Über Politik und Protest: Passt diese Zeit noch zu uns?
Alle wollen das Klima retten – und verschwenden dabei viel Energie. Hier Protestfolklore, dort grüne Realpolitik. Und dazwischen: eine Menge Zank.
Wenn Grüne über die aktuellen Klimapolitik-Proteste sprechen, dann sagen sie: Ja gut, man habe das gleiche Ziel, nur eben unterschiedliche Rollen. Es wird gern so getan, als seien die Partei und die Klimabewegung letztlich zwei Flügel einer gemeinsamen Sache. Mit Flügeln kennen die Grünen sich aus, vergessen aber gern, dass die interne Hü-hott-Flügelei die Partei mitnichten zum Fliegen gebracht, sondern dafür gesorgt hat, dass sie im Bund bis 2018 nicht richtig abheben konnte.
Wollte man in dem traditionell etwas pietistischen Duktus der Grünen sprechen, dann bestünde die „Sünde“ nicht darin, dass sie nun in der fossilen Realität eine politische und gesellschaftliche Transformationstechnik suchen, sondern darin, dass sie sechzehn Oppositionsjahre lang besserwissend zusahen, wie Union und SPD die Energiewende einfach ausgesessen haben. Oder – was heißt eigentlich „ausgesessen“: Die Ex-Volksparteien haben die Energiewende schlichtweg boykottiert und damit auch das Paris-Abkommen.
Union und SPD fehlt das Transformationstalent
Dafür hatten sie ihre Gründe. Christ- und Sozialdemokraten haben so eine Transformation technisch und kulturell nicht drauf, es passt nicht zu ihnen, und deshalb passen sie eben nicht mehr zur Notwendigkeit der Zeit. Jedenfalls nicht in führender Position.
Aber vielleicht passt diese Zeit ja auch nicht zu uns? Weil uns Heutigen das Heute immer wichtiger ist als das Morgen, weil wir alle auf billig stehen (müssen), weil wir letztlich diese Transformation nicht wollen, auch wenn wir das Gegenteil behaupten. Jedenfalls nicht, wenn es ernst wird.
Ohne Unterstützung durch die breite Mehrheit geht in einer Demokratie so gut wie nichts
Vielleicht ist es ausnahmsweise nötig, sich ehrlich zu machen und sich selbst zu fragen: Will ich wirklich ernsthafte Klimapolitik, welche konkreten Vor- und Nachteile habe ich davon und nehme ich in Kauf? Und was tue ich dafür, außer immer noch die Grünen als Verräter an den „Idealen“ eines „Schöner wär’s, wenn’s schöner wär“ auszuschimpfen?
Dass Leute sich neuerdings auf Straßen kleben, um den Alltag zu stören, in dem wir nun mal leben, aber auch eingelullt sind, das ist Öffentlichkeitserzeugung für das Problem – und zwar eine, die ganz offenbar funktioniert. Genauso wie wenn andere in Lützerath mit traditioneller Protestfolklore darauf hinweisen, dass Kohleverbrennung schleunigst aufhören muss.
Milieukonflikte bringen nichts
Was aber nicht mehr funktioniert: das Problem zur Begeisterung aller Energiewende-Verhinderer auf einen milieuinternen Konflikt zwischen „Aktivisten“ und Grünen zu reduzieren und Letzteren von der Seitenlinie fehlende Moral zu diagnostizieren.
It’s the Mehrheit, Leute. So funktioniert liberale Demokratie.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wir haben eine 14-Prozent-Partei im Zentrum der Regierung, die explizit für neue Wirtschafts- und Klimapolitik gewählt wurde, aber zwei Koalitionspartner, die sie bremsen, plus eine Opposition, die in Sachen Wirtschaftstransformation bisher ein Komplettausfall ist. Und deshalb ist der einzige Weg eben nicht die Wiederverengung, sondern die Weiterverbreiterung des Neuen in der Gesellschaft.
Die Grünen und die Klimabewegung sind eben nicht mehr zwei Flügel eines Gemeinsamen – wie der Publizist Udo Knapp als Erster ausgeführt hat. Die Bewegung fordert das Maximale, das ist ihr Job. Die Partei regiert, um möglichst viel möglich zu machen. Sie kann das aber nicht in Vertretung eines linken Ökomilieus schaffen. Sie muss es im Namen unserer Wirtschaft und einer Mehrheit aus diversen Schichten, Milieus und Gruppen der Gesellschaft hinkriegen, über Märkte, Produktion und so weiter.
