Germany's most wanted Der Guru und die Kinder

In der Serie "Germany's most wanted" porträtiert stern.de die meistgesuchten Verbrecher Deutschlands. Ulrich Schulz alias Oliver Shanti war einst der gefeierte Musikstar der Esoterik-Szene. Seit 2002 sucht die Polizei den Guru wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern in mindestens 115 Fällen.
Von Christian Parth

Ulrich Schulz wollte mal ein ganz Großer werden. Einer, der anderen Menschen die Welt erklärt. Einer, auf den man hört, weil sein Mund nur weise Worte entlässt. Deshalb wurde Ulrich Schulz, aufgewachsen in Hamburg, zu Oliver Shanti, Oliver Frieden also, 150 Kilo schwer, vollbärtig, ein feister Typ, Guru seiner eigenen Sekte und ein Mann, der Ermittlungen zufolge am liebsten Kinder mit in sein Schlafzimmer nimmt.

Seit 2002 wird Ulrich Schulz alias Oliver Shanti alias Oliver Serano alias Oliver Serano-Alve per Haftbefehl gesucht. In mindestens 115 Fällen soll sich der Sektenführer des sexuellen Missbrauchs an Kindern schuldig gemacht haben. Die Behörden gehen sogar von mehreren hundert Fällen aus. Elf Opfer haben als Zeugen ausgesagt. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft München I einen weiteren Haftbefehl erwirkt. "Er lautet auf Flucht- und Wiederholungsgefahr, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass er Kinder weiter sexuell missbraucht", sagt Oberstaatsanwalt Anton Winkler.

Immer wieder kleine Kinder

Shanti Schulz, der im November 60 Jahre alt wird, hat einiges getan, um auf die Liste der meist gesuchten Personen Deutschlands zu kommen. Angefangen hat er seine Karriere als spiritueller Führer in einer Hippiekommune in Indien und begeisterte mit seinen Ausführungen über den Weg zur seelischen Ausgeglichenheit. In den 1980er Jahren zog er nach Viechtach im Bayrischen Wald, wo er seine ersten Jünger um sich scharte. Schon damals soll er zu seinem Vergnügen immer wieder Kinder mitgebracht haben.

Er gründete das Plattenlabel Sattva Music, produzierte orientalische Meditationsklänge und wurde mit CDs wie "Tai Chi" und "Well Balanced" zum Kultstar der Selbsterfahrungsjunkies. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl kaufte er 1986 die "Quinta San José", eine Farm nahe der nordportugiesischen Kleinstadt Vila Nova de Cerveira. Seine Anhänger folgten ihm zahlreich auf die Finca unweit der Atlantikküste.

Um seinen pädophilen Trieb zu befriedigen, habe er eine simple Masche gewählt. "Er konzentrierte sich vor allem auf alleinerziehende Mütter", sagt der Münchner Journalist Klaus Wiendl, der den Fall seit Jahren begleitet und auch mit Opfern sprach. "Er bot ihnen an, sich um deren Kinder zu kümmern und verging sich dann an ihnen." Auf die Frage einer seiner Anhänger, warum er denn immer kleine Jungs um sich habe, soll Shanti einmal gesagt haben: "Ich transformiere ihre Liebe auf eine höhere Ebene."

Aufenthaltsort unbekannt

Seit Shanti Schulz gesucht wird, hat er sich selbst zum Phantom transformiert. Wo er sich derzeit aufhält, ist angeblich unklar. Allerdings gibt es eine Vielzahl an Augenzeugen, die das Schwergewicht in der Nähe seiner Finca gesehen haben wollen. Recherchen der "Berliner Zeitung" zufolge soll Shanti vergangenes Jahr auf einer Motoryacht gesichtet worden sein, einmal soll er mit "hübschen Jungs" in der spanischen Grenzstadt Tui Fußbälle und Kuscheltiere eingekauft haben. Ein anderes Mal habe man ihn in einem Nachtclub am Flughafen Vigo erkannt.

