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ISRAEL / BOTSCHAFTER-TAUSCH Zug um Zug

aus DER SPIEGEL 29/1965

Der eine ist in Jerusalem unerwünscht, der andere in Bonn; der eine hat sein Agrément nur erhalten, weil es auch dem anderen erteilt worden ist. Ein ungewöhnliches »Zug-um-Zug-Geschäft«, so AA-Pressesprecher Jörg Kastl, stand Ende vergangener Woche am Anfang der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel, die das von einer düsteren Vergangenheit belastete Verhältnis zwischen den beiden Völkern normalisieren sollen.

Die beiden Botschafter wider den Willen ihrer Gastländer sind: Rolf Friedemann Pauls, 49, Bonns Mann in Israel, und Ascher Ben-Nathan, 44, Jerusalems Vertreter in der Bundesrepublik. Bevor sie sich dem Geschäft der Normalisierung widmen können, werden die Botschafter nach ihrem Amtsantritt zunächst damit zu tun haben, die gegen sie persönlich gerichteten Ressentiments abzubauen.

Der ehemalige Major im Generalstab und Ritterkreuzträger Rolf Pauls der im Krieg den linken Arm verlor, läßt bei vielen Israelis Erinnerungen an die Nazi-Zeit hochkommen. Insbesondere die aus Deutschland und Osteuropa Eingewanderten - rund eine halbe Million - erschauern, wenn sie im Geiste den Marschtritt von Wehrmachtsknobelbechern hören. Dann tauchen für sie die Schatten der schwarzen SS auf, die im Schutze der Wehrmacht Millionen Juden in die Vernichtungslager trieb und ermordete.

Daß Pauls aus einer antinationalsozialistischen protestantischen Pfarrersfarmilie stammt, die zur Bekennenden Kirche hielt, daß er den Nazis fernstand, von General Speidel in die Attentatspläne auf Hitler eingeweiht worden war und nach dem 20. Juli 1944 nur durch das Schweigen einiger Kameraden der Verhaftung entging, hilft ihm wenig. Das Gefühl ist auch in Israel immer noch stärker als die Vernunft.

Ascher Ben-Nathan dagegen erinnert die Bundesregierung und Bonns Politiker an das schmählichste Kapitel deutscher Nachkriegsdiplomatie. Als Generaldirektor im israelischen Verteidigungsministerium war er maßgeblich an der Abwicklung des geheimen deutsch-israelischen Waffengeschäfts beteiligt. Dessen Bekanntwerden löste Ende vergangenen Jahres die Nahostkrise aus und drohte die Hallstein-Doktrin vom Bonner Alleinvertretungsrecht für alle Deutschen zu sprengen, als Ägyptens Staatschef Gamal Abd el-Nasser Moskaus Pankower Hausmeister Walter Ulbricht zu einem Staatsbesuch einlud. Bonn ließ sich erpressen und stellte die Waffenlieferungen ein.

Ascher Ben-Nathans Auftauchen als israelischer Botschafter in Bonn wird außerdem, so befürchtet das Auswärtige Amt, den Verdacht der arabischen Staaten nähren, daß die seltsame Waffenbrüderschaft zwischen Israel und der Bundesrepublik trotz feierlicher Eide noch nicht beendet-ist. Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit jenen zehn arabischen Ländern ist damit erschwert, die aus Protest gegen die Normalisierung des deutsch-israelischen Verhältnisses ihre Botschafter aus Bonn abberufen haben.

Ascher Ben-Nathan kommt als israelischer Botschafter in ein Land, vor dessen Truppen er 1938 als 17jähriger aus seiner Heimatstadt Wien flüchtete. Illegal wanderte er ins britische Mandatsgebiet Palästina ein. Im Weltkrieg II meldete sich der athletisch gebaute junge Mann zu den freiwilligen jüdischen Fallschirmjägern, die über den von Deutschen besetzten Gebieten absprangen, um verschleppten Juden zu helfen. Der Krieg war jedoch zu Ende, ehe Ben-Nathan zum Einsatz kam.