Deshalb brauchen wir nicht nur eine spitze und laute Protestbewegung. Wir brauchen eine breite und konstruktive Volksbewegung.
Leser*innenkommentare
Uranus
"Deshalb brauchen wir nicht nur eine spitze und laute Protestbewegung. Wir brauchen eine breite und konstruktive Volksbewegung"
Begriffskritik an "Volk" mal beiseite gelassen - Das "Dumme" ist bloß, dass für Bewegungsbildungen und Diskurse (eigentlich) keine Zeit bleibt. Dafür sind die Klimakrise und das Massenaussterben der Tiere bereits zu stark befeuert und es lässt sich kaum festmachen, dass Anstalten gemacht werden, vom "Gaspedal der Krisenbeschleunigung, der imperialen Lebensweise runterzugehen". Es ist schon ein wenig absurd - die Probleme sind seit den 1970ern bekannt, wurden mittlerweile genauer erforscht und haben sich bis heute bestätigt. Und nun, wo sich der Abgrund vor den Menschen auftut, wollen "einige" (hierzulande) mit dem Diskutieren anfangen, anstatt das zu machen, was offensichtlich ist: Reduzierung von Produktion und Konsum insbesondere Luxus- und ja dazu gehören auch Autos, Flugreisen, Tierprodukte, Einfamilienhäuser, aber eben auch Bau von Straßen und Fabriken. Der Stand von Diskurs und Aktionsumfang zeigt, dass die Ausmaße der Zerstörung und der Erhitzung und deren Ursachen-Zusammenhänge vielen Menschen kaum bewusst ist - zu lange ignoriert und verdrängt worden ist und immer noch wird.
Hier nochmal verlinkt ein Vortrag von Mark Benecke über den aktuellen Stand der ökologischen Krisen - "Time is up!":
www.youtube.com/watch?v=Z_p9yYXZuCI
Ignaz Wrobel
In letzter Konsequenz fordert die "last generation" eine technokratisch-autokratische Weltregerung a la China zur zeitgerechten Durchsetzung ihrer alternativlosen Ziele. Aber selbst die funktioniert nur mit Wohlstandsversprechungen an die Gefolgschaft, die wiederum im Weltmaßstab materielles Wachstum bedeutet, das wiederum nicht klimaneutral erreicht werden kann.
Brot&Rosen
mittlerweile auch das noch:
"Gegenüber dem Handelsblatt (Freitag) blies der Chef des Inlandsgeheimdienstes in Thüringen, Stephan Kramer, ins gleiche Horn wie das BMI. Ihm zufolge bestehe »die Gefahr«, dass Fridays for Future oder die »Letzte Generation« durch »Linksextremisten unterwandert« würden. Und: »Es gibt bereits erste Versuche in diese Richtung«, behauptete Kramer. Anfällig dafür seien solche Gruppen, da »in Teilen der Klimaszene eine Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit vorzuherrschen scheint«. Diese münde »in Endzeitgedanken«. Protestaktionen könnten aus seiner Sicht »immer drastischer werden«, um »die Politik und große Teile der Bevölkerung zum Handeln zu zwingen«."
www.jungewelt.de/a...-klimaprotest.html
Markus Michaelis
Grundsätzliches Nachdenken und Diskustieren finde ich gut.
Es könnte sein, dass auch Paris ein Fehler war, weil man zu billig etwas gefordert und andere nachgegeben haben, was nicht wirklich zum Zustand der Welt passt. Es könnte auch sein, dass bei aller Wichtigkeit des Klimas es auch andere wichtige Themen gibt und es ehrliche Schwierigkeiten dabei gibt, das richtig auszutarieren.
00815
Alle wollen das Klima retten?
Zweitkorrektur
Gerade eben hat in der taz Herr Habeck noch erklärt, wie wichtig die Proteste sind und Sie nutzen die Bezeichnung: "Protestfolklore". Ist das angemessen?
humusaufbau
Die "breiten Volksbewegeungen" gibt es schon und es werden noch mehr werden. Gespannte Unschlüssigkeit einstweilen bei uns Rreichen, die potenziell etwas bewegen könnten, aber an ihrem Sicherheitsbedürfnis straucheln. Verständlich! Sehr verständlich. Wer zu lange aufschiebt, dem fehlt die Handlungsorientierung, wenn die Lage offensichtlich wird. So sorry :-((
Brot&Rosen
"Deshalb brauchen wir nicht nur eine spitze und laute Protestbewegung. Wir brauchen eine breite und konstruktive Volksbewegung."
