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Geschichte 100. Geburtstag

Warum Axel Springer den Ullstein-Verlag kaufte

Leitender Redakteur Geschichte
Mit der Übernahme des renommierten Unternehmens 1959 erfüllte sich der Hamburger Verleger einen Jugendtraum – und traf zugleich die wichtigste Entscheidung für die Zukunft seines Konzerns.

Geheimhaltung war oberstes Gebot. Einzeln kamen die Verkäufer am späten Abend des 29. Dezember 1959 ins Büro des Notars. Der älteste der vier ließ sich immerhin noch mit einer Limousine bringen, deren Fahrer ihm beim Aussteigen behilflich war und ihn zur Tür geleitete. Der zweite hatte ein Taxi genommen, ein dritter kam zu Fuß, wobei er sich ständig umsah, als würde er verfolgt. Der Letzte fuhr trotz der winterlichen Kälte und des Nebels mit dem Fahrrad.

Der Vertreter des Käufers beobachtete die Ankunft seiner Verhandlungspartner versteckt, und erst als alle anwesend waren, ging er selbst hinauf zum Notar. Man vollzog die Unterschriften, dann ging man wieder auseinander. Nicht einmal angestoßen wurde auf das Geschäft.

Dabei ging es nicht etwa um etwas Illegales, sondern um einen ganz offiziellen Unternehmensverkauf – allerdings um einen besonderen. Denn Axel Springer erwarb durch seinen Bevollmächtigten Christian Kracht an diesem kalten Freitagabend die Aktienmehrheit am bekanntesten deutschen Zeitungshaus, dem Ullstein-Verlag.

Kein normales Investment

Das kam nicht wirklich überraschend, denn schon seit 1956 hielt der Hamburger Verleger ein gutes Viertel der Anteile, und seither hatte er einige gemeinsame Auftritten mit den Ullstein-Gesellschaftern absolviert und größere oder kleinere Projekte beider Verlage verkündet. Das wichtigste war der Neubau eines hochmodernen Druck- und Verlagshauses gegenüber dem langjährigen, im Zweiten Weltkrieg allerdings zerstörten Ullstein-Sitz im historischen Zeitungsviertel Berlins ein gutes halbes Jahr zuvor.

Für Springer war das kein normales Investment; er wollte nicht nur sein Geld anlegen, sondern plante von Anfang an, sein eigenes Unternehmen mit dem Traditionsverlag zu verschmelzen und so etwas Neues zu schaffen. Das hatte mehrere Gründe.

Erstens passten die beiden auf den ersten Blick so unterschiedlichen Unternehmen gut zusammen. Ende der Fünfzigerjahre schienen Springer und Ullstein zwar wenig gemeinsam zu haben: Auf der einen Seite stand ja ein junger, wirtschaftlich florierender Hamburger Verlag, auf der anderen Seite ein traditionsreicher, aber ökonomisch schwer angeschlagener, ja überschuldeter Berliner Konzern.

"Freisinnig und unabhängig"

Doch abseits schlichter betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise verband die beiden Verlage eben doch viel: So innovativ und erfolgreich Springer seit 1946 agierte, so stark und erfolgreich hatte Ullstein seit den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts die deutsche und europäische Zeitungslandschaft geprägt. Ob man Titel kauft oder neu gründet, ist jedoch unbedeutend verglichen damit, was man aus ihnen macht.

Leopold Ullstein, Berliner Papiergroßhändler mit Wurzeln in Fürth, hatte 1877 das damals angeschlagene "Neue Berliner Tageblatt" gekauft und es kurz darauf mit der ebenfalls erworbenen "Berliner Zeitung" zur "B.Z." vereinigt. In der Welthauptstadt des gedruckten Wortes wollte Ullstein Zeitung machen, "freisinnig und unabhängig von allem Cliquen- und Parteiwesen". Das war nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der ein Großteil der Zeitungen klar die Position kleiner Interessengruppen vertrat.

Später gründete Leopold Ullstein noch die "Berliner Morgenpost" als regionale Abonnementzeitung neuen Typs; seine Söhne und Nachfolger erwarben die hoch renommierte, aber kränkelnde "Vossische Zeitung" und gestalteten die "B.Z. am Mittag" zur schnellsten und erfolgreichsten Boulevardzeitung der Weimarer Republik um.

Mediale Innovationen

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Genau das gleiche Ziel wie die Ullsteins verfolgte ein bis zwei Generationen später auch Axel Springer. Er entwickelte neue zeitgemäße Medien, etwa die Hörfunkzeitschrift "Hörzu". Er gründete mit dem "Hamburger Abendblatt" eine der wichtigsten regionalen Abonnementzeitungen und erfand mit der "Bild" einen neuen Typ von Boulevardzeitung, die bald das erfolgreichste Blatt Deutschlands und Europas werden sollte.

1953 erwarb er die kränkelnde Tageszeitung "Die Welt" und führte sie zu neuer Bedeutung. All das realisierte Springer betont unabhängig von Politik, Parteien und sonstigen Interessengruppen. Denn nur ökonomische Unabhängigkeit, das wusste er, konnte Pressefreiheit ermöglichen.

Zweitens war Axel Springer klar, dass sein Unternehmen früher oder später seinen Sitz aus Hamburg nach Berlin verlegen würde – in die ehemalige und seiner Hoffnung nach auch wieder künftige deutsche Hauptstadt. Hierher gehörte seinem Eindruck nach ein Verlag, der der größte in Deutschland sein sollte und entsprechend einflussreich. Ohnehin hatte Springer, der 1912 in der seinerzeit noch preußischen Stadt Altona bei Hamburg geboren war, immer eine preußische Ader.

Neben Mosse und Scherl

Natürlich hätte Axel Springer, um in Berlin ein Standbein zu bekommen, auch in eine Neugründung investieren oder eine andere der verschiedenen dort erscheinenden Zeitungen kaufen können, zum Beispiel den 1945 unter französischer Lizenz gegründeten "Kurier", der wirtschaftlich angeschlagen war. Doch er wollte Ullstein, den ehemals größten und wichtigsten, vor allem aber den einzig überlebenden der drei prägenden Berliner Verlage der Zwischenkriegszeit, neben Ullstein noch Mosse und Scherl.

Drittens hatte die Entscheidung für die Übernahme noch einen ganz persönlichen Grund, der zurückging auf den Anfang der Dreißigerjahre: "Springers strenger Vater, Eigentümer der kleinen Lokalzeitung ,Altonaer Nachrichten‘, bestand auf seriöser journalistischer Ausbildung", erklärt der Springer-Biograf Hans-Peter Schwarz: "Dabei lockte Hinrich Springer auch mit einem Volontariat bei Ullstein in Berlin. Als Ullstein jedoch im Juni 1934 der räuberischen ,Arisierung‘ zum Opfer fiel, also unter Druck an einen NS-Verlag verkauft wurde, war dieser Traum vorerst zu Ende."

Ein Volontariat bei Ullstein hat Axel Springer natürlich auch später niemals absolviert – aber es war für ihn kein Problem, ja im Grunde sogar eine Freude zuzugestehen, dass auch nach dem Verkauf an sein Unternehmen der Name Ullstein dauerhaft erhalten bleiben sollte. Bis heute erscheinen daher zwei der bekanntesten Blätter des Verlages Axel Springer, die "B.Z." und die "Berliner Morgenpost", in besonderen Ullstein-Gesellschaften. Und auch der größte Veranstaltungsraum im Berliner Konzernsitz, in dem große Fernsehshows produziert werden, trägt den Namen Ullstein. Ganz offen und ohne jedes Geheimnis.

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