Doch gefasst hat man Shanti noch immer nicht. Im Jahre 2002 gab es einen versuchten Zugriff durch eine portugiesische Spezialeinheit. Der Griff ging ins Leere und nun vermuten die deutschen Behörden, dass der Guru über sein Informanten-Netz rechtzeitig gewarnt worden sein könnte. "Wir hatten damals den Eindruck, dass jemand ihn zuvor in Kenntnis gesetzt hat", sagt Staatsanwalt Winkler stern.de. Es gibt zumindest Hinweise, die das plausibel machen. Shanti ist in Vila Nova de Cerveira lange als Mäzen der Gemeinde aufgetreten. Der Feuerwehr schenkte er ausrangierte Rettungswagen aus Deutschland und der Stadt einen Hirsch aus Bronze.

Die Verehrung ist trotz der schwer wiegenden Vorwürfe teils ungebrochen. Seine CDs gehen noch immer über den Ladentisch. Einige Internet-Anbieter haben die Scheiben zwar aus dem Programm genommen, die meisten begnügen sich indes mit Hinweisen auf die mutmaßlichen Taten des Produzenten. Andere wiederum, wie auch der Mega-Seller Amazon, bieten die Musik auch jetzt noch kommentarlos feil. Zwar gab es einmal einen Aufruf ehemaliger Fans zum Boykott. Von vielen Anhängern wird Shanti jedoch weiterhin als Star der New-Age-Generation gefeiert.

Die Hingabe in einschlägigen Internetforen geht bis hin zur völligen Verblendung: "Wer SOLCHE Musik macht, kann nicht schlecht sein", glaubt einer der Autoren. "Außerdem kommt mir die Anklage maßlos überzogen vor. Mehr als 1000 Fälle...denkt mal darüber nach. Erfolg macht Feinde. Ich finde es erschreckend, wie schnell man fallen gelassen wird."

Ein miserabler Musiker

Eine Meinung, die sie mit Shantis Anwalt Hartmut Wächtler gemein haben. Er betrachtet die Anzeigen als Racheakt frustrierter Gläubiger, denen Shanti noch ein paar Millionen Euro schuldig ist. "Es ist schon merkwürdig, dass diese Vorwürfe fast zum gleichen Zeitpunkt aufkamen, wie die Geldforderungen gegen meinen Mandanten", sagt Shantis Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler stern.de.

Shanti ist nach Aussagen ehemaliger Weggefährten zwar ein miserabler Musiker, der stets andere für sich spielen ließ, aber dafür offenbar ein gewiefter Betrüger. Die Erlöse seiner CDs, versprach er einst, sollten anteilweise dem unterdrückten tibetischen Volk zugute kommen. Doch auch dieses hat dem Vernehmen nach nie eine müde Mark von Shanti erhalten.

Verdient hat Ulrich Schulz fürstlich in all den Jahren. Bis zu zwei Millionen Euro monatlich soll sein Plattenlabel in den besten Zeiten umgesetzt haben. Doch Shanti hat auch gerne ausgegeben. Viel Geld dürfte in seine portugiesische Finca geflossen sein und in seine rund 600 Papageien, in die er vernarrt war und die auch als Attraktion für neugierige Kinder in großzügigen Volieren flatterten.

Guru beteuert seine Unschuld

Dem Guru anschließend ins Schlafzimmer zu folgen, hat das weitere Leben der Kinder geprägt. Manche sind ins Drogenmilieu abgerutscht, berichtet Journalist Klaus Wiendl. Andere, die den Mut hatten, endlich auszupacken, ließ Shanti verfolgen und verprügeln. Darunter auch einen ehemaligen Weggefährten, der ihm sein ganzes Erbe vermachte und später mit seiner Frau bei Nacht und Nebel nach Deutschland flüchtete.

Sein Mandant würde sich ja stellen, sagt Shantis Anwalt Wächtler. In Gesprächen mit ihm habe der Guru immer beteuert, sich nie an Kindern vergangen zu haben. Gerne würde er alles aufklären. "Doch wenn er nach Deutschland kommt, möchte er sich in Freiheit auf den Prozess vorbereiten und nicht in Haft." Diesen Handel aber habe die Staatsanwaltschaft klar abgelehnt.

Also muss die deutsche Polizei ihre Suche nach Ulrich Schulz fortsetzen. Es gebe einige neue Ansätze, verriet ein Fahnder. Doch die Zeit rennt, bestätigt Staatsanwalt Winkler. In vier Jahren läuft die Verjährungsfrist ab.

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