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Vorwort

Unsere Kassel-Gangster

 

BookRix GmbH & Co KG

81675 München

 

 John Catling

Aus dem Englischen von Sophia Kloniecki

 

Im Jahre 2005 zog ich nach Kassel in Nordhessen. Es dauerte nicht lange, bis ich auf die ersten interessanten Persönlichkeiten stieß, die alle ihre Geschichten zu erzählen hatten. Eine von ihnen war Walter Schmidt. Er erklärte mir einmal den Unterschied in der Bezeichnung der verschiedenen Einwohner Kassels folgendermaßen: „Es ist eigentlich ganz einfach: grundsätzlich ist jeder, der in Kassel lebt, ein Kasseler. Ein Kasselaner ist ein Mensch, der bereits in Kassel geboren wurde. Ein Kasseläner ist ein gebürtiger Kasseler, dessen Eltern auch schon in Kassel geboren wurden. Ein Kasseler ist jedoch auch eine Art gesalzenes und leicht geräuchertes Schweinekotelett, das oft mit Sauerkraut und Kartoffelpüree serviert wird.“ Nun wissen Sie also Bescheid. Ich habe einige seiner Geschichten niedergeschrieben. Ich hoffe, sie werden Ihnen gefallen.

Natürlich brauche ich nicht extra zu erwähnen, dass diese Geschichten fiktiv und jegliche Ähnlichkeiten zu Lebenden oder Verstorbenen rein zufälliger Natur sind.

John

Ein schwerer Job für schwere Jungs

Es regnete außerhalb des Kasseler Auestadions und die Kassel Huskies, unsere stadteigenen Eishockey-Helden, hatten wieder einmal verloren.

„Wann kommt denn eigentlich der Prof wieder ‘raus? Könnte n’bisschen Zaster brauchen“, fragt Pete, ein hochaufgeschossener blonder Gebrauchtwagenhändler und der Fahrzeugspezialist unserer Truppe.

„In ungefähr sechs Wochen, glaub’ ich“, antwortet Big Heinz, der Müllmann. „Der Straferlass, den man heutzutage bei guter Führung kriegt, ist echt nicht zu verachten.“ Big Heinz hat eine ziemlich imposante Waggelwambe. Er kann locker fünf Liter Bier wegstecken ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

„Na ja, wenn er jedenfalls wieder ‘rauskommt, hat er bestimmt etwas für uns zu tun. Auch wenn der letzte Job echt en Schäß war, das stört ihn wenig. Gehe ihn jedenfalls am Samstag besuchen. Mal sehen, wann wir fünf uns treffen, wenn er wieder draußen ist. Dann kriegen wir auch endlich wieder die Huskies aus’m Kobbe…“

Zwei Monate später trafen wir uns im Restaurant der Orangerie, einem ziemlich noblen Schuppen. Hier würde niemand vermuten, wir hätten etwa vor, krumme Dinger zu drehen. Der Prof, wie wir ihn nennen (denn schließlich ist er ja der Kopf des Ganzen), sieht uns einen nach dem anderen lächelnd an. In seinem neuen C&A-Anzug sieht er einfach prächtig aus. Der Urlaub auf Staatskosten ist ihm sichtlich bekommen. Er ist der Boss. Wir anderen, also: Pete, Big Heinz, Heinrich Heine und ich selbst, Walter, bilden das Team. Vielleicht sollte ich kurz erklären, wie Heinrich Heine überhaupt zu seinem Namen gekommen ist. Im südlichen Stadtteil Kassels gibt es eine Straße, die nach diesem Dichter des 19. Jahrhunderts benannt ist. Dort lebt Heinrich. Eines Tages bellte ihm ein Polizist ein „Name und Adresse!“ entgegen. Er gab ihm gleich seine Adresse. Seinen Namen brachte er jedoch nicht hervor.

„Habe genau den richtigen Job für euch Jungs“, offenbart uns der Prof und sieht sich gleichzeitig um, um sicher zu gehen, dass auch niemand mithört. „Hat einer von euch in letzter Zeit zufällig mal einen Blick auf den Herkules geworfen?“

„Nö, Prof.“

An dieser Stelle müsste ich erklären, wer Herkules eigentlich ist; nämlich nicht etwa ein Kraftprotz, sondern vielmehr eine acht Meter hohe Statue, die auf einer Art Festung auf dem Gipfel des höchsten Hügels steht, der Kassel überblickt. Der Hügel ist sogar fast schon ein richtiger Berg.

„Hättet ihr mal in letzter Zeit einen Blick in diese Richtung geworfen“, murmelt der Prof, „so wäre euch aufgefallen, dass sein Kobbe fehlt. Er ist größer als ein ausgewachsener Mann und wiegt so um die halbe Tonne. Jedenfalls ist er weg. Sie haben ihn zum Putzen abgenommen. Ist jetzt wohl im Schlossmuseum ausgestellt. Der Kopf ist aus Kupfer; zwar nicht massiv; eher aus Kupfer-Platten. Die Statue wurde ca. um 1700 hier in Kassel gefertigt. Habe es in einem Buch nachgelesen. Da stand, die Platten seien so um die zehn Zentimeter dick. Waren wohl anfangs aus Eisen. Sind dann aber mit der Zeit gerostet; ist ja ganz klar. Danach wurden sie durch Kupfer ersetzt. Sie müssten so um die zwanzigtausend Euro wert sein. Könnt ihr mir folgen?“

„Klar, Prof, geschnallt“, wirft Heinrich Heine ein (Sie wissen nun, dass sich der Name nur auf seine Adresse bezieht. Natürlich heißt er nicht wirklich so. Und er ist auch kein Dichter.) „Aber wie sollen wir denn dem Herkules seine Birne mopsen?“

