sind 0,5 Promille. Wie beim Autofahren. Fachleute nennen das Partialdruck, und er führt dazu, dass aktuell mehr CO2 in den Ozeanen verschwindet, als sie freigeben. Das mächtigste Ökosystem der Welt, die Ozeane, unterstützt uns also im Moment dabei, CO2 einzusparen.

Ihr Argument ist gefährlich, denn es könnte viele Menschen dazu motivieren, beim CO2-Sparen die Füße hochzulegen, so nach dem Motto: Mutter Natur macht das schon...

Ich bin mir dessen bewusst, aber ich bin auch für Transparenz in der Diskussion. Klar ist: Wir müssen extrem vorsichtig sein. Gerade die Ozeane sind auch fragile Systeme, deren Funktionsweise bis heute nicht bis ins Detail verstanden ist. Wir können uns daher nicht darauf verlassen, dass die Natur uns langfristig hilft. Das System kann auch kippen, mit dann noch viel gravierenderen Auswirkungen. Wir Menschen müssen deswegen jetzt selbst aktiven Klimaschutz betreiben, und das auch sehr schnell.

Kernkraft erlebt eine Renaissance, allerdings nicht in Deutschland, wo der Atomausstieg bis Ende diesen Jahres beschlossene Sache ist.
Kernkraft erlebt eine Renaissance, allerdings nicht in Deutschland, wo der Atomausstieg bis Ende diesen Jahres beschlossene Sache ist. | Bild: dpa

Was schlagen Sie konkret vor?

Wichtig ist es, dass wir Lösungen anbieten, die weltweit gangbar sind. Denn der Klimawandel wird nicht in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz gestoppt. Das ist ein netter Versuch, bringt aber global praktisch nichts. Was etwas bringt, sind klimaschonende Hochtechnologien, die von Ländern, in denen die Menschen sehr viel ärmer sind, kopiert werden können. Es ist zwar gerade unpopulär, aber ich sehe China da als Vorbild. Das Land investiert in alle Methoden der Energieerzeugung, die wir Physiker uns vorstellen können. Dazu gehört beispielsweise die Photovoltaik, die global massiv ausgebaut werden muss, und natürlich die Windkraft. Ökonomische Anreize spielen uns da sogar in die Karten. Mit etwa vier Cent je Kilowattstunde ist etwa Sonnenstrom bei den Gestehungskosten heute viel billiger als fossile Energieträger. Erneuerbare allein werden es aber nicht rausreißen.

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Warum nicht?

Nehmen Sie Deutschland als Beispiel. Die Energiewende im Strombereich ist zwar ein großer Erfolg. Gemessen am gesamten Energieverbrauch des Landes, dem sogenannten Primärenergieverbrauch, sind die Fortschritte aber bescheiden. Insgesamt hängt Deutschland heute trotz Energiewende immer noch zu 75 Prozent von fossilen Energien ab. Nur sechs Prozent des Primärenergieverbrauchs wird von Wasser, Wind und Sonne gedeckt. Weltweit führt daher kein Weg an Gas und Kernkraft als Brückentechnologien vorbei. Es muss uns in jedem Fall gelingen, Erdöl sowie Stein- und Braunkohle als Energieträger auszumustern, denn sie sind mit Abstand am CO2-intensivsten. Überall in der Welt werden ja auch neue Kernkraftwerkstechniken entwickelt, allen voran in China und in den USA.

In Deutschland ist das Kernkraft-Aus beschlossene Sache und Gas durch den Ukraine-Krieg zu einem Konfliktrohstoff geworden. Schlechte Voraussetzungen für den einstigen Energiewende-Vorreiter Deutschland, oder?

In Deutschland ist es kompliziert. Ich respektiere den Wunsch der Bürger, keine Kernenergie zu wollen und es stimmt, dass Gas politisch schwierig geworden ist. Wir werden es dennoch brauchen. Unsere Nachbarn, etwa Frankreich, sind in einer besseren Lage. Sie setzen auf Kernkraft und haben parallel schon vor Jahren Häfen für verflüssigtes Erdgas (LNG) errichtet. Damit setzen die Franzosen übrigens just auf jene Energieträger, die von der EU jüngst als „nachhaltig“ gelabelt wurden …

...was hoch umstritten und eher als politische Entscheidung zu werten ist...

…was für eine Übergangsphase aber nicht anders geht. Noch einmal. Nur mit Erneuerbaren Energien, wird man ein Industrieland in den nächsten Jahrzehnten nicht versorgen können.

Brauchen wir ein Umdenken beim persönlichen Konsum? Der befeuert den Treibhausgasausstoß ja auch massiv...

Ein Eisberg im südlichen Ozean, während der chinesische Eisbrecher “Xuelong 2„ vorbeifährt. Das Ausmaß des Meereises in der ...
Ein Eisberg im südlichen Ozean, während der chinesische Eisbrecher “Xuelong 2„ vorbeifährt. Das Ausmaß des Meereises in der Antarktis ist in diesem Jahr auf den bisher niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen Ende der 70er Jahre gefallen. | Bild: Liu Shiping, dpa

In Deutschland scheint sich ein Gefühl breit gemacht zu haben, das da heißt: Wer etwas kauft und fleißig konsumiert, wird glücklich. Wer den neuesten Tesla fährt, erntet in Augen vieler auch mehr Reputation und Anerkennung, als einer der noch das alte Modell hat. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Alle zwei Jahre das neueste E-Auto zu kaufen hat wirklich gar nichts mit Klimaschutz zu tun. Sich ständig neue Klamotten zuzulegen, weil es gerade so schön billig ist, auch nicht. Wir müssen langlebigere Dinge konsumieren und damit am Ende auch weniger. Und wir müssen den Gedanken der Kreislaufwirtschaft viel stärker fördern. Beim Thema Shopping-Kultur bin ich mit den Hardcore-Grünen in völliger Übereinstimmung, dass wir davon schleunigst weg müssen.

In der Marktwirtschaft ist es uns nie gelungen, Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Sollten wir es mal mit einem anderen Wirtschaftssystem versuchen?

Da wäre ich vorsichtig. Alle anderen Ansätze, etwa der planwirtschaftliche, sind ja gescheitert. Und auch Systeme, die diktatorische Züge mit Fortschritt vereinen wollen, wie etwa in China, haben sich für frei denkende Menschen als unerträglich herausgestellt. Ich meine also, es bedarf einer Kulturveränderung. Diese muss man aber sanft angehen. Verbote, etwa von Werbung könnte ich mir da aber schon vorstellen. Die Idee, dass man durch Konsum glücklich wird, ist aus der Zeit gefallen.