Wie Axl Rose in der Arena die Kontrolle verlor (plus Fotogalerie)
Das einzige Deutschlandkonzert von Guns N‘ Roses verläuft im Eintracht-Stadion anders als erhofft. Axl Rose ringt mit Stimmproblemen.
Von Daniel Schottmüller
Frankfurt. Man weiß nicht, mit wem man mehr Mitleid haben soll. Mit den Fans im ausverkauften Deutsche Bank Park, die sich dieses Desaster mit teurem Stadionbier schön saufen müssen? Mit Slash, der sich fast drei Stunden lang mit Talkbox, Bottleneck, Doppelhals-, Akustik- und E-Gitarren redlich Mühe gibt, die Katastrophe einzudämmen? Oder mit dem Tontechniker. Der Mann muss an diesem Abend Blut und Wasser über seinen Reglern ausgießen. Kompressor, Echo, Lautstärke hoch und runter – es hat alles keinen Zweck. Die Stimme von Axl Rose ist im Eintracht-Stadion einfach nicht zu bändigen. Der 61-Jährige schnarrt, bellt, säuselt, findet kurz sein brachial schneidendes Rockorgan, um schon im nächsten Moment wieder in eine großmütterliche Kopfstimme zu rutschen. Aufstöhnen, wenn der Sänger nach längeren Instrumentalpassagen zurück auf die Bühne kreiselt. Schon wieder der …
Es hatte sich angedeutet. Mit Überschriften wie "Welcome to the Mumble" (Willkommen zum Genuschel) hat die britische Presse vor wenigen Tagen ihre Kritiken über- und den Headliner-Auftritt beim Glastonbury-Festival abgeschrieben. Rose schoss zurück. Die übertragende BBC sei schuld am schlechten Sound gewesen. Und überhaupt: Was wissen Kritiker schon? Diesem Trotz haben wir Hymnen wie "Get in the Ring" zu verdanken – bis heute der beste Journalisten-Diss der Rockgeschichte, von dem sich so mancher Battlerapper etwas abschauen könnte. Aber 32 Jahre später geht es nicht mehr um Geschmacksfragen, sondern um die Arbeitsgrundlage. Würde man Cristiano Ronaldo Freistöße schießen lassen, wenn sein rechter Fuß bei jedem zweiten Schritt unkontrolliert zur Seite ausschlackert?
Nun ist es einfach, auf Rose einzudreschen. Wer spuckend und Mikroständer um sich schleudernd in Bandana, Unterhosen und Stiefeln über die Bühne irrlichtert, gibt eine treffliche Zielscheibe ab. Vor allem, wenn er dazu noch den Ruf genießt, seine Fans stundenlang warten zu lassen und ihnen, sollten sie ihn filmen, direkt eins auf die Nuss zu geben. Rose hat Securitys in den Oberschenkel gebissen und Kritik von Bandkollegen mit einem Sprung aus dem fahrenden Auto quittiert. Von einer schillernden Persönlichkeit zu sprechen, wäre bei dem Mann aus Indiana untertrieben. Sein Alleinstellungsmerkmal ist leider, dass er alleine dasteht. Denn im Gegensatz zu den anderen Frontmännern, die in den späten Achtzigern und Neunzigern am letzten großen Rockbeben der amerikanischen Westküste beteiligt waren, – Anthony Kiedis, James Hetfield, Eddie Vedder oder Dave Grohl – wurde Axl Rose nie vorbehaltlos verehrt.
Das wird auch beim einzigen Deutschlandkonzert des Jahres deutlich. Den ...
Von Daniel Schottmüller
Frankfurt. Man weiß nicht, mit wem man mehr Mitleid haben soll. Mit den Fans im ausverkauften Deutsche Bank Park, die sich dieses Desaster mit teurem Stadionbier schön saufen müssen? Mit Slash, der sich fast drei Stunden lang mit Talkbox, Bottleneck, Doppelhals-, Akustik- und E-Gitarren redlich Mühe gibt, die Katastrophe einzudämmen? Oder mit dem Tontechniker. Der Mann muss an diesem Abend Blut und Wasser über seinen Reglern ausgießen. Kompressor, Echo, Lautstärke hoch und runter – es hat alles keinen Zweck. Die Stimme von Axl Rose ist im Eintracht-Stadion einfach nicht zu bändigen. Der 61-Jährige schnarrt, bellt, säuselt, findet kurz sein brachial schneidendes Rockorgan, um schon im nächsten Moment wieder in eine großmütterliche Kopfstimme zu rutschen. Aufstöhnen, wenn der Sänger nach längeren Instrumentalpassagen zurück auf die Bühne kreiselt. Schon wieder der …
Es hatte sich angedeutet. Mit Überschriften wie "Welcome to the Mumble" (Willkommen zum Genuschel) hat die britische Presse vor wenigen Tagen ihre Kritiken über- und den Headliner-Auftritt beim Glastonbury-Festival abgeschrieben. Rose schoss zurück. Die übertragende BBC sei schuld am schlechten Sound gewesen. Und überhaupt: Was wissen Kritiker schon? Diesem Trotz haben wir Hymnen wie "Get in the Ring" zu verdanken – bis heute der beste Journalisten-Diss der Rockgeschichte, von dem sich so mancher Battlerapper etwas abschauen könnte. Aber 32 Jahre später geht es nicht mehr um Geschmacksfragen, sondern um die Arbeitsgrundlage. Würde man Cristiano Ronaldo Freistöße schießen lassen, wenn sein rechter Fuß bei jedem zweiten Schritt unkontrolliert zur Seite ausschlackert?