Unmittelbar nach Kriegsende leitete Ascher Ben-Nathan im Auftrage der Haganah, einer von den Engländern verbotenen jüdischen Untergrundarmee, die illegale Auswanderung der in Österreich geretteten Juden nach Palästina. Unter dem Decknamen Arthur Pier sammelte er in Österreich und Deutschland Material über Kriegsverbrecher und übergab es dem Nürnberger Gericht. Er trieb in Linz das einzige Photo Adolf Eichmanns auf, das später dessen Entdeckung ermöglichte.

Nach der Gründung des Staates Israel wurde Ascher Ben-Nathan 1948 in das Büro des Ministerpräsidenten Ben-Gurion berufen. Während des Sinai-Feldzuges und des israelisch-französischbritischen Angriffs auf Ägypten im Herbst 1956 fungierte er als Verbindungsmann in Paris. Danach ernannte ihn Ben-Gurion zum Generaldirektor im Verteidigungsministerium.

Wie sein politischer Mentor Ben -Gurion hat sich Ascher Ben-Nathan stets für eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Israel und der Bundesrepublik eingesetzt. Noch bevor Bonn die Aufnahme diplomatischer Beziehungen anbot, schied er aus dem Verteidigungsministerium aus, um als Nachfolger von Felix Schinnar die Leitung der Israel-Mission in Köln zu übernehmen, wozu es nicht mehr kam.

Daß Ascher Ben-Nathan vom Auswärtigen Amt in Jerusalem trotz deutscher Bedenken auch als künftiger Botschafter präsentiert wurde, gilt dem

- Auswärtigen Amt in Bonn heute als

Vorwand für sein Festhalten an Rolf Pauls trotz israelischer Einwände. Genau umgekehrt argumentiert dagegen das Außenministerium in Jerusalem

Der israelischen Regierung war ein Karrierediplomat wie Pauls im Range eines Ministerialdirigenten und Unterabteilungsleiters als Botschafter nicht bedeutend genug. Der scheidende Missionschef Felix Schinnar hatte im Auswärtigen Amt und vor allem in dem israelischen Wünschen geneigteren Bundeskanzleramt folgende Namen als genehme Israel-Botschafter genannt: den Wiedergutmachungs-Unterhändler Franz Böhm, den CDU-Bundestagsabgeordneten Ernst Benda, der seine Partei zur Verlängerung der Verjährungsfrist für Nazi-Verbrecher überredete, und den Düsseldorfer Landeskirchenrat Nikolaus Becker, der sich um die deutsch-israelischen Beziehungen verdient gemacht hat.

Außenminister Gerhard Schröder zeigte sich jedoch entschlossen, das 2,5 -Millionen-Volk Israels nicht durch einen Botschafter von höherem Rang gegenüber den Arabern zu bevorzugen.

Um Pauls gegen die israelischen Angriffe abzuschirmen, grub das Auswärtige Amt sogar aus, daß Israel bereits zwei hohe Wehrmachtoffiziere anstandslos akzeptiert hat: die österreichischen Botschafter Enderl und Loeg meier. Enderl hatte in der deutschen Wehrmacht als Oberst gedient.

Das diplomatische Patt, in dem aus Prestigegründen keiner der beiden Kontrahenten mehr vor noch zurück konnte, endete schließlich mit dem Tauschgeschäft Pauls gegen Ben-Nathan, dem beide Regierungen Ende Juni zustimmten.

Trotzdem wird sich Rolf Pauls an dem Tag, an dem er in zwei bis drei Wochen dem israelischen Staatspräsidenten Salman Schasar sein Beglaubigungsschreiben übergibt, auf heftige Demonstrationen vorbereiten müssen. Als Beamter hat er nach Meinung seines Behördenchefs Schröder dabei nicht das Recht, dem Rat israelischer und deutscher Freunde zu folgen, von seinem dienstlichen Auftrag zurückzutreten. So bleibt ihm nichts übrig, als die delikateste Mission der deutschen Nachkriegsdiplomatie als das zu betrachten, was sie werden könnte: eine »reizvolle Aufgabe«.

Bonns Botschafter Pauls

An Knobelbecher erinnert

Jerusalems Botschafter Ben-Nathan

Eichmanns Photo aufgespürt

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