„Ein Klacks für uns“, antwortet der Prof. „Habe ja schon gesagt, dass sie den Kopf zum Putzen abgenommen haben. Die waschen jetzt den ganzen Vogelmist ‘runter, polieren einmal gut durch und dann wird er am zehnten November auf einen Lastwagen geschnallt und ab geht die Post zurück zum Hügel hinter dem Schloss. Da kommt der Kopf dann auf einen Kran und wird der Statue wieder auf die Schultern geschraubt. Und genau dann kommen wir ins Spiel: wir reißen uns den Lastwagen mit dem Herkules seinen Kopf unter den Nagel und bringen ihn dorthin, wo uns keiner stört. Dort schmelzen wir dann das Kupfer in Klumpen oder Blöcke ein. Und dann schlagen wir es wieder los. Seid ihr alle dabei, oder was?“

„Na logisch“; wirft Big Heinz ein. „Mein Bruder Rudolf hat ‘nen Hof drüben in Zierenberg. Der hat da so ‘ne große Scheune; da können wir das Metall einschmelzen.“

„An die Karre sollten wir auch ohne Probleme ‘rankommen“, überlegt Pete. „Mach’ ich schließlich nich’ zum ersten Mal.“

„Muss mal sehen, was ich in die Finger kriegen kann, damit wir das Kupfer einschmelzen können. Hab’n paar Kumpels bei VW in Baunatal. Die kennen sich mit dem Metalleinschmelzen aus“, fügt Heinrich Heine hinzu.

„Denkt daran, wir müssen die Blöcke nach Polen bringen. Sollte uns ein bisschen Pinkepinke einbringen“, erklärt der Prof. Er bevorzugt nun einmal seine Lieblingswörter, obwohl ich ihm immer wieder sage, dass der Begriff „Pinkepinke“ für Geld heute kaum noch verwendet wird. „Meine Kumpels dort drüben haben mir einen attraktiven Preis geboten, aber die Bullen werden natürlich nach dem Lastwagen Ausschau halten.“

„Ach, Prof, das ist echt kein Ding“, winkt Heinrich Heine ab. „So ‘ne Abdeckplane kostet bloß vierzig Euro und polnische Nummernschilder so um die fünfzig.“

Fünf Wochen später war es soweit. Ich saß zusammen mit dem Prof und Pete im Audi des Profs. Wir hatten den Wagen diskret am hinteren Ende des Herkules-Besucherparkplatzes abgestellt. Es war November und begann gerade zu dämmern. Der Lastwagen mit dem Kopf des Herkules, letzterer sicher am Pritschenboden des Wagens festgezurrt, war soeben vom Schlossmuseum eingetroffen. Doch es war bereits vier Uhr nachmittags und somit für diesen Tag zu spät, den Kopf wieder zurück auf den Körper der Statue zu setzen. Die Männer, die in der Nähe des Krans stehen, ziehen nun also ihre Mäntel an, steigen in ihre Wagen und denken nur noch an ihre Heimkehr. Um halb sieben biegt ein Wagen mit der Aufschrift Polizei um die Ecke des Parkplatzes. Pete duckt sich schnell auf dem Rücksitz des Audis. Ich selbst muss den Prof in meine Arme ziehen. Wir geben vor, ein verliebtes Pärchen zu sein. Er riecht übel nach billigem Aftershave. Aber was soll man machen? Es ist ja schließlich alles für einen guten Zweck, nicht wahr? Der Polizeiwagen entfernt sich und wir sind wieder allein.

Zwei Minuten später rennt Pete zum Lastwagen hinüber, einem großen Volvo. Es dauert nicht lange und der Dieselmotor setzt sich rumpelnd in Bewegung. Schon geht es los. Wir folgen dem Lastwagen hügelabwärts und fahren einen weiteren Hügel hinauf Richtung Zierenberg.

In Zierenberg treffen wir auf Heinrich Heine und Big Heinz, die beide am Schmelzofen stehen. Er ist bereits in Betrieb. Die Flammen erhellen die alte Scheune. Wir durchtrennen die Taue, die den Kopf des Herkules am Fahrzeug befestigen. Er rollt vom Wagen. Der Prof nähert sich dem Kopf und betrachtet ihn prüfend. Hier berührt er ihn ein wenig, dort betrachtet er ihn wieder eingehend. Dann rennt er plötzlich in die Scheune.

„Los, macht den verdammten Ofen aus und steigt in den Wagen!“, brüllt er. „Der Deal ist vom Tisch. Hab’ ‘nen Fehler gemacht. Die Platten sind nicht so dick, wie ich dachte. Mir ist eingefallen, dass sie um 1700 noch keine Zentimetermaße hatten. Die wurden von den Franzosen erst hundert Jahre später erfunden. Damals haben sie anders gemessen: in Schuh, Zoll, Linien und weiß der Geier! Die Platten sind keine zweitausend wert. Ich grich de Bladdse! Tut mir echt leid, Jungs!“

Vier Stunden später befinden wir uns auf der Autobahn. Wir haben eben Berlin hinter uns gelassen und nähern uns der polnischen Grenze. „Wir können für ein paar Tage bei meinen Kumpels in Polen untertauchen, nur so lange, bis Gras über die Sache gewachsen ist“, erklärt der Prof.

„Spielen die da in Posen oder da wo wir eben gerade hinfahren auch Eishockey?“, fragt Heinrich Heine.

„Also wenn, dann wollen wir mal hoffen, dass sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.07.2015
ISBN: 978-3-7396-0701-6

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