Nun ist es einfach, auf Rose einzudreschen. Wer spuckend und Mikroständer um sich schleudernd in Bandana, Unterhosen und Stiefeln über die Bühne irrlichtert, gibt eine treffliche Zielscheibe ab. Vor allem, wenn er dazu noch den Ruf genießt, seine Fans stundenlang warten zu lassen und ihnen, sollten sie ihn filmen, direkt eins auf die Nuss zu geben. Rose hat Securitys in den Oberschenkel gebissen und Kritik von Bandkollegen mit einem Sprung aus dem fahrenden Auto quittiert. Von einer schillernden Persönlichkeit zu sprechen, wäre bei dem Mann aus Indiana untertrieben. Sein Alleinstellungsmerkmal ist leider, dass er alleine dasteht. Denn im Gegensatz zu den anderen Frontmännern, die in den späten Achtzigern und Neunzigern am letzten großen Rockbeben der amerikanischen Westküste beteiligt waren, – Anthony Kiedis, James Hetfield, Eddie Vedder oder Dave Grohl – wurde Axl Rose nie vorbehaltlos verehrt.
Das wird auch beim einzigen Deutschlandkonzert des Jahres deutlich. Den stärksten Applaus bekommt zurecht der Herr mit dem Zylinder. Wobei zur Wahrheit gehört, dass neben Slash auch der zweite Gitarrist Richard Fortus genial aufspielt. Himmlisch, wie sich die beiden bei "Knockin’ on Heavens Door" die Impro-Parts zupassen. Aus dem bekannten Line-Up sind ansonsten noch Dizzy Reed an Keyboard und Percussion sowie der unverwüstliche Bassist Duff McKagan übrig. Aber auch Drummer Frank Ferrer und vor allem Melissa Reese an Keyboard und Background-Gesang gewinnen die Herzen der Fans in Hessen. Man würde das Konzert vermutlich mehr genießen, wenn die junge Frau und der Frontmann an diesem Abend die Rollen tauschen würden.
Die Band beginnt im ehemaligen Waldstadion mit älteren Songs wie "It’s so Easy" oder "Bad Obsession". Die Banger – eigentlich haben Guns N’ Roses ja nur drei "richtige" Alben – fließen nach und nach in die Setlist ein. Eine gute Strategie, wenn Rose großartiges Material wie den Heroin-Abgesang "Mr. Brownstone", den Antikriegssong "Civil War" (der Ukraine gewidmet) oder das in der Studioversion so intensive "Estranged" nicht gnadenlos verhunzen würde. Richtig tragisch wird es beim McCartney-Cover "Live and let die", aus dem die Band 1991 noch so viel herausgeholt hatte. Aber: Ausgerechnet in dem Moment mit dem größten Fremdscham-Potenzial, als Axl Rose im Silber-Jackett am Flügel Platz nimmt, dreht sich der Wind.
Während auf der Videoleinwand Regen nieder prasselt, stimmt der 61-Jährige seine große Ballade an. Und höre da: Für "November Rain" findet er tatsächlich diese eine Tonlage – nicht zu hoch, nicht zu tief – mit der er arbeiten kann. Von Melissa Reese angeschoben, sorgt Rose für Emotionen. Endlich. Das generationenübergreifende, mehrheitlich schwarz gekleidete Publikum wiegt sich im Takt, filmt und singt mit. "Nothin' lasts forever, even cold November rain ..."
Nein, nichts währt ewig. Außer vielleicht die Musik. Denn die Lieder dieser stets von Spannungen begleiteten Band – auch an diesem Abend schaut man sich gegenseitig kaum an – sind geblieben. Weil Rose zusammen mit dem Mann, der seiner Gibson Les Paul das Singen beigebracht hat, schaffte, was andere Sunset-Strip-Rocker wie Mötley Crüe oder Poison in 100 Jahren nicht hinbekommen hätten: komplexe Arrangements mit Tempo- und Stimmungswechseln wie bei Queen, gepaart mit einer mitreißen rotzigen Punkrock-Attitüde. Seine Stimme hat Axl Rose ja nur verloren, weil er vorher so kompromisslos geschrien, geflucht, gefleht hat.
Auch in Frankfurt hetzt der 61-Jährige pausenlos von links nach rechts und schwitzt dabei mehrere Shirts durch. Überzeugen kann er aber am ehesten bei den getragenen Nummern, etwa "Don’t Cry", das Rose mit klassisch sägendem Ton beschließt. Besteht doch noch Hoffnung für den postpubertären Stimmbruch? Man munkelt, dass der Sänger inzwischen mit einem Voice-Coach arbeitet. Vielleicht ist der Lagerfeuersong, den die (einstigen) Streithähne Slash und Axl zum Ende hin nur von einer Westerngitarre begleitet performen, programmatisch zu verstehen: "Take it slow, and it’ll work itself out fine. All we need is just a little patience!" Hoffen wir’s.
Update: Dienstag, 4. Juli 2023, 16.49 Uhr