ganz recht.
spd+union+fdp+bürgerl.medien tun alles, um genau dies zu verhindern.
protestierende, aktivistinnen werden diffamiert, massenproteste akribisch auf ein paar steinewerferinnen abgescannt, vor gwalt gewarnt etc, d.ganze programm/abschreckungsarie eben.
es wird den herrschaften in the long run nix nützen.
rwe+co gehören in die hände der gemeinsacht/genossenschaft (versaatlichung alleine bringts auch nicht), energieversorgung ist daseinsorsorge. very simple.
die LINKE hat dazu die weitestgehenden+ vrnünftigsten forderungen - leider nicht die man-+women power, diese kampagnenmäßig anzugehen, von durchsetzung noch ganz u schweigen. dazu bräuchte es eine RRG-Koalition, + die ist nicht in sicht ....
wie überaus schade ...
Diogeno
Ein langer Text, nur um zu sagen, dass wir eine Volksbewegung brauchen.
Der Autor bezieht sich auf Udo Knapp (Politologe) und einen Artikel, in dem dieser unter Anderem erst bestätigt, dass die Braunkohle unter Lützerath nicht für unsere Energieversorgung benötigt wird (JA!), um dann zu vermelden, dass die Klimaaktivisten falsch liegen.
Außerdem wäre Lützerath
ein Kollateralschaden. (NEIN!)
nutzer
"Vielleicht ist es ausnahmsweise nötig, sich ehrlich zu machen und sich selbst zu" sagen, es gibt keine passende Zeit und es gibt keine passende Parteien.
Es gibt Probleme, die die einen verneinen und die anderen erkennen und nicht lösen können, weil die demokratische Legitimation fehlt (gemeinhin Wahlen genannt).
Es ist zu konstatieren, es fehlt eine gesellschaftliche Mehrheit für grüne Klimapolitik, aber es gibt eine Mehrheit für die Parteienkonstellation, wie sie im Bundestag sitzt, inkl. der Grünen.
Dadurch verschwindet das Problem Klimawandel nicht, es ist lediglich zu konstatieren, dass es von einer Mehrheit als nicht DIE Aufgabe angesehen wird und für die Mehrheit nicht wahlentscheidend ist.
Davon abgesehen, gibt es auch noch andere Gründe Parteien zu wählen und auch die Grünen nicht zu wählen... Politik ist ja nicht monothematisch...
Das Problem Klimawandel muß von allen erkannt werden, auch den anderen Parteien, nur dann kann es Fortschritt geben, dass eine Partei für Klima steht, das wird nie zum Erfolg führen, zumal die Grünen auch viel falsch machen können, siehe Lützerath (auch, weil sie nicht in der Position sind, alles durchzusetzen, wegen der Mehrheitsverhältnisse, die nun einmal so sind wie sie sind).
Ingo Bernable
@nutzer "es fehlt eine gesellschaftliche Mehrheit für grüne Klimapolitik"
Rund 70% der Bevölkerung halten Klimaschutz für wichtig oder sehr wichtig. Nur muss man eben auch feststellen, dass das Ideal von abgewogenen und kohärenten Entscheidungen durch mündige und informierte Citoyens u.A. in diesem Kontext eben doch sehr weit von der Realität entfernt ist. Fast alle wollen Klimaschutz, aber kaum jemand aufs Auto 'verzichten'. Nur sollte man doch eher vorsichtig damit sein diesen status quo aus Inkonsequenz und Selbstbetrug zum Ergebnis demokratischer Prozesse zu verklären. Mal ganz abgesehen von der Frage ob heutige demokratische Mehrheiten, wenn es denn eine wirkliche bewusst reflektierte Mehrheit dafür gäbe die 2°-Grenze zu ignorieren, überhaupt legitimerweise Beschlüsse fassen dürfte die die Bewohnbarkeit des Planeten für künftige Generationen in Frage stellen.
hessebub
@nutzer So sieht das aus. Setzt man das in den Kontext der unerbittlichen Physik der Klimakatastrophe sehr ich keinen Weg, wie wir den Kollaps unserer Zivilisation noch vermeiden können. Zumal die Transformationschancen in den USA und China noch geringer sind als hier. Mit Max Weber muss man da natürlich auch im Angesicht der sicheren Niederlage versuchen, aber gleichzeitig Were finden, Abschied zu nehmen, von allem was uns noch normal und stabil erscheint.